Wie viele Richter/-innen am Familiengericht in Hamburg sind fachlich zum Thema Kindesentfremdung geschult?
Guten Tag Fr. Gallina, bis heute läuft der https://kindererziehung-summit.de/, bei welchem einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Kindesentfremdung einen sehr spannenden Beitrag dazu gehalten hat. In Verfahren am Familiengericht ist es so, dass, ab einem gewissen Alter, faktisch am Ende nur noch die Aussage von Kindern aus deren Anhörungen zählt. Kinder äußern dann, dass sie nur noch einen Elternteil sehen wollen, bzw. den anderen weniger, wobei dies die Folge einer Kindesentfremdung sein kann. Der Experte sagte auch, dass es einen riesigen Bedarf an Fachschulungen für Richter/-innen, Jungendamtmitarbeiter/-innen ect. gibt. Meine Frage ist, wie viele Richter/-innen am Familiengericht in Hamburg sind fachlich zum Thema Kindesentfremdung geschult? Vielen Dank

Hallo. Vielen Dank für Ihre Frage.
Mit der Theorie der „Eltern-Kind-Entfremdung“ wird auf das überkommene und fachwissenschaftlich als widerlegt geltende Konzept des sogenannten Parental Alienation Syndrom (PAS) zurückgegriffen. Nach derzeitigem Stand der Fachwissenschaft besteht kein empirischer Beleg für eine elterliche Manipulation bei kindlicher Ablehnung des anderen Elternteils oder für die Wirksamkeit einer Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt des angeblich manipulierenden Elternteils (vgl. umfassend Zimmermann/Fichtner/Walper/Lux/Kindler, in: ZKJ 2023, S. 43 ff., und dies. in: ZKJ 2023, S. 83 ff.; Staudinger/Dürbeck (2023) BGB § 1684 Rn. 54).
Auch das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 17. November 2023 (1 BvR 1076/23) festgehalten, dass es für eine auf das Kindeswohl gestützte Entscheidung nicht genügt, auf das sog. PAS zu rekurrieren.
In Hamburg wird die „Theorie der Eltern-Kind-Entfremdung“ daher in Fortbildungen nicht als Grundlage für Entscheidungen in Kindschaftssachen an Familienrichter:innen vermittelt. Das landeseigene Fortbildungsangebot der FHH bietet den Familienrichter:innen vielmehr ein inhaltlich breites Angebot an familienrechtlichen und interdisziplinären Fortbildungen, die Kenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts, insbesondere des Kindschaftsrechts, des Familienverfahrensrechts und der für das Verfahren in Familiensachen notwendigen Teile des Kinder- und Jugendhilferechts sowie Kenntnisse der Psychologie, insbesondere der Entwicklungspsychologie des Kindes, und der Kommunikation mit Kindern vermitteln. Darüber hinaus haben die Hamburger Richter:innen die Möglichkeit an Angeboten des Sozialpädagogischen Fortbildungszentrums (SPFZ) sowie an Veranstaltungen der Deutschen Richterakademie und landeseigenen Supervisionsangeboten teilzunehmen. Das Fortbildungsangebot gewährleistet so einerseits die professionell-fachliche Weiterentwicklung der Richter:innen auf hohem Niveau und fördert anderseits den fachlichen Austausch, sodass insbesondere in Kindschaftsverfahren, stets alle Aspekte des Falles betrachtet werden und in die Entscheidungen miteinfließen können.
Soweit Sie hier kritisieren, dass der geäußerte Kindeswille maßgebliche Bedeutung hat, ist diese Kritik unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unberechtigt. Entscheidungen der Familiengerichte in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren haben sich in erster Linie am Kindeswohl zu orientieren. Dabei ist der Wille des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind zum einen von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Ein vom Kind kundgetaner Wille kann Ausdruck von Bindungen zu einem Elternteil sein, die es geboten erscheinen lassen können, ihn in dieser Hinsicht zu berücksichtigen. Denn jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen den Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nimmt und es daher unmittelbar betrifft. Hat der unter diesem Aspekt gesehene Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringeres Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu.
Die Nichtberücksichtigung des Kindeswillens kann zwar dann gerechtfertigt sein, wenn die Äußerungen des Kindes dessen wirkliche Bindungsverhältnisse, etwa aufgrund Manipulation eines Elternteils, nicht zutreffend bezeichnen oder wenn dessen Befolgung seinerseits mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist und zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde (st. Rspr. des BVerfG, vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 17. November 2023 - 1 BvR 1076/23, Rn. 24). Dabei ist allerdings auch ein „beeinflusster“ Wille des Kindes zu berücksichtigen, weil auch hierdurch eine echte und damit schützenswerte Bindung entsteht (vgl. zuletzt VerfGH NRW, Beschl. v. 9. April 2024 – 110/23.VB-3). Zudem kann ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit unter Umständen mehr Schaden verursachen als nutzen (Altrogge in: BeckOGK-BGB, § 1684 Rn. 374).