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Anke Domscheit-Berg
DIE LINKE
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Frage von Andreas P. •

Frage an Anke Domscheit-Berg von Andreas P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Domscheit-Berg,

Sie haben eine sehr vielseitige und bewegte Biographie inne, die gelegentlich in Teilen der Öffentlichkeit als äußerst sprunghaft und eine Art »Fähnchen im Wind« wahrgenommen wird. Sie haben als Microsoft-Lobbyistin den Sprung zu den damals aufstrebenden Piraten gewagt und plötzlich für freie Software getrommelt. Sie konnten dort aber — ebenso wie bei den Grünen — keinen Parlamentssitz ergattern. Zeitnah haben Sie dann beide Parteien verlassen und Ihr Glück bei der Linken versucht, diesmal mit Erfolg. Dazu möchte ich Ihnen an dieser Stelle graturlieren und Ihnen ebenso viel Erfolg für Ihre politische Arbeit wünschen.

Angesichts Ihrer Biographie würde es mich als Wähler aber interessieren, inwiefern Sie Ihr Engagement bei der Linken als Aufgabe der Dauer ansehen? Oder wird Ihre politische Arbeit ebenso von sprunghaften Wechseln geprägt sein, wie Ihre bisherige persönliche Biographie?

Ferner haben Sie Ihre bisherige Aktivitäten immer sehr eng mit Ihrem Ehemann getätigt und koordiniert. Inwiefern sind Sie noch bei ViaEuropa involviert und/oder beratend tätig? Können Sie finanzielle und sonstige Konflikte vollends ausschließen?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr P.,

Ich möchte Sie in einigen Ihrer Aussagen etwas korrigieren, die Sie Ihrer Frage vorangestellt haben und von denen Sie so tun, als wären es andere, die so denken, aber vermutlich denken Sie auch so, sonst hätten Sie nicht so abwertende Begriffe wie "Parlamentssitz ergattern" verwendet. Ich finde das schade, weil es auf Vorurteilen und Unkenntnis basiert. Bei Microsoft habe ich bis Anfang 2011 gearbeitet, insgesamt etwa 3 Jahre (von inzwischen 25 Berufsjahren). In dieser Zeit habe ich mich für Open Government stark gemacht, einen Bereich, in dem Microsoft nach meiner Kenntnis nur Open Source Anwendungen zu bieten hatte - ich habe jedenfalls nur solche gekannt. Mit dem Vertrieb hatte ich nie zu tun, auch nicht mit dem Vertrieb kommerzieller Lizenzen, für Office oder Server oder dergleichen. Bei den Piraten bin ich erst 1 Jahr später eingetreten, nach dem ich ziemlich viele Jahre bei den Grünen zahlendes Mitglied war. Bei den Grünen hatte ich in all den Jahren nie ein Amt oder Mandat inne, ich habe mich vor allem auch nie - kein einziges Mal - um irgendein Amt oder Mandat bemüht. Der häufig geäußerte Vorwurf (auch von Ihnen), ich hätte erst bei den Grünen und dann bei den Piraten Politkarriere machen wollen, ist also falsch.

Bei den Piraten habe ich mich mit Leib und Seele reingehängt, denn ich wollte endlich digitale Kompetenz in der Politik vertreten sehen. Eingetreten bin ich aber erst, nachdem ich zig mal von Piraten zum Eintritt gedrängt worden bin und weil mich die Grünen mit der mangelnden Umsetzung von Open Government in ihren Landesregierungen enttäuscht hatten. Bei den Piraten habe ich Lust auf aktive Politik bekommen und habe mich erfolgreich um das Amt der Landesvorsitzenden in Brandenburg beworben und um vordere Listenplätze bei der Bundestagswahl 2013 und der Europawahl 2014. Gerade die letzten 1,5 Jahre mit diesen Wahlkämpfen waren jedoch äußerst unangenehme Erfahrungen und damit meine ich nicht meine erheblichen Verdienstausfälle in der Zeit, weil ich als Selbstständige einen großen Teil meiner Arbeitszeit unbezahlt für die Partei eingesetzt habe. Ich habe meine Gründe in meinem Blogpost zu meinem Austritt zusammengefaßt, ich möchte sie hier nicht in der Ausführlichkeit wiederholen. Man kann das nachlesen unter: http://ankedomscheitberg.de/?p=1763 . In Kürze waren es der unfaßbar schlechte Umgang miteinander (inklusive ausuferndem Sexismus), der unprofessionelle Boykott großer Teile der Piraten mitten im Wahlkampf - die Prioritäten wurden einfach völlig verfehlt, die mangelnden strategischen Visionen, das Nicht-Leben der eigenen Programmatik, aber auch der letztliche Rechtsruck innerhalb der Partei, der mir als Mensch mit linkem Wertegerüst gegen die eigenen Überzeugungen ging.

