Wie sollen dir dringenden Menscheitspoblene gelöst werden? Kriegsgefahr, Umweltkatastrophen, Flüchtlinge, Arbeitsplatzabbau, Armut ... wie ist ihre Zukunftsvision?
Sehr geehrte Frau L.,
vielen Dank für Ihre Frage, die eine Fülle von Themenkomplexen anspricht, die natürlich mich persönlich und auch Bündnis90/Die GRÜNEN insgesamt sehr bewegen. Jedoch betrifft ihre Frage derartig viele Politikbereiche, dass sie mir hoffentlich nachsehen, dass ich nicht auf jeden Themenkomplex in größerer Tiefe eingehen kann.
Für die Minderung von Kriegsgefahr ist für die GRÜNEN als Partei, die aus der Friedensbewegung hervorgegangen ist, natürlich immer noch die globale Abrüstung, insbesondere von Atomwaffen zentral. Unser Anspruch ist noch immer nichts Geringeres als eine atomwaffenfreie Welt. Nach der Aufkündigung des Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) zwischen den USA und Russland ist eine neue Vertragsinitiative nötig. Eine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen auf dem europäischen Kontinent lehnen wir ab. Wir wollen den transatlantischen Neustart nach der US-Präsidentschaftswahl und das Wiederbeleben des New-START-Vertrags nutzen, um mit den USA über Barack Obamas „Global Zero“ ins Gespräch zu kommen. Wir wollen ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag.
Ebenso wollen wir den Export von Waffen in Krisengebiete stärker regulieren. Exporte von Waffen und Rüstungsgütern an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete verbieten sich. Für die Reduktion von europäischen Rüstungsexporten wollen wir eine gemeinsame restriktive Rüstungsexportkontrolle der EU mit einklagbaren strengen Regeln und Sanktionsmöglichkeiten. Kooperationen mit dem Sicherheitssektor anderer Staaten müssen an die Einhaltung demokratischer, rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Kriterien geknüpft werden. Für Deutschland werden wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen, ein Verbandsklagerecht bei Verstößen gegen das neue Gesetz einführen und für eine wirksame Endverbleibskontrolle sorgen. Hermesbürgschaften für Rüstungsexporte darf es nicht geben.
Ihre Frage bzgl. der Lösung von Umweltkatastrophen ist natürlich ebenso umfangreich. Gerade für die GRÜNEN ist das einer der zentralen Bereiche politischen Handelns. Zu Bekämpfung der Klimakrise, die bereits heute weltweite einzigartige Ökosysteme unwiederbringlich schädigt, wollen wir die Energie- und Verkehrswende voranbringen, die Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Industrie deutlich ambitionierter angehen, die Landwirtschaft zu einer extensiven und ökologischen Landwirtschaft umbauen, nachhaltige Bauen fördern und deutlich mehr in die Innovationen investieren, die ein klimaneutrale Wirtschaften und Leben ermöglichen können. Nur so können wir auch global zeigen: Wohlstand kann auch klimagerecht funktionieren und Deutschland hat im besten Falle in diesem Feld bereits die Technologien entwickelt, die dazu global verwendet werden können.
Ebenso dramatisch ist für uns jedoch der Verlust der globalen Artenvielfalt. Die Biodiversitätskrise hat beispielsweise zu einem Verlust von 70% der Insektenpopulationen in den letzten 30 Jahren geführt – sie beobachten dies vielleicht sogar selbst im Sommer. Auch hier steuern wir auf eine dramatische Krise für das Gleichgewicht der Ökosysteme hin. Wir setzen uns daher vehement gegen die Zerstörung von Naturräumen wie der Abholzung der Regenwälder ein und werden dies auch in den Mittelpunkt unsere Außenpolitik stellen. Aber auch in Deutschland möchten wir uns für mehr Naturschutzgebiete, Nationalparks und gegen immer mehr Flächenversiegelung einsetzen. Zudem muss Schluss sein mit einer Landwirtschaft, die Felder überdüngt oder mit Neonikotinoiden und dem Einsatz von Glyphosat die Fauna schädigt und unsere Bäche und Grundwässer belastet. Dazu wollen wir u.a. die Agrarsubventionen der EU so umbauen, dass v.a. in die sog. „zweite Säule“ ökologischer Landwirtschaft und Naturschutz mehr Gelder fließen und nicht mehr primär Intensivlandwirtschaft mit subventioniert wird.
