Frage an Annekathrin Giegengack von Dr. K. bezüglich Recht
1. Wie halten Sie es mit Hartz IV?
2. Wie halten Sie es mit den Mitbestimmungsrechten im Betrieb (BetrVG)?
3. Wie halten Sie es mit dem Datenschutz (Speicherung von Telekommunikationsdaten über Jahre hinweg, Ausweis mit biometrischen Daten, Bankgeheimnis, Terror"bekämpfung", ...)?
4. Wie stehen Sie zur EU-Verfasssung?
5. Was halten Sie von Volksabstimmungen?
6. Wie hätten Sie gerne die Steuersätze für Unternehmen und Privatbürger?
7. Was halten Sie von der Privatisierung sämtlicher bisher öffentlicher Aufgaben bei gleichzeitiger drastischer Senkung aller Steuern und privater Finanzierung in Anspruch genommener Leistungen?
1) Hartz IV ist der erste Schritt auf dem langen Weg in Richtung grüne Grundsicherung. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war richtig und überfällig. In der Vergangenheit gab es zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen, das haben wir beendet. Hartz IV war ein richtiger und notwendiger Schritt. Für Bündnis 90/Die Grünen darf er jedoch nicht als Endergebnis der Reform stehen bleiben. In wichtigen Aspekten wollen wir Veränderungen. Grüne Grundsicherungselemente müssen Hartz IV zu einem Sicherungssystem machen, das armutsfest ist, die Integration in den Arbeitsmarkt fördert und die Autonomie der EmpfängerInnen achtet.
Die Hilfe für alle Langzeitarbeitslosen erfolgt aus einer Hand in den Job-Centern. Es gibt keine Verschiebebahnhöfe mehr. Alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen haben Zugang zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die Empfänger sind renten-, kranken- und pflegeversichert. Mit dem Kinderzuschlag werden Familien mit geringem Erwerbseinkommen vor dem Abrutschen in den Sozialleistungsbezug bewahrt. Dank unserer ausdauernden Kritik wurden die Regelungen zum Zuverdienst deutlich verbessert.
Mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West brauchen wir bundesweit einheitliche Regelsätze. Eine Erhöhung des anrechnungsfreien Partnereinkommens ermöglicht Hilfe ohne Belastung der Partnerschaft. Durch Teilhabe an aktiver Arbeitsmarktpolitik wollen wir Hilfebedürftigkeit präventiv vermeiden. Wir wollen Altersvorsorgevermögen umfassender schützen, um eine verlässliche Lebensplanung zu ermöglichen. Dafür haben wir das grüne Konzept des Altersvorsorgekontos vorgelegt. Arbeit mit Bezahlung unterhalb des tariflichen oder des ortsüblichen Entgelts darf in Zukunft nicht zumutbar sein. Für branchenspezifische Mindestlöhne schaffen wir die gesetzlichen Voraussetzungen. Wir geben echten Integrationsjobs und nachhaltiger Förderung in Erwerbsarbeit den Vorrang vor Ein-Euro-Zusatzjobs.
2) Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes durch die rot-grüne Koalition (2001) hat bereits die Wahlprozesse für den Betriebsrat entbürokratisiert und so Kosten gespart. Die Betriebe haben diese Reform sehr gut angenommen.
Nach einhelliger Ansicht von Experten ist die Mitbestimmung eine Stärke, keine Schwäche des Standorts Deutschlands. Sie ist mitverantwortlich für die international vergleichsweise geringe Streikhäufigkeit in den Betrieben und die hohe Bereitschaft der Belegschaften, Umstrukturierungsprozesse im Unternehmen mitzutragen. Die Behauptung der FDP verfängt nicht, dass sich die Mitbestimmung immer mehr als Nachteil für den Standort Deutschland erweist.
Michael Rassmann, Invest in Germany, New York City, gegenüber den Tagesthemen am 22.10.2004: "Es ist uns nie passiert, dass wegen der Mitbestimmung in Deutschland eine Investition in Deutschland nicht zustande gekommen ist."
3) Mit dieser Frage sprechen Sie ein sehr umfangreiches Thema an. Ich beschränke mich deshalb in meiner Antwort auf die Einführung von Ausweisen mit biometrischen Merkmalen.
Nach dem 11. September 2001 hat Rot-Grün das Passgesetzes (PassG) und das Gesetz über Personalausweise (PAuswG) dergestalt geändert, dass neben Lichtbild und der Unterschrift ein weiteres biometrisches Merkmal in Pass und Personalausweis aufgenommen werden darf. Alternativ sollten dies die Merkmale von Fingern, Händen oder Gesicht sein. Bündnis 90 / Die Grünen haben dafür gesorgt, dass im Gesetz festgeschrieben wurde, dass es keine zentrale Speicherung der Daten geben darf und dass alles weitere (der Einführungszeitpunkt, die Auswahl des zusätzlichen biometrischen Merkmals und die Art seiner Speicherung) durch Gesetz -also durch den Bundestag- festgelegt werden sollte.
