Frage an Anna Christmann von Simon K. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrte Frau Christmann,
angesichts der dramatischen Umstände in Brasilien, sehe ich Handlungsbedarf. Bei einem Despoten, der Brandrodung des Beatmungsgerätes der Welt (Amazonas) zulässt und durch Kürzung von Geldern fördert, muss die EU handeln. Was kann getan werden? Gerade durch das Mercosur-Abkommen kann die EU Druck aufbauen. Angesichts der Lage empfinde ich nur noch Weltschmerz.
Ist eine Blauhelm Mission notwendig?
Sehr geehrter Herr Klanke,
vielen Dank für Ihre Frage vom 20. September 2020. Ich teile Ihre Einschätzung zur Klimakatastrophe in Brasilien. Die Zahlen zu den Waldbränden dort sind alarmierend. Die Zerstörung vernichtet einen großen Teil des Amazonas-Regenwaldes, der für das Klima und insbesondere das 1,5-Grad-Ziel von herausragender Bedeutung ist. Wir als Europäische Union müssen handeln und uns der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes entschieden entgegenstellen.
Wir Grüne sind der Auffassung, dass eine verantwortungsvolle und langfristig tragfähige Handelspolitik wirtschaftliche Interessen, Klima und Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung sowie den Schutz der Menschenrechte in Einklang bringen muss. Es braucht einen Handel, der auf faire Spielregeln setzt und sich im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsagenda und dem Pariser Klimaabkommen in den Dienst des Gemeinwohls stellt. Hohe Standards müssen zum Ziel und nicht zur Zielscheibe von Handelsabkommen werden.
Das von der EU und den Mercosur-Staaten ausgehandelte Abkommen wird dem nicht gerecht. Es ist einseitig auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet und trägt nicht ausreichend Sorge für den Schutz von Umwelt, Klima und Menschenrechten. Der politische Abschluss des Abkommens in der aktuellen Form und in einer Zeit, in der in Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro Umweltschutz und Menschenrechte immer stärker erodieren, war aus meiner Sicht ein schwerer Fehler.
Die Grüne Fraktion hat aus diesem Grund im Januar dieses Jahres den Antrag „Klima und Menschenrechte schützen – EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen stoppen“ (Drucksache 19/16495) in den Bundestag eingebracht. Darin haben wir die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich im Rat der EU für einen Stopp der Ratifizierung des jetzigen EU-Mercosur-Abkommens und für Nachverhandlungen auf Grundlage eines neuen Mandats einzusetzen. Ein solches neues Mandat muss aus Sicht der Grünen Bundestagsfraktion für alle handelsrelevanten Kapitel Regeln für den Schutz und Erhalt von Umwelt, Biodiversität und Klima vorsehen. Auch ein sanktionierbares Nachhaltigkeitskapitel, Vereinbarungen zum Erhalt des Amazonas-Regenwaldes in seiner jetzigen Größe und ein wirksamer Beschwerdemechanismus für Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht fehlen. Der Pariser Klimavertrag muss als wesentlicher Bestandteil verankert werden, sodass ein Austritt aus dem Vertrag oder dessen Nicht-Einhaltung dazu führt, dass der Handelsvertrag gekündigt bzw. ausgesetzt werden kann. Zwar wurde das Abkommen vorerst gestoppt, jedoch sind auch die geplanten Zusatzvereinbarungen der EU nicht hinreichend, um unser Klima ausreichend zu schützen. Daher muss das Abkommen ganz neu verhandelt werden auf Grundlage eines neuen Verhandlungsmandats – auch, um Druck auf Jair Bolsonaro und seine Politik auszuüben.
Auch fordern wir Grüne von der Bundesregierung, dass sie sich auf EU-Ebene für einen effektiven Importstopp für Agrarprodukte einsetzt, die im Zusammenhang mit der Zerstörung von Waldflächen und anderen ökologisch bedeutsamen Gebieten sowie Menschenrechtsverletzungen und Landraub stehen. Die Grüne Fraktion setzt sich zudem sowohl im Bundestag als auch im Europaparlament für einen nationalen und europäischen gesetzlichen Rahmen ein, der sicherstellt, dass unsere Lieferketten frei sind von Menschenrechtsverletzungen, Entwaldung und grenzenlosem Flächenverbrauch sowie anderen Umweltverbrechen.
Gleichzeitig müssen wir auch in Deutschland unsere Hausaufgaben machen. Nur wenn wir selbst unsere Verpflichtungen nach dem Pariser Klimaabkommen einhalten, können wir unseren Forderungen, den Amazonas-Regenwald im Interesse des Klimas zu schützen, die notwendige Glaubwürdigkeit verleihen. Dazu gehört auch, die Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen im globalen Süden durch die EU-Mitgliedstaaten zu reduzieren, zum Beispiel durch den Anbau von alternativen Futterpflanzen in der EU und verringerte Futtermittelimporte.
Zusammenfassen lässt sich sagen, dass wir in Deutschland und Europa handeln müssen. Allerdings wäre aus meiner Sicht eine Blauhelm-Mission keine angemessene Maßnahme. Solch ein Vorhaben müsste von den Vereinten Nationen auf den Weg gebracht werden und wäre zur Lösung dieses Problems nicht angebracht, da es sich um friedenserhaltende beziehungsweise friedensstiftende Maßnahmen handelt. Zudem braucht es das Einverständnis aller Konfliktparteien, was ich in diesem Fall als unwahrscheinlich erachte.
Wir sollten stattdessen unsere starke Position nutzen und durch ein Nachverhandeln des Mercosur-Abkommens den nötigen Druck auf die brasilianische Regierung aufbauen jegliche Naturzerstörung zu stoppen und Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.
Mit freundlichen Grüßen,
Anna Christmann