Frage an Anna Christmann von Deborah S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Christmann,
ich bin von der Geflüchtetenpolitik der Grünen in Baden-Württemberg enttäuscht.
Wie kann es sein, dass Afghanistan als sicheres Herkunftsland gilt und Abschiebungen dorthin statt finden?
Sie sagen oft, dass sie für Vielfalt und Integration sind aber ich habe das Gefühl dass sie sich tatsächlich nicht besonders engagieren, damit sich die Lage der Geflüchteten hier oder in anderen Ländern verbessert.
Können sie mir Beispiele von Situationen/Entscheidungen nennen, in denen sich die Grünen in BaWü seit 2015 explizit für eine Verbesserung der Situation von Geflüchteten, zB eine rechtliche Gleichstellung, eingesetzt haben?
Mit freundlichen Grüßen
D. S.
Sehr geehrte Frau S.,
ich danke Ihnen für Ihre Fragen und für Ihr Interesse an der Situation geflüchteter Menschen!
Die grüne Bundestagsfraktion, der ich angehöre, und die grünen Landtagsfraktionen sind sich einig: Wir lehnen - wie Sie - die gegenwärtigen Abschiebungen nach Afghanistan ab, weil sich die Sicherheitslage des Landes in den vergangenen zwölf Monaten erheblich verschlechtert hat.
Mit einem gemeinsamen Beschluss forderten wir die Bundesregierung auf, die Abschiebungen einzustellen und einen überarbeiteten Lagebericht für Afghanistan vorzulegen. Grundsatz muss sein, dass das Leben und die Unversehrtheit der abzuschiebenden Person nicht gefährdet werden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dies gegenwärtig nicht sicher. Im Übrigen ist Afghanistan nicht als sicheres Herkunftsland eingestuft.
Allerdings sind die Landesregierungen an die Einschätzung der Sicherheitslage durch die Bundesregierung gebunden. Die Landesregierung in Baden-Württemberg sieht sich also aktuell dazu verpflichtet, Abschiebungen im Auftrag des Bundes umzusetzen. Daher hat sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zusätzlich direkt an das Bundesaußenministerium gewandt, um eine neue Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan einzufordern.
Immerhin ist es der grünen Landtagsfraktion gelungen, die Abschiebungen nach Afghanistan möglichst auf Straftäter, Gefährder sowie allein reisende Männer, die nicht den Bleiberechtsreglungen unterfallen, zu beschränken. Zudem hat sie durchgesetzt, dass Einzelfallprüfungen mit der größtmöglichen Sorgfalt durchgeführt werden müssen.
Für untragbar halte ich, dass bundesweit immer wieder Geflüchtete abgeschoben werden, die eine Ausbildung absolvieren. Jungen Menschen in einer Ausbildung sollten durch eine unsichere Aufenthaltssituation nicht zusätzlich Steine in Weg gelegt werden. Daher begrüße ich die Forderung des baden-württembergischen Sozialministers Manne Lucha sehr, den Schutz vor Abschiebungen für Auszubildende zu erweitern. Auf der letzten Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder hat er eine entsprechende Initiative eingebracht. Denn die aktuelle Situation schaffe nicht nur bei den Geflüchteten selbst, sondern auch in den Ausbildungsunternehmen große Unsicherheit. Dabei brauchen wir doch gerade in Mangelberufen wie der Altenpflege qualifizierten Nachwuchs.
Auch darüber hinaus gibt es viele gute Beispiele für Initiativen des grün geführten Sozial- und Integrationsministeriums, die die Lage geflüchteter Menschen in Baden-Württemberg verbessert haben. So stellte das Land 116 Millionen Euro bereit, um 1.000 Stellen für Integrationsmanagerinnen und Integrationsmanager zu finanzieren. In den Medien tauchen sie häufig als IntegrationslotsInnen auf. Sie unterstützen Geflüchtete individuell im Alltag und beraten sie bei ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft. Außerdem bieten sie der aufnehmenden Gemeinde sowie ehrenamtlichen HelferInnen ihre Unterstützung an.
Des Weiteren hat die Landesregierung im März dieses Jahres das Programm „Chancen gestalten – Wege der Integration in den Arbeitsmarkt öffnen“ beschlossen. Zum Beispiel über Sprachkurse sowie über betreute und bezahlte Praktikumsstellen soll den geflüchteten Menschen ein schnellerer Weg in den Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Zudem stärkt das Programm die lokalen Netzwerke von Arbeitsmarkt, Politik und geflüchteten BürgerInnen. – Informationen zu diesen und weiteren Maßnahmen finden Sie auf den Internetseiten der Landesregierung: https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/integration/.
Eine Maßnahme, die mir persönlich besonders am Herzen liegt, ist das Sonderkontingent für verfolgte und misshandelte Frauen und Kinder aus dem Nordirak. 1.100 Personen fanden seit 2015 in Baden-Württemberg Schutz, Stabilität und psychologische Hilfe. Das Programm geht auf eine Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zurück und diente als Vorlage für ähnliche Programme in Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hamburg, Kanada und Australien. Darüber hinaus fördert das Land Baden-Württemberg humanitäre Projekte und psychologische Ausbildungen im Nordirak und verbessert so die Lebenssituation der Menschen vor Ort.
Ich hoffe, meine Antwort beantwortet Ihre Fragen und überzeugt Sie davon, dass wir uns aufrichtig für das Recht auf Asyl sowie für Vielfalt und Integration einsetzen.
Freundliche Grüße
Dr. Anna Christmann