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Anna Lührmann
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Frage von Christoph M. •

Frage an Anna Lührmann von Christoph M. bezüglich Frauen

Hallo Frau Lührmann,

nachdem meine Frage nach Ihrer Postition zum Thema Rechte von Trennungsvätern bisher nicht beantwortet wurde, habe ich mich auf Ihrer Homepage nach einer Antwort umgesehen. Und tatsächlich fand ich unter der Rubrik "Frauen" dann folgenden Absatz:
"Annas Vision
Wir brauchen dringend einen Mentalitätswechsel in unserer Gesellschaft. Es sollte selbstverständlich sein, dass grosse Konzerne und Universitäten von Frauen geleitet werden und dass sich auf dem Spielplatz nebenan Väter in Elternzeit mit ihren Kindern tummeln."
Hört sich gut an: Väter in Elternzeit die sich auf dem Spielplatz tummel. Schade nur, daß Väter -im Gegensatz zu Müttern- kein Recht auf Elternzeit haben. Und wie wollen Sie das Ziel erreichen, wenn tausende Väter aufgrund des hier geltenden und von rot-grün zu verantwortenden Familienrechts ihre eigenen Kinder nichteinmal sehen dürfen?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bundesrepublik deshalb mehrfach verurteilt. Eine Reaktion der derzeitigen Regierung (und der sie tragenden Fraktionen) war bisher nicht zu erkennen. Wann wird in dieser Frage eine dem internationalen Recht entsprechende deutsche Rechtssituation hergestellt unter einer eventuellen neuen rot-grünen Regierung?

Auch in einem anderen Zusammenhang ist ihre Vision interessant. Warum die Konzentration auf Spitenjobs für Frauen im Zusammenhang mit Gleichberechtigung? Wäre "echte Gleichberechtigung" nicht erst dann erreicht, wenn es selbstverständlich wäre daß Frauen auch auf Baustellen, als Müllfrauen, als Kanalarbeiterinnen und allen weiteren weniger previligierten Berufen arbeiten würden?

Nicht in Ihren Visionen erfasst sind leider folgende Themen:
- Gleichberechtigung auch im Zusammenhang mit Zwangsdiensten. Wie ist es mit "echter Gleichberechtigung" zu vereinbaren, daß nur Männer zu Kriegs-/Zivildienst verpflichtet sind?
- Gleichberechtigung auch im Gesundheitsbereich. Wie ist es mit "echter Gleichberechtigung" zu vereinbaren, daß Männer trotz deutlich höherem Hautkrebsrisikos erst ab 45 kostenlose Vorsorgemaßnahmen erhalten, Frauen aber schon ab 30?
- Gleichberechtigung auch bei den GRÜNEN. Wie ist das sogenannte "Frauenveto" in den Statuten der GRÜNEN, das ausdrücklich einer eventuellen Minderheit von Frauen ein Vetorecht zu allen Fragen einräumt, mit "echter Gleichberechtigung" zu vereinbaren?
Da Sie auf ihrer Homepage auf kandidatenwatch.de hinweisen, hoffe ich, daß Sie es diesmal schaffen auf meine Fragen zu antworten.

Mit freundlichen Grüßen
Christoph Maass

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Maass,

wir freuen uns, dass Sie sich dafür einsetzen, dass auch Männer sich gleichberechtigt bei der Erziehungsarbeit einbringen können. Die rot-grüne Regierung hat sich stark für gesetzliche Neuerungen einsetzt, damit Männer und Frauen gleichberechtigt an der Erwerbs- und Erziehungsarbeit teilhaben können.

Dank unseres seit 2001 geltenden Elternzeitgesetzes (früher: "Erziehungsurlaub") können nun Väter wie Mütter (vorher: Nur Mütter) jeweils drei Jahre lang die Elternzeit beanspruchen - auch gleichzeitig. Außerdem können Eltern parallel zur Elternzeit wöchentlich bis zu dreißig Stunden (früher: 19 Stunden) erwerbstätig sein. Dabei haben sie in allen Betrieben mit über 15 Beschäftigten das Recht auf einen Teilzeitarbeitsplatz. Mit dieser neuen Regelung wollen wir vor allem Väter motivieren, sich stärker um ihre Kinder zu kümmern. Leider lässt die Inanspruchnahme durch die Väter bisher sehr zu wünschen übrig: Gerade fünf Prozent der Väter nutzen diese Möglichkeit.

Aufgrund der gesellschaftlichen Ressourcenverteilung und der nach wie vor bestehenden Rollenstereotypen von Frau und Mann, sind die Benachteiligungen, die es abzubauen gilt, heute noch überwiegend auf Seiten der Frauen zu suchen. Um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herzustellen, müssen wir nicht nur die Gesellschaft verändern, sondern auch das große Gefälle von Macht und Geld zwischen Männern und Frauen aufheben: Auch heute und auch in Deutschland sind vor allem Frauen und Kinder von Armut betroffen. Und der Anteil an Machtpositionen, den Frauen einnehmen, ist immer noch erschütternd gering: In den Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft finden sich nicht einmal 10 Prozent Frauen, gerade 14 Prozent aller ProfessorInnen sind weiblich. Der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Bundestag beträgt 30 Prozent. Natürlich wollen wir auch Bauarbeiterinnen, Müllfrauen und Kanalarbeiterinnen - am gesellschaftlichen Machtgefälle würde das aber nichts ändern. Wir wollen, dass Frauen in jeder Liga mitspielen - anders werden sich ihre Ansprüche und Bedürfnisse gesellschaftlich und politisch nicht realisieren lassen.

Bezüglich Ihrer Frage zu den Pflichtdiensten möchte ich zunächst auf Folgendes hinweisen: Frauen übernehmen heute bereits ein Übermaß aller gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, nämlich Zweidrittel. In diese Aufgaben sind sie zumeist über Jahre hinweg eingebunden - insofern kommen Männer mit ihren vorübergehenden Pflichtdiensten gut weg. Dennoch:

Wir wollen die Wehrpflicht auch für Männer abschaffen. Die Wehrgerechtigkeit ist schon lange nicht mehr gegeben. Gerade ein Drittel eines jeden Jahrgangs aller Wehrpflichtigen muss heute noch zum Pflichtdienst in der Bundeswehr antreten. Schon aus Gründen der Wehrgerechtigkeit muss daher die Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee umgestaltet werden. Dann können beide, Männer und Frauen, freiwillig zur Bundeswehr gehen. Und wir wollen auch nicht, dass ein Pflichtdienst den nächsten ersetzt: Ein soziales Pflichtjahr kommt für uns nicht in Frage - wir setzen auch hier auf die Freiwilligkeit der jungen Menschen.

Die bereits angesprochenen gesellschaftlichen Machtverhältnisse spiegeln sich - wenn auch in abgeschwächter Form - auch bei den Grünen. Schon allein bei der Mitgliederzahl sind die Männer in der Übermacht. In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmen Männer oft auch dann, wenn es um die besonderen Interessen von Frauen geht. Das Frauenveto soll dazu dienen, dass sich diese Situation nicht auch innerhalb der Grünen fortsetzen kann. Es wird von den Frauen allerdings nur äußerst selten und mit großer Sorgfalt genutzt - die Interessen der Frauen müssen schon in intensiver Weise betroffen sein.

Auf ihre Frage zum Sorgerecht bin ich ja bereits in meiner unten stehenden Antwort eingegangen.

Mit besten Grüssen

Anna Lührmann

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