Frage an Annette Widmann-Mauz von Ernst G. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Widmann-Mauz,
während meiner mehr als 33 jährigen Berufstätigkeit habe ich zur privaten Altersvorsorge eine Direktversicherung abgeschlossen (mit anfangs 10%iger-, dann am Ende 20% iger pauschaler Besteuerung). Mein Einkommen lag immer über der Bemessungsgrenze für die Sozial-/Krankenversicherung, so daß ich aufgrund dieser Versicherung keine Sozialbeiträge "unterlaufen" habe.
Nun steht die Auszahlung dieser Versicherung bevor und ich werde- im Gegensatz zu meinen privat versicherten Kollegen- mit ca. 14% Krankenversicherung belastet.
Entweder wechsle ich noch in eine Privatversicherung, oder ich "schlucke" diese,nach meinem Rechtsempfinden nicht verfassungsmässige, nachträglich geänderte gesetzliche Regelung.
Mir ist bekannt, daß es zu dieser Thematik bereits mehrere Verfassungsklagen gibt. Von Ihnen hätte ich aber gerne gewußt, wann mit einer finalen Entscheidung des obersten Gerichtes zu rechnen ist.
In Erwartung einer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Ernst Gachstatter
Sehr geehrter Herr Gachstatter,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 01.05.2008, in der Sie sich nach der Besteuerung Ihrer Krankenversicherung und nach dem Termin der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Sachverhalt erkundigen. Zunächst einmal möchte ich anmerken, dass die Krankenversicherung der Rentner u.a. durch Beiträge finanziert wird, die der Versicherte zu tragen hat. Neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind insbesondere die der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) beitragspflichtig. Im Rahmen des GKVModernisierungsgesetzes wurde eine Rechtsänderung vorgenommen. Seit 2004 müssen nun auch pflichtversicherte Rentner den vollen allgemeinen Beitragssatz ihrer jeweiligen Krankenkasse auf die Versorgungsbezüge entrichten. Damit wurde eine bestehende Ungleichbehandlung aufgehoben. Während in der Vergangenheit auf Betriebsrenten für pflichtversicherte Rentner nur ein halber Beitragssatz an die Krankenkassen abgeführt werden musste, war für Betriebsrenten bei freiwillig versicherten Rentnern der volle Beitrag zu zahlen. Der Grundsatz, dass alle beitragspflichtigen Einnahmen zusammen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen sind, wurde dabei nicht geändert.
Diese Regelungen haben deutliche Kritik erfahren und im Februar 2008 hat sich die zweite Kammer des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit der Thematik auseinandergesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge auf Versorgungsbezüge als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gesehen, da es sich um einen Teil eines Maßnahmenkatalogs zum Erhalt der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung handelt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist unanfechtbar. Das Gericht hat insbesondere keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gesehen, da eine bis dahin bestehende Ungleichbehandlung beseitigt wurde. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes ist die Verdoppelung der Beitragslast auf Versorgungsbezüge auch nicht unverhältnismäßig, da die Maßnahme zur Deckung einer zunehmenden Finanzierungslücke, deren Ursache der medizinische Fortschritt und die Zunahme der Zahl älterer Menschen ist, erforderlich war. Lag 1973 die Beitragszahlung der Rentner noch bei 70% der Leistungsaufwendung, so liegt diese Quote zwischenzeitlich nur noch bei 43%. Der Gesetzgeber erwartete aus der zusätzlichen Belastung der Versorgungsbezüge Mehreinnahmen in Höhe von 1,6 Mrd. Euro.
Die damit verbundene Mehrbelastung wurde als zumutbar für die betroffenen Rentner angesehen. Insgesamt machen Versorgungsbezüge regelmäßig nur einen geringen Teil der Alterseinkünfte aus. Für die Einzelfälle, in denen die Versorgungsbezüge die anderen Einkünfte übersteigen, wurde keine grundlegende Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse im Sinne einer Nichttragbarkeit, gesehen. Das Bundesverfassungsgericht ist auch auf die Frage des Vertrauensschutzes eingegangen.
Es führt an, dass angesichts der vielfältigen Bemühungen des Gesetzgebers in den vergangenen Jahren, sowohl auf der Einnahmeseite als auch auf der Ausgabenseite auf Gefährdungen des Systems zu reagieren, die Versicherten in den Fortbestand privilegierender Regelungen nicht uneingeschränkt vertrauen konnten. Der Beitragspflicht, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Beitragszahler berücksichtigt, steht als Gegenleistung der Bestand des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber. Für Ihre Lage habe ich volles Verständnis, da diese Regelungen im Einzelfall eine spürbare finanzielle Mehrbelastung bedeuten können. Dennoch war und ist die Reform der Sozialversicherungssysteme eine essentielle Voraussetzung für den dauerhaften Erhalt unseres Sozialsystems. In der Hoffnung, Ihre Fragen mit diesen Erläuterungen angemessen beantwortet zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
gez. Annette Widmann-Mauz