Zudem möchten wir uns noch stärker gegen die Vermüllung der Weltmeere einsetzen, u.a. durch ein Verbot des Exports von Plastikmüll oder der Verwendung von Mikroplastik in Konsumgütern, eine angemessene Besteuerung der energetischen Herstellung von Plastik und mehr. Auch die Reparatur und das Recycling von Produkten wollen wir verbessern, u.a. durch ein „Recht auf Reparatur“ von Verbraucher*innen ggü. Herstellern oder eine Komponentenbauweise, die das Recycling z.B. eines alten Smartphones deutlich leichter macht.
Zum Thema Flucht stellen wir fest, dass global die Zahl an flüchtenden Menschen immer mehr ansteigt. Das hängt auch damit zusammen, dass Menschen z.B. vor der Ausbreitung von Wüsten oder Überschwemmungen als ersten spürbaren Folgen des Klimawandels fliehen. Ein Aspekt ist daher den Klimawandel als Fluchtursache zu bekämpfen.
Aber auch für die Entwicklungszusammenarbeit müssen wir mehr investieren: Wir wollen das Ausgabenziel von 0,7% am BIP einhalten und dabei vor allem in sozial-ökologische Entwicklungshilfeprojekte investieren – denn wir wollen die Entwicklungsstaaten der 3. Welt nicht weiter ausbeuten oder als Markt begreifen sondern wirklich dafür sorgen, dass diese mehr Selbstständigkeit und Stabilität erlangen.
Gegen Arbeitslosigkeit wollen wir die aktuelle Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung ausbauen: Das heißt ein Recht auf Weiterbildung zusammen mit einem Weiterbildungsgeld entwickeln, um noch im Erwerbsverhältnis Menschen weiterzubilden noch bevor diese in Arbeitslosigkeit rutschen oder akut davon bedroht sind. Strukturelle Ursachen für Langzeitarbeitslosigkeit wollen wir bekämpfen. Für Menschen, die lange arbeitslos sind, schaffen wir einen dauerhaften sozialen Arbeitsmarkt, der sinnstiftende Tätigkeiten vermittelt. Auch Gründungen aus Phasen der Arbeitslosigkeit heraus wollen wir besser fördern und durch die Krise zurückgeworfenen Berufsanfänger*innen mit einem Einstiegszuschuss eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen.
Die Bekämpfung globaler und nationaler Armut ist ein ebenso breites Feld und zentral für uns. In Deutschland wächst die relative Armut seit Jahren. Wir wollen daher in Chancengerechtigkeit investieren, in unseren Schulen und Hochschulen bzw. Zugänge zu Bildung. Dazu führen wir eine Kindergrundsicherung und eine Studierendengrundsicherung ein und wollen die diskriminierenden und armutsfördernden Regelsätze im Harz-IV-Bezug anheben und Kinder aus der Armutsfalle holen. Ebenso müssen wieder alle von einer florierenden Wirtschaft profitieren können, das war die vergangenen Jahrzehnte leider nicht so. Deswegen braucht es gerechtere Löhne: Den Mindestlohn werden wir auf 12 Euro anheben, uns für eine breitere Tarifbindung in vielen Sektoren einsetzen und die Mindestausbildungsvergütung auf 80% der tariflichen Ausbildungsgehälter festsetzen. Zudem werden wir den Spitzensteuersatz für Topverdiener ab 100.000 EUR Jahreseinkommen moderat anheben und dafür niedrige und mittlere Einkommen entlasten. Gegen Obdachlosigkeit wollen wir einen sofortigen Aktionsplan erstellen und den Housing-First-Ansatz verfolgen: bei dem Obdachlose in eine Wohnung einziehen können, ohne sich zuvor für Hilfe „qualifizieren“ zu müssen. Kein Mensch soll ohne Obdach und eine dauerhafte würdevolle Unterbringung sein. Die Mietpreisexplosion in vielen Städten und Kreisen in Deutschland ist zudem ein massives Problem, wir wollen sie deshalb nachschärfen.
Armutsbekämpfung und gerechte Teilhabe sind zentrale Ziele unseres internationalen Engagements. Wir unterstützen Länder dabei, eine sozialorientierte Wirtschafts- und Steuerpolitik zu verfolgen, setzen uns global für den Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Bildungseinrichtungen ein und den Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Dafür muss der Etat für humanitäre Hilfe jedoch auch mehr Gewicht innerhalb der Bundesregierung erhalten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit ihrer umfangreichen Frage helfen und Ihnen darstellen, was hier meine und die Vorstellung der GRÜNEN für eine ökologischere und sozialere Welt und ein besseres Deutschland von morgen sind.
Mit freundlichen Grüßen,
Anna Christmann