Frage an Anja Weisgerber von Lounis G. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Weisgerber,
ich habe eine Frage bezüglich der Wahlfreiheit des Bürgers. Durch Demokratie ist es jedem Bürger erlaubt zu wählen, unabhängig davon, ob er sich mit Politik befasst hat oder nicht. Das Wahlrecht wird gewährt, aber das benötigte Wissen und die Einsicht in die Politik, die erforderlich ist, um vom Wahlrecht sinnvoll Gebrauch zu machen, muss sich jeder selber aktiv aneignen. Der Sozialkundeunterricht, der in einem Alter besucht wird, in dem Interesse an der Politik keine Gegebenheit ist, reicht für mich nicht aus. Ich bin mir sicher, dass es einige sich nicht ausgiebig mit den Parteien und ihren Programmen auseinandersetzen oder dies nur oberflächlich tun. Es sollte nicht reichen, eine Partei mit der Begründung zu wählen, dass sie z.B. links ist.
Meine Frage ist jetzt, ob es in der Zukunft möglich ist, das Wahlrecht nur für diejenigen zugänglich zu machen, die sich zuvor aktiv mit Politik beschäftigt haben, z.B. durch angebotene Kurse. Jede volljährige Person (oder z.B. 17+) kann sich also ein Zertifikat erwerben, welches einem das Wahlrecht gewährt. Es wäre kein Entzug des Wahlrechts, da jeder Interessierte es erwerben kann. Momentan ist die einzige Einschränkung das Alter, was ich persönlich als nicht ausreichend empfinde. Durch eine zusätzliche minimale Hürde könnten zumindest alle die ausgeschlossen werden, die nur wählen, weil sie Lust darauf haben, und die, die keine oder kaum eine Ahnung haben. Es einfach der Eigenverantwortung der Bürger zu überlassen, sich vor der Wahl zu informieren, klingt für mich so, wie als wenn jede volljährige Person Auto fahren darf. Für mich wäre es sinnvoll, etwas Analoges zum Führerschein für das Wahlrecht einzuführen, was wie eine Einschränkung erscheinen mag, aber notwendig ist, da sie dem Bürger hilft, sich den Wert und die Verantwortung des Wahlrechts bewusst zu machen. Was ist Ihre Meinung dazu?
Danke für Ihre Zeit.
Mit freundlichen Grüßen
Lounis Gaoui
Sehr geehrter Herr Gaoui,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Wahlrecht und Ihren Vorschlag zu einem vorgezogenen Wahlreicht bei entsprechendem Nachweis eines Geeignetheitszertifikats.
Ich finde es positiv, dass Sie sich so intensiv mit der Frage auseinandersetzen und schlussfolgere daraus, dass Sie selbst von Ihrer Stimme Gebrauch machen und die Demokratie mitgestalten wollen.
Juristisch ist es schwierig, den Zugang zu Wahlen nach einer individuellen Prüfung zu gewähren. Der Grundsatz der Demokratie verlangt hier einen generalisierten Ansatz. Zudem ist der Aspekt der Einheit der Rechtsordnung zu berücksichtigen: Sowohl im Zivilrecht (volle Geschäfts- und Deliktsfähigkeit) als auch im Strafrecht (grundsätzlich volle strafrechtliche Verantwortlichkeit) wird mit der Anknüpfung an die Vollendung des 18. Lebensjahres an die vorher noch nicht abgeschlossene geistige Entwicklung von Jugendlichen angenommen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn man davon ausginge, dass Jugendliche unter 18 Jahren politisch entscheidungsfähig seien, sie aber nur bedingt privatrechtliche Verpflichtungen eingehen können sowie nur bedingt für strafrechtlich verantwortlich erachtet werden. Mit einer Entkoppelung der Altersgrenzen für Volljährigkeit und Wahlfähigkeit bestünde die Gefahr, dass die Politik zu einem Lebensbereich nachrangiger Bedeutung abgewertet wird.
Mit freundlichen Grüßen
Anja Weisgerber