Eine Verordnung des Rates der Europäischen Union vom 13. Dezember 2004, die in Deutschland unmittelbar gilt, sieht jetzt allerdings vor, dass Reisepässe fortan zwei verbindliche biometrische Merkmale enthalten müssen. Die Speicherung soll auf einem so genannten RFID-Chip (Radio-Frequency-Identification) erfolgen, der ein kontaktloses Auslesen der Daten (Lesen erfolgt über magnetische Felder, ohne dass das Dokument in ein Lesegerät eingeführt werden muss) ermöglicht.
Verschiede Studien (u.a. des Bundesamtes in der Informationstechnik) zeigen, dass die biometrischen Erkennungssysteme noch nicht ausgereift sind. Eine Studie aus dem letzten Jahr konstatierte eine Falschrückweisungsrate von acht bis 16 Prozent. Es gibt auch keine Praxisstudien, in denen auch nur annähernd getestet wurde, ob die Systeme eine Unterscheidung von mindestens 80 Millionen unterschiedlichen Datensätzen allein in Deutschland leisten können. Auch ist höchst fraglich, ob die Technik die Bürger und ihre gespeicherten Informationen ausreichend schützen kann. Auch ist nicht sichergestellt, dass in anderen Ländern mit den gespeicherten Daten datenschutzrechtlich verträglich umgegangen wird..
Die Einführung biometrischer Daten in Reisepässen ist unserer Meinung nach ein politischer Schnellschuss. Es wurden Fakten geschaffen, ohne wichtige technische, datenschutzrechtliche und Kostenfragen ausreichend geklärt zu haben. Das kann nicht gut gehen. Die zu erwartenden Probleme müssen ausführlich diskutiert werden. Dies ist sechs Monate vor der angestrebten Einführung eines Chips im Reisepass aber noch nicht geschehen.
4) Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die EU-Verfassung. Bei der Abstimmung im Bundestag am 12.5. haben alle 55 grünen Abgeordneten mit Ja gestimmt.
Die Verfassung verbessert die rechtliche Grundlage der EU im Vergleich zum derzeit geltenden Vertrag von Nizza in vielen Bereichen. Die Rechte des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente werden ausgeweitet, zudem wird es für die Bürgerinnen und Bürger ein Initiativrecht geben. Die bislang unverbindliche Grundrechtscharta wird Teil der Verfassung und somit rechtsverbindlich. Die Entscheidungsprozesse werden effizienter, da es bei Abstimmungen im Ministerrat künftig weniger Veto-Möglichkeiten gibt. Einen Effizienzgewinn gibt es auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch die Schaffung des Amtes eines EU-Außenministers. Die EU wird auch endlich transparenter: durch die Einführung der Abstimmung mit "doppelter Mehrheit" (Staaten und Bevölkerung) im Ministerrat, durch die Zusammenführung von EU- und EG-Vertrag und durch die Vereinfachung der bislang sehr unübersichtlichen Rechtsinstrumente und Verfahren. Außerdem wird der Ministerrat bei der Gesetzgebung künftig öffentlich tagen.
Natürlich haben wir auch Kritik an dieser Verfassung: wir hätten die EU gerne NOCH demokratischer, effizienter und transparenter gemacht. Auch sind einige Dinge enthalten, die unserer Ansicht nach in der Verfassung nichts zu suchen haben. Und anderes ist unterblieben, was uns wichtig gewesen ist. Wir wollten zum Beispiel im Rahmen des Verfassungsprozesses den Euratom-Vertrag abschaffen.
5) Demokratie lebt vom mitmachen. Die Politik ist aufgefordert mehr Teilhabemöglichkeiten zu schaffen. Wir wollen, dass Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid im Grundgesetz verankert werden. Diese Verfahren bieten für unsere Bürgerinnen und Bürger eine Chance für ein neues Politikverständnis. Denn neue Formen der Beteiligung stärken unsere politische Kultur und beugen Rückzugstendenzen innerhalb der Gesellschaft vor.
Deutschland ist mittlerweile das einzige Land in Europa, in dem es keine direkten Beteiligungsmöglichkeiten bei Sachfragen auf Bundesebene gibt.
