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Frage von Steffen S. •

Laut der BKK ProVita und den Abrechnungsdaten der Krankenhäuser mit den Kassen sind die Behandlungen wegen Impfnebenwirkungen 2021 sprunghaft angestiegen. Setzen Sie sich für die Aufklärung ein?

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Sehr geehrter Herr S.,

 

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage und die Möglichkeit, zum Fall der BKK-ProVita-Analyse Stellung zu beziehen.

 

Die Analyse der BBK ProVita geriet aufgrund der angewandten Methodik zur Auswertung der Datenlage bereits mehrfach in die Kritik, u.a. seitens des Bundesvorsitzenden des Verbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Dr. Heinrich. Vor allem werden in der Datenauswertung Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen in einen Topf geworfen und das ist unseriös, da es sich um völlig verschiedene Folgen handelt, die auch völlig unterschiedlich zu bewerten sind. Impfreaktionen sind normal und nicht gefährlich. Impfnebenwirkungen wiederum können leicht oder auch schwer und gefährlich sein.

 

Die Analysegrundlage bildeten Codes, die Krankenhäuser und Ärzte für die Abrechnung von Diagnosen bei den Krankenkassen nutzen. Zur Bestimmung ernsthafter Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung, auf die die Analyse letztendlich abzielen wollte, wurden aber auch jene Diagnosen hinzugezogen, bei denen sich Menschen nur mit erkältungsähnlichen Symptomen haben krankschreiben lassen. Solche Symptome sind jedoch keine meldepflichtigen, unerwünschten "Nebenwirkungen", sondern Impfreaktionen, die völlig normal und unkritisch sind. Ihr Auftreten ist weder überraschend noch speziell gesundheitsgefährdend. Ich habe selbst nach jeder meiner Corona -Impfungen einen Tag lang erkältungsähnliche Symptome gehabt. Darüber hatte mich meine Hausärztin im Vorfeld aufgeklärt, und wie zu erwarten gingen die Impfreaktions-Beschwerden auch ohne irgendwelche Behandlung wieder weg.

 

Es wurde außerdem bei den ausgewerteten Daten nicht zwischen Verdachtsfällen und nachgewiesenen Nebenwirkungen unterschieden, wie Auswertungen des RKI zeigen, gibt es jedoch einen sehr großen quantitativen Unterschied zwischen Verdachtsfällen und den tatsächlich bei Überprüfung nachgewiesenen, unerwünschten Nebenwirkungen.

 

Ich habe die Anhörung im Bundestag im Gesundheitsausschuss verfolgt, bei der ein Sachverständiger der AfD ebenfalls die Abrechnungsdaten bei einer Krankenkasse in dieser Weise interpretierte (da ging es um Krankschreibungen) und in dem Kontext behauptete, es hätte nie eine Überlastung im Gesundheitswesen durch Corona gegeben. Diese Aussage steht in völligem Gegensatz zu allem, was man nicht nur aus Medien, sondern auch aus dem eigenen Umfeld erfahren kann, wenn man Augen und Ohren aufhält. In meinem Landkreis wurden manche Schlaganfall- oder Herzinfarktpatient:innen 1,5 Stunden herumgefahren, weil kein Bett im Krankenhaus frei war. Ein Freund von mir hatte im Februar eine Einweisung in ein Krankenhaus in Frankfurt am Main, er konnte mangels Bett 1 Woche nicht aufgenommen werden. Als ein Bett frei war, ist er kurz danach verstorben - er hätte vielleicht noch leben können, wenn er sofort ein Bett bekommen hätte. Bei meinem Mitarbeiter wurde eine OP, auf die er 1 Jahr gewartet hatte, abgesagt - aus Mangel an verfügbaren Betten und Personal, das war in Berlin. In Kleve, in Nordrhein-Westfalen, hat gerade die ganze Geburtsabteilung eines Krankenhauses geschlossen, weil alle Hebammen erkrankt sind. Laut Krankenhausgesellschaft sind 75 % - Dreiviertel aller Krankenhäuser in ganz Deutschland aktuell nicht in der Lage, ihren Betrieb normal zu führen, weil der Krankenstand wegen Corona so hoch ist. Ich weiß auch noch sehr gut, wie erst vor wenigen Monaten Hubschrauber durch die Republik flogen, um Patienten in andere Bundesländer zu verlegen, z.B. aus Thüringen und Sachsen, weil gerade in Süddeutschland die Betten fehlten.

Häufig werden also selbst von vermeintlichen Sachverständigen derartige Daten aus dem Kontext gerissen, es werden Äpfel und Birnen vermischt, und außerdem (in dem Fall der Anhörung) komplett ausgeblendet, dass unter den 130.000 Todesopfern von Covid19 und vielen Tausende mehr schwer erkrankten, ein hoher Anteil bereits im Rentenalter war, also gar keine Krankschreibung benötigte.

 

Die BKK-ProVita hat sich inzwischen von dem Vorstand getrennt, der den bekannt gewordenen Brief mit irreführenden Daten und falschen Schlussfolgerungen veröffentlicht hatte, mehr dazu kann man hier lesen: https://www.br.de/nachrichten/wissen/bkk-verbreitet-irrefuehrende-zahlen-zu-impfnebenwirkungen,SyShuY4

 

Dass es 2021 zu mehr Arztkonsultationen wegen (auch zu erwartender und harmloser Impfreaktionen) kam, ist im übrigen auch gar nicht verwunderlich, denn inzwischen wurden laut Corona Warn App mehr als 171 Millionen Mal eine Corona Impfung durchgeführt. Eine derartige Impfkampagne hat es so weit ich weiß in Deutschland noch nie gegeben. Ein Vergleich mit Vorjahren macht also gar keinen Sinn. Viele Tausend Menschenleben konnten durch die Impfungen bereits gerettet werden.

 

Ich hoffe, damit Ihre Frage ausreichend beantwortet zu haben und insbesondere deutlich gemacht zu haben, wie wichtig es ist, vielfältige und seriöse Quellen zu verwenden, gerade bei so einem komplexen Thema.

 

Mit freundlichen Grüßen und bleiben Sie gesund

 

Anke Domscheit-Berg

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