Ich habe mir seinerzeit (2014) geschworen, nie wieder was mit Parteien zu machen... 2 Jahre später bin ich von den Linken angesprochen worden (es war NICHT anders herum!) und ich habe wochenlang Bedenkzeit gebraucht und Familienrat darüber gehalten, weil ich eben genau nicht wieder in die Politik wollte. Ich hatte ein Startup gegründet, ich war erfolgreiche Publizistin, ich hatte ein sehr gutes Einkommen, eine verträgliche Work-Life-Balance, ich hatte viele Hobbies, ein breites Freundesnetzwerk - mit dem ich auch Zeit verbringen konnte. Vieles davon mußte ich für die jetzige Aufgabe aufgeben. Ich habe mein Startup verlassen, habe kaum noch Privatleben, 2017 gab es auch keinen einzigen Urlaub, mein Garten ist weitgehend vergammelt, meine Hobbies müssen ohne mich auskommen und meine Freunde auch. Ich habe das vorher gewußt und in Kauf genommen, weil es gerade wichtig ist, politisch aktiv zu sein - gegen rechts (weil: AfD) und für eine sozial gerechte digitale Politik, für gute und kompetenzbasierte Zukunftspolitik (mehr dazu in meinem Blogpost: http://ankedomscheitberg.de/?p=3058 ). Wir haben das als Familie gemeinsam entschieden, denn meine Familie muss besonders auf mich verzichten. Ich brauchte keinen Parlamentssitz aus Karrieregründen und wer denkt, man liegt da für viel Geld auf der faulen Haut, hat leider wenig Vorstellung vom realen Leben im Bundestag.

Nun zu Ihrer Frage, ob mein Engagement bei Der Linken von Dauer sein wird. Sie fragen, ob meine politische Biographie genauso sprunghaft sein wird, wie meine persönliche. Ich weiß nicht genau was Sie damit meinen, denn meine Mitgliedschaft bei Grünen und Piraten war auch Teil meiner politischen Biographie und gerade weil ich schon in 2 Parteien Mitglied war, bin ich nicht wieder Mitglied einer Partei (der Linken) geworden, sondern parteilos geblieben. Wenn Sie sich die Mühe machen, und meine Äußerungen der letzten 20 Jahre nachverfolgen, werden Sie feststellen, dass mein Wertegerüst - also meine politischen Einstellungen sich nicht verändert haben. Sie können ja bei YouTube mal einen Ausschnitt aus der Anne Will Debatte zum Thema Kapitalismuskritik ansehen, an der ich beteiligt war - vor 5 Jahren - als Landesvorsitzende der Piraten, und dann überlegen, ob sich das anders anhört, als das, was ich heutzutage im Rahmen meines Mandats für die Linksfraktion so sage:
https://www.youtube.com/watch?v=1SRkzYHV8Lo&t=12s .

Wie lange ich als Bundestagsabgeordnete aktiv sein möchte, kann ich noch schwer sagen, im Moment kann ich mir erst mal nur eine Legislaturperiode vorstellen. Spätestens nach der zweiten ist auf jeden Fall Schluss. Ich bin generell dafür, dass man nicht länger als 2 Legislaturen ohne Unterbrechung Abgeordnete sein sollte, damit man wieder engeren Kontakt zum sonstigen Leben haben kann. Werde ich deshalb unpolitisch werden oder meine politischen Werte ändern? Ganz sicher nicht. Ich werde danach eben wieder als Aktivistin politisch sein - mit immer noch den gleichen Werten: und die sind links, grün und für eine gute digitale Zukunft, so wie immer.

Und um Ihre letzte Frage auch noch explizit zu beantworten: ich habe schon vor 1 Jahr meine Anteile an der ViaEuropa abgegeben und vor Antritt meiner Abgeordnetentätigkeit bin ich aus der Geschäftsführung ausgestiegen, ich habe also keinerlei Aufgabe und Rolle mehr in dem Unternehmen.

mit freundlichen Grüßen,
Anke Domscheit-Berg (die sich zeitlich so eine lange Antwort nur leisten kann, weil sie heute Urlaub hat)

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