Frage an Anke Domscheit-Berg von Bernhard N. bezüglich Wirtschaft
In der letzten Ausgabe der Computerzeitschrift Ct war ein interessanter Bericht über den Zwangsumstieg Niedersachsens von Linux auf Windows zu lesen. Hiernach sieht diese Entscheidung mehr nach "Parteien-Interessensgeschacher"/Lobbyismus als nach durchdachtem und sinnvollen Umstieg aus.
Nach der NSA-Abhöraffaire und nach "Trump" sollten wir Europäer eigentlich gelernt haben, dass wir uns auf die Hinterbeine stellen müssen, um auch eine autarke IT-Infrastruktur zu bekommen. Lizenzkosten für "Quasi"-Monopole auszugeben, die ihrerseits Steuerschlupflöcher ausnutzen, um Steuerzahlungen zu umgehen scheint mir auch nicht gerade sehr sinnvoll.
Wie schätzen Sie die Abhängigkeit des STAATES Deutschland von diesen Quasi-Monopolen ein? Sehen Sie dies als gefährlich für den autarken Staatenverbund Europa an? Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll dieses IT-KnowHow komplett den amerikanischen Unternehmen zu überlassen? Sieht so Deutschlands/Europas Strategie für die "IT-KnowHow-Aufholjagt" aus? ...an amerikanische Unternehmen out-zu-sourcen und damit das KnowHow einer eigene Infrastruktur keine Chance zu geben? Werden wir dadurch nicht noch abhängiger und erpressbarer?
Deutschland ist das Land der Autobauer - bis jetzt. Sollte in Zukunft autarkes Autofahren geben, so wird es eine ruckartige Verschiebung der Wichtigkeit zwischen Automobilbau und IT-Infrastruktur kommen (Google & Co. wetzen jetzt schon die Messer). Es werden vermutlich wesentlich weniger KFZ benötigt, dafür aber eine um so wichtigere Steuerungs- und Logistik-Infrastruktur. Haben wir die Chance hier mitzuspielen bzw. hier eine Führungsrolle zu übernehmen nicht jetzt schon verspielt? Und auf welcher Basis? Microsoft? Google? Sind wir denn alle des Wahnsinns? Sind wir Duckmäuser oder Architekten/"Macher" unserer Zukunft? - bei vielen politischen Entscheidungen bin ich hier manchmal sehr schockiert....
Ich würde mich freuen Ihre Meinung zu diesem Thema zu hören. Vielen Dank!
Hallo B. N.,
Sie sprechen ein sehr wichtiges Thema an, das mir auch sehr am Herzen liegt. Ich finde aus ganz verschiedenen Gründen, dass die mit öffentlichem Geld angeschaffte Software viel häufiger Open Source sein sollte. Einer der Gründe ist die von Ihnen angesprochene Abhängigkeit von großen US-Konzernen, die ja im Übrigen nach wie vor dem Patriot-Act der USA unterliegen und damit per Gesetz dazu verpflichtet sind, ihre eigenen Kunden zu verraten, wenn der US Geheimdienst das wünscht. Eine Kontrolle gibt es darüber nicht, die EU-USA Vereinbarungen sind kein besonders guter Schutz unserer Privatsphäre. Generell sind Monopol-Produkte anfälliger für IT-Sicherheitsprobleme, da sie ein beliebtes Ziel für Geheimdienste und Kriminelle darstellen. Auch die Steuervermeidung der Monopole in Deutschland wäre für mich Grund genug, nicht mehr diese Produkte für Steuergeld zu kaufen. DIE LINKE im Bundestag (MdB Victor Perli) hatte erst vor ein paar Monaten dazu eine Information erbeten (http://perli.de/blog/wp-content/Antwort-Kosten-des-Bundes-f%C3%BCr-Microsoft-Lizenzen.pdf), und erhielt die Auskunft, dass allein 2017 für Microsoft-Lizenzen Bundesbehörden 74 Millionen Euro ausgegeben haben. Von 2015 bis Mai 2019 sind Ausgaben von insgesamt einer Viertel Milliarde Euro für Microsoft-Lizenzen durch den Bund geplant - und das sind noch nicht mal alle Ausgaben, denn einige Ministerien konnten ihre Ausgaben dazu nicht vollständig nennen. Durch diese Lizenzpolitik kommt es zu einem Lock-In-Effekt, der Abhängigkeiten erzeugt, den Einkauf teurer und insgesamt die IT-Landschaft unsicherer macht. Dazu kommt, dass alternative Anbieter keine Chance erhalten. Es gibt zu dem Thema übrigens eine interessante Doku von der ARD: Das Microsoft-Dilemma, abrufbar unter www.youtube.com/watch?v=_ZaDuinGf2o .
