Warum gibt die EU einen Reference Intake für Zucker von 90 g an?
Verschiedene Studien aus z.B. USA/UK legen nahe, dass ein durchschnittlicher Erwachsener nicht mehr als 25-50 g Zucker pro Tag zu sich nehmen sollte. Intrinsischer Zucker in Obst wird hierbei separat betrachtet, da er weniger schädlich ist. Die Reference-Intake-Vorgaben der EU stehen mit exorbitanten 90 g im Widerspruch dazu. Laut Nährwerttabelle wäre es nicht ungesund, anderthalb Tafeln Schokolade pro Tag zu essen. Wieso hält die EU immer noch an diesen Grenzwerten fest? Gibt es Bestrebungen, diese neu bewerten zu lassen, und wie wird die Unabhängigkeit dieser Empfehlungen sichergestellt? Setzen Sie sich dafür ein, dem angloamerikanischen Vorbild zu folgen und intrinsische Zucker nicht mehr in den RI-Grenzwerten zu berücksichtigen?
Dürfen wir bald auch auf weitere Informationspflichten für Lebensmittelhersteller hoffen, wie z.B. Portionsgrößen für alle Produkte, Angaben zu Transfetten, Vitaminen u.ä., Nachhaltigkeitsinfos oder Nährwertangaben im Restaurant?Danke für Ihre Arbeit!
Die EU gibt einen Referenzwert für Zucker von 90 g pro Tag an, der als Orientierung für die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln dient. Dieser Wert umfasst die Gesamtzuckermenge, also sowohl den Zucker, der natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommt, als auch den zugesetzten Zucker. Er basiert auf der Annahme eines durchschnittlichen Energiebedarfs von etwa 2.000 Kalorien pro Tag für einen Erwachsenen. Allerdings gibt es immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf eine deutlich geringere Zuckeraufnahme hinweisen, um Gesundheitsrisiken zu minimieren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass maximal 10 % der täglichen Kalorienaufnahme aus freien Zuckern stammen – was für eine durchschnittliche Kalorienaufnahme etwa 50 g freien Zucker pro Tag entspricht. Mehrere Studien, auch aus den USA und Großbritannien, legen nahe, dass die empfohlene Zufuhr sogar noch niedriger sein sollte und im Bereich von 25–50 g pro Tag liegen könnte. Dieser wissenschaftliche Konsens steht im Widerspruch zum EU-Referenzwert von 90 g.
Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass die WHO zwischen „freien Zuckern“ und „intrinsischen Zuckern“ unterscheidet. Freie Zucker sind Zucker, die Lebensmitteln und Getränken zugesetzt werden, oder Zucker, der natürlich in konzentrierten Säften und Sirupen vorkommt. Diese freien Zucker stellen ein höheres gesundheitliches Risiko dar, insbesondere in Bezug auf Krankheiten wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Intrinsische Zucker hingegen kommen natürlicherweise in Obst und Milch vor und haben einen deutlich geringeren gesundheitlichen Einfluss. Leider berücksichtigt der EU-Referenzwert von 90 g auch die intrinsischen Zucker, was die Festlegung eines sinnvollen Grenzwertes erschwert. Unserer Ansicht nach ist der aktuelle EU-Referenzwert von 90 g daher zu hoch und nicht mit den aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen vereinbar. Besonders die WHO und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) betonen, dass die Zufuhr von freien Zuckern so gering wie möglich gehalten werden sollte. EFSA geht sogar so weit, zu sagen, dass es keine „sichere Obergrenze“ für die Aufnahme von freien Zuckern gibt.
Wir setzen uns dafür ein, dass die EU-Referenzwerte neu bewertet werden, um diese besser an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten. Es sollte stärker zwischen freien und intrinsischen Zuckern unterschieden werden, um den Verbrauchern eine klarere und gesundheitsfördernde Orientierung zu geben. In diesem Kontext schlagen wir vor, dem angloamerikanischen Modell zu folgen, das die freien Zucker in den Empfehlungen stärker berücksichtigt und intrinsische Zucker separat behandelt. In Bezug auf Ihre Frage nach zukünftigen Informationspflichten für Lebensmittelhersteller gibt es tatsächlich Bestrebungen, die Kennzeichnung von Lebensmitteln weiter zu verbessern. Wir unterstützen die Einführung einer Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite der Verpackung, die den Verbrauchern hilft, schnell die wichtigsten Nährwerte zu erkennen. Diese Maßnahme könnte auch die Einführung von „Nährwertprofilen“ umfassen, die die Verwendung von Gesundheits- und Ernährungsansprüchen einschränken, wenn Produkte einen zu hohen Gehalt an Zucker, Salz oder Fett haben. Ein Beispiel wäre, dass Frühstückscerealien, die einen hohen Zuckergehalt aufweisen, nicht als gesunde Lebensmittel beworben werden dürfen.
Darüber hinaus könnte die Einführung von weiteren Kennzeichnungspflichten, wie z. B. Angaben zu Portionsgrößen für alle Produkte, Transfetten, Vitaminen und Nachhaltigkeitsinformationen, die Verbraucher noch besser informieren und gesündere Kaufentscheidungen ermöglichen. Wir hoffen, dass solche Maßnahmen bald zur Realität werden und insbesondere auch eine Nährwertkennzeichnung in Restaurants eingeführt wird. Leider sind diese Maßnahmen bisher nicht vollständig in den Mission Letters der Kommissare enthalten. Es bleibt abzuwarten, ob diese Initiativen im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie stärker in den Fokus rücken. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass die EU verstärkt gesündere und nachhaltigere Ernährungsweisen fördert und entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden.
Ich hoffe, diese Antwort hilft Ihnen weiter. Vielen Dank für Ihre wichtige Frage und Ihr Interesse an einer gesünderen Ernährungspolitik.