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Anne Alter
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Frage von Michael C. •

Frage an Anne Alter von Michael C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Frau Alter,
vielen Dank, dass Sie sich hier den Fragen stellen. Ich habe Themen:

1. Der Ansatz der Piratenpartei gegen "Zensur" ( Motto auf dem Wahlplakat) ist im Prinzip ja richtig. Nur: Auf einem Plakat ist z.B. eine ältere Frau zu sehen. Die will natürlich niemand zensieren. Aber was ist denn etwa mit gewaltverherrlichenden Inhalten? Ist es nicht ein grundsätzlicher Irrtum von Ihnen, dass Regeln immer Einschränkung bedeuten? Sind Regelungen nicht auch zum Schutz der Freiheit anderer nötig- zum Beispiel von Kindern?
Kurzum: Wie verhindern Sie innerparteilich, dass Ihre ehrenwerten Ziele von anderen korrumpiert werden? Haben Sie keine Angst, dass sie ausgerechnet von Straftätern Zuspruch bekommen?
Ich finde der Fall Tauss (ehemals Mitglied Piratenpartei, dann wegen Besitz von Kinderpornografie verurteilt) spricht doch Bände. Für meinen Geschmack distanziert sich die Piratenpartei nicht genug davon.
Warum setzt sich die Piratenpartei umgekehrt für mehr Opferschutz ein?

2. Sie fordern einen kostenlosen HVV und trotzdem Ausbau des Netzes sowie den Bau der Stadtbahn. Natürlich würde ich auch gern umsonst Busfahren. Aber ganz im Ernst: Wie soll das finanziert werden? Bekanntlich gibt es eine vom Bund verordnete Schuldenbremse, die in jedem Bundesland zu harten Einschnitten führen muss. Das ist schlimm genug - sogar so schlimm, dass das Schauspielhaus in Hamburg auf der Kippe stand. Das ist zum Glück vom Tisch. Aber:
ist es in so einer Lage nicht etwas weltfremd "kostenlos"-Forderungen zu stellen? Das klingt für mich wie "längere Ferien für alle" - ein typischer Wahlköder, gegen den man nichts sagen kann und der natürlich unter "Finanzierungsvorbehalt" steht - also als erstes kippt.
Oder ist Ihr Konzept das wirklich ausgereift?

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Antwort von
PIRATEN

Hallo Herr Cohrs,

herzlichen Dank für Ihre Fragen; gerne beantworte ich sie Ihnen. Zunächst zu Frage 1, Zensur, gewaltverherrlichende Inhalte etc.

Wir als Piratenpartei unterscheiden ganz klar zwischen Inhalten, die nach geltendem Gesetz einen Straftatbestand darstellen und solchen, die "unliebsam" sind. Erstere sind im Internet genauso strafbar wie in gedruckter, gesendeter oder mündlich vorgetragener Form. Wir sind unbedingt dafür, dass diese Inhalte, so weit möglich, aus dem Netz entfernt werden. Da gibt es kein Vertun.

Zu den "unliebsamen" Inhalten, die keine geltenden Gesetze verletzen: In europäischen Ländern, die eine Gesetzgebung erließen, nach der zum Beispiel die zweifellos illegale kinderpornographische Seiten unzugänglich gemacht werden, hat sich schnell gezeigt, dass es nicht bei der Sperrung derartiger Seiten bleibt. In Italien wurden beispielsweise zahlreiche Internetpräsenzen gesperrt, die homosexuelle Inhalte transportierten, obwohl diese nicht illegal sind. Es zeigt sich in allen Bereichen, dass eine Struktur, die für einen begrenzten Bereich eingerichtet wird, leicht auszudehnen ist und auch ausgedehnt wird - und das eben nicht immer nur auf Bereiche, die nicht gesetzeskonform sind. Der in Deutschland ehemals angedachte Sperrmechanismus war derart intransparent, dass eine Seite, die ungerechtfertigt gesperrt worden wäre, nur unter größten Schwierigkeiten und in einem langwierigen und willkürlichen Prozess wieder hätte freigegeben werden können. Nun könnte man argumentieren, dass man dem Staat bzw. der Exekutive so weit vertrauen sollte, dass diese ein Gesetz in der angedachten Form korrekt auslegt und durchsetzt, doch angesichts des erschreckenden Kenntnisstandes von Politikern bezüglich des Internets fehlt uns Piraten dieses Vertrauen. Von dem Problem der unterschiedlichen Moralvorstellungen (siehe oben, Italien) mal ganz zu schweigen.

