Frage an Anna Gallina von Barbara C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Gallina,
mich interessiert, was die Grünen zum Thema Dublin Abkommen bewegt. Beste Grüße, B. C.
Sehr geehrte Frau C.,
für uns ist klar: Die Mitgliedstaaten der EU müssen sich die Verantwortung für schutzsuchende Menschen fair und solidarisch teilen, damit Staaten an den EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland entlastet werden. Im Rahmen eines europäischen Verteilungsmechanismus müssen die familiären Bindungen von Flüchtlingen, Sprachkenntnisse, berufliche Qualifikation und Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden. Wir halten das für den richtigen Weg für eine schnelle Integration und werden darum mit den EU-Partnerinnen und Partnern ringen, auch in dem Wissen, dass das noch ein weiter Weg ist. Dazu gehört, europaweit einheitliche Asylverfahren mit hohem Schutzstandard zu implementieren. Der drohenden Aushöhlung menschenrechtlicher Standards bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems stellen wir uns entgegen. Das Dublin -System hat von Anfang an nicht richtig funktioniert. Wir wollen ein neues, solidarisches System, das auf einer gerechten Verantwortungsteilung unter den Mitgliedstaaten basiert.
Nach unserem Verständnis der europäischen Werte und der Solidarität ist es Aufgabe aller 27 Mitgliedstaaten, Geflüchteten Schutz zu gewähren. Bisher ist es ein großes Problem der Flüchtlingspolitik, dass sich einige EU-Staaten dieser Solidarität verweigern. Für dieses Dilemma gibt es kein Patentrezept. Eine vorübergehende Lösung kann deshalb auch bedeuten, dass sich nur einzelne Staaten innerhalb der EU im Sinne einer offenen Flüchtlingspolitik koordinieren – aber eine dauerhafte Lösung ist das nicht.
Die gegenwärtige Abschottungspolitik der EU und vieler nationaler Regierungen gegenüber Geflüchteten ist menschenrechtlich verheerend, beschädigt die europäische Wertegemeinschaft, verstärkt nationale Egoismen und bietet in keiner Weise Lösungen für die Fluchtursachen. EU-Länder, die sich einer aktiven Aufnahme und den Standards für die Versorgung und die Verfahren der Geflüchteten verweigern, müssen die finanziellen Aufwendungen der anderen Mitgliedstaaten mittragen.
Statt Grenzen dichtzumachen oder auszulagern, setzen wir auf legale und sichere Zugangswege, etwa durch Kontingente der EU bei der Aufnahme von Geflüchteten. Wir werden auf die zügige und bereits beschlossene Umverteilung innerhalb Europas drängen. Hier müssen vor allem die vielen auf der Flucht getrennten Familien im Fokus des politischen Handelns stehen.
Dazu noch ein persönliches Wort:
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich im Sommer mit der Sea-Eye ins Rettungsgebiet vor der libyschen Küste gefahren. Gleich am ersten Tag bat uns das Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) um Hilfe. Wir haben im Tagesverlauf die Menschen auf vier Schlauchbooten mit Rettungswesten und Trinkwasser versorgt. Kleinkinder, Babys, schwangere Frauen und Schwerverletze haben wir an Bord versorgt, bis nach mehr als zehn Stunden ein großes Schiff kam, um die Menschen nach Italien zu bringen. An diesem einen Tag haben wir 500 Menschen das Leben gerettet. Viele von Ihnen hatten Folterverletzungen. Ihre Boote sind nicht darauf ausgelegt, Europa jemals zu erreichen. Sie ertrinken oder verdursten. Aber ihre Rettung ist nicht von allen gewollt. Mit unhaltbaren Vorwürfen werden die NGOs, die immer in Abstimmung mit den italienischen Behörden handeln, diskreditiert. Das Scheitern von Menschlichkeit, das Scheitern der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik - für mich ist es unerträglich.
Deshalb werde ich weiter politisch für ein Europa streiten, in dem keiner untergeht. Zukunft wird aus Mut gemacht: Wir brauchen eine echte Seenotrettungsmission, die Unterstützung für und von den NGOs und endlich sichere Fluchtwege.
Ihre Anna Gallina
Anna Gallina