Am 7. Juni 2002 hat der Bundestag über die Koalitionsvorlage "Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz" abgestimmt. Dabei stimmte die große Mehrheit der Abgeordneten für das Gesetz (348 ja / 199 nein), erreichte aber nicht die nötige 2/3-Mehrheit. Sie ist für Grundgesetzänderungen im Bundestag und im Bundesrat notwendig. SPD, Grüne und PDS stimmten geschlossen dafür. Die FDP brachte einen Änderungsantrag ein, lediglich die Volksinitiative als ersten Schritt einzuführen, der aber wegen der Totalverweigerung der Union ebenfalls keine Chance hatte. Dennoch stimmten 14 FDP-Abgeordnete für unser Gesetz, darunter Westerwelle, Gerhardt und Leutheusser-Schnarrenberger. Die Union blockierte und verweigerte damit den Bürgern mehr Mitsprache.
Unser Gesetzentwurf enthält folgende Regelungen:
Volksinitiative: 400.000 Stimmberechtigte können einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Der Bundestag muss sich mit diesem Gesetzentwurf befassen. Die Vertrauensleute der Volksinitiative haben das Recht auf Anhörung.
Volksbegehren: Hat das Parlament den eingebrachten Gesetzentwurf nicht innerhalb von acht Monaten verabschiedet, können die Vertrauensleute der Volksinitiative die Durchführung eines Volksbegehrens einleiten. 5 Prozent der Stimmberechtigten, d. h. rund 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger müssen innerhalb von 6 Monaten das Volksbegehren unterstützen.
Volksentscheid: Ist das Volksbegehren erfolgreich, findet innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid statt. Ein Gesetz kommt dann durch Volksentscheid zu Stande, wenn ihm die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat, sofern diese Mehrheit mindestens 15 Prozent der Stimmberechtigten entsprich (Zustimmungsquorum). Verfassungsänderungen erfordern ein höheres Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Stimmberechtigten.
Referendum ("Volksentscheide von oben"): Um einen Volksentscheid auch über die EU-Verfassung zu ermöglichen, hat sich die Koalition darauf verständigt, dass der Bundestag selbst Referenden initiieren kann. Es ist vorgesehen, dass die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag selbst einen Antrag stellen können, um verfassungsändernde Gesetze dem Volk zur Entscheidung vorzulegen. Stimmen 2/3 der Abgeordneten des Bundestags dem Antrag zu, wird dieses Gesetz dem Volk zur abschließenden Entscheidung vorgelegt.
6) Gerechtigkeit und Transparenz, Ergiebigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit stehen für uns im Zentrum einer grünen nachhaltigen Finanzpolitik. Wir wollen unser Steuersystem einfacher und gerechter gestalten. Es muss die Mittel erbringen, die für die staatlichen Aufgaben im Rahmen einer nachhaltigen Finanzpolitik erforderlich sind. Gerecht bedeutet für uns, dass starke Schultern einen entsprechend höheren Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten müssen. Die Finanzpolitik muss so ausgestaltet sein, dass sie Investitionen in Arbeit befördert. Der Subventionsabbau muss fortgesetzt und gleichzeitig die staatliche Investitionsquote deutlich gesteigert werden, insbesondere in Bildung und Forschung.
Wir haben seit der Regierungsübernahme 1998 die Steuerbelastung von Bürgerinnen und Bürgern deutlich gesenkt: Wir haben den Grundfreibetrag von 6.322 ? in 1998 auf 7.664 ? in 2004 erhöht, das ist ein Anstieg um 1.342 ? oder um über 21 Prozent. Allein durch diese deutliche Anhebung des Grundfreibetrages brauchen fast 1 Million Steuerpflichtige keine Lohn- und Einkommensteuer mehr zahlen. Schon allein das ist nicht nur eine deutliche Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, sondern eine faktische Steuervereinfachung und spürbarer Bürokratieabbau. Wir haben die Steuersätze gleichmäßig über den gesamten Tarifverlauf gesenkt, und zwar beim Eingangssatz von 25,9 Prozent um insgesamt rund 11 Prozentpunkte auf 15 Prozent in diesem Jahr. Auch der Spitzensteuersatz ist von 53 Prozent in 1998 auf 42 Prozent gesunken, das entspricht ebenfalls einer Verringerung um 11 Prozentpunkte. Im Rahmen der Steuerreform haben wir alle Steuerzahler "unterm Strich" um fast 60 Milliarden ? jährlich entlastet, davon kommen allein rund 47 Milliarden ? den privaten Haushalten einschließlich Familien zugute.
Wir können und wollen den Menschen keine weiteren Steuersenkungen versprechen. Darin unterscheiden wir uns ganz erheblich von anderen Parteien. In der Steuerpolitik geht es uns künftig vor allem um weitere Strukturverbesserungen. Wir wollen eine durchgreifende Vereinfachung der Einkommensbesteuerung und damit die Steuerbelastung gerechter verteilen. Die Steuerquote ist mit rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung so niedrig wie nie zuvor - erst recht im internationalen Vergleich. Wir wollen das Steueraufkommen zur Finanzierung der notwendigen Staatsaufgaben sichern.
7) nichts