Natürlich zieht eine neue Partei Menschen an, die sich mit ihren Auffassungen in der Illegalität bewegen; dazu gehören z. B. Rechtsextreme, die unseren Ansatz falsch, aber in ihrem Sinne interpretieren. Es gab gerade 2009 einen enormen Mitgliederzulauf, doch ist es der Piratenpartei gelungen, Menschen, die unsere Ziele für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen, den Parteieintritt zu verwehren. Dies ist natürlich nur möglich, wenn die Person einschlägig so bekannt ist, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat. Die, die unbekannt sind, merken, sobald sie aktiv werden, dass unsere Partei nicht der geeignete Ort ist, um derartige Inhalte zu transportieren, was dann regelmäßig zum Austritt des Neumitgliedes führt. Immerhin hat sich die Piratenpartei deutlich z. B. gegen menschenverachtende Ideologien und auch für die Durchsetzung geltender Gesetze positioniert. Unser basisdemokratischer Ansatz und die Gesinnung der Basis verhindern zuverlässig, dass Menschen zweifelhafte Ideologien im Rahmen unserer Partei offiziell verbreiten oder programmatisch durchsetzen können. Zum Fall Tauss: Herr Tauss ist kein Mitglied unserer Partei mehr, und es war auch nicht jeder Pirat mit seinem Eintreten in unsere Partei glücklich. Man hat jedoch damals entschieden, die Unschuldsvermutung gelten zu lassen, die jedem Bürger zusteht, vor allem, da Herr Tauss sich eindeutig gegen Kinderpornographie positioniert hat - und das bereits mehrere Jahre lang. Daher hat man entschieden, auf den Ausgang des Prozesses zu warten. Einer Diskussion über seine weitere Mitgliedschaft kam Herr Tauss zuvor, indem er am Tag der Urteilsverkündung von sich aus die Partei verließ.

Opferschutz ist uns selbstverständlich, gerade für die, die sich nicht oder nur eingeschränkt selbst schützen können (Kinder z. B.). Doch wir verwahren uns dagegen, dass etwas, von dem potentiell eine Gefahr ausgehen könnte, von der Politik verteufelt, diffamiert und vielleicht verboten wird. Gerade das Internet hat unendlich viele Facetten und bietet auch Kindern und Jugendlichen bereichernde und informative Inhalte; die potentiell gefährlichen Inhalte oder Strukturen sind am ehesten durch ein verantwortungsvoll agierendes Umfeld zu entschärfen, ebenso wie durch die konsequente Vermittlung von Medienkompetenz, wofür wir uns einsetzen.

2. Der kostenlose HVV
Zunächst wäre ein kostenfrei nutzbarer HVV nicht von heute auf morgen durchsetzbar; hier stellen wir uns ein Übergangsmodell vor, das z. B. in einer stark vereinfachten Tarifstruktur, einer schrittweisen Reduzierung der Fahrpreise oder auch der kostenfreien Nutzung der Verkehrsmittel im Innenstadtbereich besteht. Der kostenlose HVV kann in unseren Augen nur ein Ziel sein, dass mittel-, aber nicht kurzfristig durchsetzbar ist. Finanziert wird der HVV heute bereits zu einem Drittel durch Zuschüsse der beteiligten Bundesländer. Wir stellen uns für die beiden anderen, momentan durch Entgelte finanzierten Drittel eine Umlagenfinanzierung vor, sodass die öffentliche Hand nicht stärker belastet wird als dies ohnehin geschieht. Nach einer ersten Kalkulation läge eine Bürgerbeteiligung, die diesen Betrag deckt, unter dem Preis einer Monatskarte pro Haushalt (nur damit man eine Vorstellung von der Summe bekommt). Wir stellen uns jedoch eine Mischkalkulation aus Bürgerabgabe, Arbeitsplatzabgabe (sodass auch die in den Genuss des kostenlosen HVV kommen, die in Hamburg arbeiten, aber nicht wohnen), einer Parkplatz- und Hotelübernachtungsabgabe vor, damit niemand einseitig belastet wird. Die Piraten sehen die Möglichkeiten des motorisierten Individualverkehrs vor allem in einer Großstadt als endlich an; weniger Autoverkehr führt zu einer besseren Verkehrslage und zu mehr Lebensqualität in der Stadt. Außerdem bedeutet weniger Verkehr auch geringere Kosten für den Ausbau und die Instandsetzung des Straßennetzes, sodass auch hier ein relevantes Einsparungspotential besteht.

Mit freundlichen Grüßen

Anne Alter