Durch öffentlichen Einkauf kann man Industriepolitik betreiben und die praktizierte Industriepolitik begünstigt US-amerikanische Großkonzerne, die bei uns nicht einmal sinnvoll Steuern zahlen, denn über alle diese Lizenzen werden nicht Verträge mit der Microsoft-Niederlassung in Deutschland geschlossen, sondern mit der Europa-Zentrale in Irland, wo besonders niedrige Steuern gelten.
Die Linke im Bundestag und ich als Teil von ihr fordern schon lange, dass es mehr Open-Source-Vorgaben für den Einkauf mit Geldern der öffentlichen Hand geben soll. Dazu habe ich auch vor kurzem selbst eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung (https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/040/1904026.pdf) gestellt, in der es neben Open Data, Korruptionsbekämpfung und Urheberrechtsdurchsetzung durch den Staat auch um den Einkauf von Open Source bei Beschaffungen der Bundesverwaltung geht. Die Antwort war leider unbefriedigend. Auf die Frage nach Vorgaben, Vorhaben und Budgets zur Beschaffung von Open-Source-Software gab es leider keine Zahlen und konkreten Vorhaben, sondern nur einen allgemeinen Hinweis darauf, dass man offene Standards in der Architekturrichtlinie des Bundes festgeschrieben hätte und es ansonsten nach Funktionalitäten, IT-Sicherheit, Interoperabilität, Usability, Realisierungs-, Ausbildungs-, sowie Pflegeaufwand ginge. Da finden sich dann genug Hintertüren, um Standardprodukte von Monopolisten zu bevorzugen, z.B. weil man bei Anwendungen anderer Anbieter einen gewissen Umstellungsaufwand hätte - genau das ist der Lock-in Effekt.
Generell plädiere ich für eine stärkere Regulierung digitaler Konzerne, um ihre Marktmacht und damit den Machtmissbrauch zu beschränken. Eine meiner Forderungen ist die nach einer Interoperabilitätspflicht für soziale Netze, also im Klartext offene Schnittstellen für Facebook und Co., damit der Netzwerkeffekt nicht mehr zu einem Lock-In führt und man mit Freunden in verschiedenen Netzwerken gleichzeitig kommunizieren kann. Damit würden dann auch alternative soziale Netze eine Chance bekommen, die es ja gibt, aber die heute durch die Dominanz von Facebook extrem benachteiligt sind. Das betrifft auch alle europäischen Alternativen. Durch die letzten Facebook-Skandale hat sich politisch einiges bewegt und ich habe den Eindruck, dass es ein Möglichkeitsfenster sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene gibt, hier stärker zu regulieren, denn selbst bei konservativen Politikern hört man jetzt manchmal solche Töne. Die EU hätte die Macht das zu tun und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das auch passiert. Im Ausschuss Digitale Agenda und auf allen Wegen, die mir sonst dafür zur Verfügung stehen, werde ich mich weiter dafür einsetzen. Bei der Beschaffung von Open Source durch den Bund bin ich weniger optimistisch...
Beste Grüße
Anke Domscheit-Berg