Frage an Anna Gallina von Gerhard B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Gallina,
wie stehen Sie persönlich zu der Idee des "bedingungslosen Grundeinkommens"?
Halten Sie es für gerecht, das arbeitende Hartz IV-Empfänger schlechter gestellt sind, als nicht arbeitende Hilfeempfänger?
Freundliche Grüße
G. Bärsch
Lieber Herr Bärsch,
die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird bei den Grünen schon seit vielen Jahren intensiv diskutiert, es gibt viele Befürworter und auch viele Zweifler und erklärte Gegner. Ich selbst habe dazu auch schon eine Veranstaltung mit Beteiligung des Hamburger Netzwerks Bedingungsloses Grundeinkommen gemacht und finde den Diskurs nach wie vor wichtig. Die überaus hohe Resonanz auf die damalige Veranstaltung hat mir auch gezeigt, dass die Idee für viele Menschen eine Überlegung wert ist. Ich selbst habe auch Sympathien für ein bedingungsloses Grundeinkommen, aber auch sehr viele offene Fragen. Wie wirkt sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Lohnentwicklung aus und auf die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt? Wie wird man regional unterschiedlichen Lebenshaltungskosten gerecht? Welche Finanzierungsstruktur ist gerecht und ermöglicht auch ein BGE in ausreichender Höhe?
Eine eigenständige Existenzsicherung halte ich allerdings auch grundsätzlich für erstrebenswert und daher liegt mein Fokus zunächst darauf, jedem Menschen die faire Chance auf eine solche eigenständige Existenzsicherung zu geben.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze hat die Debatte über die Zukunft der sozialen Sicherung richtigerweise wieder Fahrt aufgenommen. Wie hoch ist ein menschenwürdiges Existenzminimum? Was brauchen Menschen, die sich in sozialer Notlage befinden, vom Staat? Wie können wir ihnen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnen?
Als GRÜNE haben wir uns mit Blick auf die Bundestagswahl programmatisch dafür entschieden, konkret vorzuschlagen, was wir auch in den nächsten vier Jahren für umsetzbar halten und machen uns deshalb stark für die Grüne Grundsicherung mit der eine armutsfeste Existenzsicherung und eine Politik des Förderns, der Motivation und der Anerkennung, die ohne Sanktionen auskommt, ermöglicht werden soll. Wir fordern konkret:
Die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II müssen für einen alleinstehenden Erwachsenen auf mindestens 420 Euro angehoben und in regelmäßigen Abständen an die Preisentwicklung angepasst werden.
Kinder und Jugendliche brauchen eigenständige Regelsätze. Diese müssen ihren tatsächlichen altersgerechten Bedarf berücksichtigen.?Wir wollen den Einstieg in eine Kindergrundsicherung machen, in der Kinderregelsätze, Kinderzuschlag sowie die steuerlichen Kinderfreibeträge vollständig aufgehen. Wir wollen dafu?r auch Mittel nutzen, die durch die Veränderung des Ehegattensplittings frei würden. In einem ersten Schritt werden wir unter anderem die Regelsätze fu?r Kinder anheben, damit sie die tatsächlichen Bedarfe der Kinder abdecken.
Bedarfsgemeinschaften müssen abgeschafft werden. Sie benachteiligen vor allem Frauen und zementieren ihre finanzielle Abhängigkeit. Dies wollen wir über eine erhebliche Abschmelzung des Ehegattensplittings finanzieren.?
Wer ALG II bezieht, muss gleichzeitig bessere Möglichkeiten haben, sich Geld dazu zu verdienen.?
Die Jobcenter müssen erhalten bleiben, denn wir wollen Arbeitssuchenden Unterstützung aus einer Hand anbieten. Damit die Zuständigkeit der Kommunen für soziale Hilfe mit der Zuständigkeit der Bundesarbeitsagentur für Förderung und Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt verbunden werden kann, muss das Grundgesetz geändert werden.?
Statt alle Arbeitssuchenden schematisch über einen Kamm zu scheren, wollen wir eine echte individuelle Betreuung und Vermittlung. Die Hilfebedürftigen müssen zukünftig das Recht haben, zwischen verschiedenen Maßnahmen zu wählen. Ihre eigenen Vorschläge und die jeweilige Qualifikation haben dabei Priorität.?
Wir wollen weg von der Unkultur des Misstrauens und des Bestrafens. Solange die von uns geforderten Änderungen bei der Förderung in der Praxis der Arbeitsagenturen nicht umgesetzt sind, fordern wir die Aussetzung sämtlicher Sanktionen (Sanktionsmoratorium).?
Die 400.000 dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Arbeitslosen brauchen endlich eine Perspektive. Sie wollen wir durch langfristig geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wieder integrieren: in der kommunalen Kulturarbeit, bei der ergänzenden Unterstützung älterer Menschen im Haushalt, als Unterstützung in Kitas oder Schulen, aber auch im Naturschutz. Den Lohn zahlen wir aus den Mitteln, mit denen wir bisher Arbeitslosigkeit finanzieren: ALG II, Wohngeld, Fortbildungstöpfe.
Schöne Grüße
Anna Gallina