Frage an Anne Alter von Verena M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Alter,
wo bleiben eigentlich die Piratinnen in ihrer Partei? Wie erklärt sich die überhohe Männerquote bei den Kandidaten Ihrer Partei? Meine Enkelin ärgert sich auch schon in der KITA, dass immer nur die Jungs Pirat sein wollen und sie auslachen, wenn sie sich als Piratin verkleidet. Na ja, historisch gab es ja auch nur vereinzelt Piratinnen und heute ist die Konnotation mit den Kriminellen aus Somalia auch sehr heftig.
Mit freundlichem Gruß V. Maeffert
Sehr geehrte Frau Maeffert,
auf diese Frage gibt es zwei Antworten, eine offizielle und eine persönliche, die sich beide ergänzen, und ich beginne mit dem offiziellen Teil.
Die Piratenpartei begreift sich als postgender, das bedeutet, dass die Frage der Geschlechter parteiintern keine Rolle mehr spielt und man die Emanzipation als erreicht ansieht. In Bezug auf die Gesellschaft ist dies natürlich noch nicht so (siehe ungleiche Bezahlung etc.), und da begreifen die Piraten durchaus, dass es noch einen Handlungsbedarf gibt. Es geht also hier nur um die interne Betrachtungsweise. Wir fragen bei dem Eintritt eines Mitglieds auch das Geschlecht nicht ab, sodass niemand Ihnen sagen könnte, wie viele weibliche Piraten es gibt. Frauen finden sich jedoch in Parteiämtern (so bin ich politische Geschäftsführerin im Vorstand der Hamburger Piraten), ebenso im Wahlkampf wie auch in der Themenarbeit. Der neu gewählte Vorstand der Jungen Piraten (der Jugendorganisation) besteht sogar aus vier Frauen und drei Männern, und das ganz ohne Quotenregelung. Es ist jedoch so, dass die Entscheidung für ein Parteiamt nicht einfach ist, bringt sie doch viel Arbeit mit sich, die unentgeltlich in der Freizeit erledigt werden muss, und diese Entscheidung fällt nicht immer leicht, auch mir nicht. Ich kann jedoch sagen, dass engagierte weibliche Mitglieder immer wieder ermutigt werden, für ein Amt zu kandidieren, Verantwortung zu übernehmen oder sich in die Themenarbeit einzubringen. Nach außen sichtbar wird das jedoch leider nicht.
Nun zum eher Persönlichen:
Dass die Partei sich als "postgender" begreift, bedeutet nicht, dass alle Mitglieder diesen Gedanken bisher wirklich umgesetzt haben, aber das ist in jeder Partei so (die GAL trifft ausgesprochen "ungrüne" Entscheidungen, gerade in Hamburg, christlich bestimmtes Gedankengut kann man bei der CDU manchmal mit der Lupe suchen, die SPD gebärdet sich alles andere als sozial und die FDP interpretiert inzwischen den Begriff "liberal" auf wirtschaftspolitische Weise). So gibt es weibliche und auch männliche Piraten, die sich parteiintern für eine Geschlechterdiskussion engagieren oder auch männliche Piraten, die nicht immer glücklich sind mit einer Frau in einem Parteiamt oder als Leiterin/Wortführerin eines Teams. Gerade letztere spielen jedoch, was Meinungsbildung und reale Umsetzung angeht, eine so untergeordnete Rolle, dass sie Frauen nicht in der Ausübung ihrer Ämter oder in der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern, und sie finden keine Mehrheit bei den Piraten, sondern ernten Kritik, wenn offenbar wird, dass sie ein Problem mit Frauen haben. Dies liegt m. E. vor allem daran, dass unser Altersdurchschnitt sehr niedrig ist (ich glaube, er liegt bei 29 Jahren), und das bedeutet, dass die Männer in der Partei mit berufstätigen, teilweise alleinerziehenden Müttern aufwuchsen, die ganz selbstverständlich Verantwortung für die Familie übernahmen und ihren Platz in der Gesellschaft abseits von Familie und Haushalt fanden, anders als das bei früheren Generationen der Fall war. Der Gedanke des traditionellen Familienbildes ist den Piraten fremd und eher von historischem Interesse, stattdessen wird ganz selbstverständlich anerkannt, dass die gesellschaftlichen Veränderungen eine Neuregelung vieler Bereiche (Arbeitswelt, Soziales etc.) erzwingen, die bisher nur unzureichend umgesetzt wurden.
Zu der Frage, warum sich nicht mehr Frauen bei den Piraten engagieren, kann ich an dieser Stelle nur spekulieren. Wir sind ja nicht nur sehr technikaffin (was an sich kein Problem ist), sondern gelten auch immer noch als "Internetpartei" mit stark technikbasierten Schwerpunkten, was zwar nicht der Wahrheit entspricht, da wir unser Programm stark erweitert haben. Dies ist jedoch in der Gesellschaft noch nicht in dem Maße angekommen, der wünschenswert wäre. Wir haben zwar viele weibliche Mitglieder, die in technischen Berufen tätig sind, aber der Ruf der "Nerd- und Internetpartei" mag viele Frauen (noch) abschrecken, und ich hoffe persönlich, dass sich das in absehbarer Zeit ändert. Was ebenfalls auf Frauen hemmend wirken mag, ist, dass man sich oft in reinen Männerteams bewegt. Es ist zwar kein Problem, dort gehört zu werden oder seinen Standpunkt zu vertreten, aber viele Frauen haben damit leider immer noch Probleme - auch ein Zeichen, dass gesellschaftlich hier noch einiges im Argen liegt. Ich kann jedoch mit Überzeugung sagen, dass die Piraten da ihrer Zeit voraus sind.
Ich hatte jedenfalls nie Schwierigkeiten, mich in anspruchs- und verantwortungsvoller Weise einzubringen und wurde von Beginn an ermutigt, dies zu tun - bis hin zu einer Kandidatur für ein Vorstandsamt. Kompetente, engagierte Aktive werden immer gebraucht, und unseren Mitgliedern ist die Frage des Geschlechts bei ihrer politischen Arbeit nicht wichtig. Als Mitglied des Presseteams bin ich persönlich froh, dass ich nicht an jeder möglichen und unmöglichen Stelle das Binnen-I und andere Konstruktionen unterbringen muss, die auch noch den klarsten und übersichtlichsten Text zu einer verquasten, unverdaulichen Angelegenheit machen können. Ich begreife mich als emanzipierte Frau, man darf mich auch "Emanze" nennen, was in der Partei alles andere als ein Geheimnis ist, und wäre ich in einer anderen Partei, würde ich die Frage von Quotierung sicherlich anders sehen und Entsprechendes auch vertreten. Bei den Piraten habe ich das noch nie als notwendig empfunden, und das ist für mich unglaublich entspannend.