Frage an Anja Weisgerber von Elisabeth E. bezüglich Bundestag
Dass der Bundestag mit der Anzahl der Abgeordneten aufgebläht und wenig effizient ist, scheint den meisten bekannt. Vor allem vor dem Hintergrund der anstehenden Corona-Mehrausgaben scheint es mir noch notwendiger, hier abzuspecken. Was beabsichtigen Sie konkret zu tun, das Wahlrecht noch rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl dahingehend zu ändern, dass eine Mehrheit für die Verkleinerung erreicht wird? Es sind unsere Steuergelder, die hier verschwendet werden. Bitte helfen Sie mit, hier die gebotene Vernunft einzubringen.
Sehr geehrte Frau Ebert,
vielen Dank für Ihre Zuschrift, in der Sie auf die bevorstehende Novellierung des Bundestagswahlrechts Bezug nehmen.
Aktuell zählt der Deutsche Bundestag in dieser Wahlperiode 709 Abgeordnete – statt 598. Ich stimme Ihnen deshalb zu, es besteht Handlungsbedarf. Der Bundestag muss auf die vorgesehene Größe konzentriert werden. Und ja, die aktuell vorgeschlagene Verringerung der Zahl der Wahlkreise ist nicht der richtige Weg, dieses Ziel zu erreichen.
In der Bundesrepublik haben wir ein kluges Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. Eine Hälfte der vorgesehenen 598 Volksvertreter wird durch die Mehrheit der Erststimmen in den Wahlkreisen bestimmt. Über die Landeslisten der Parteien zieht eigentlich die zweite Hälfte der Abgeordneten in den Bundestag ein – doch stattdessen werden auf diesem Weg durch Überhangmandate inzwischen 409 Abgeordnete bestimmt, statt 299. Die Erststimme ist somit für die Zusammensetzung der Parteien im Parlament damit quasi irrelevant geworden. Dabei ist es der Direktkandidat, der für die Wähler ansprechbar ist, für Bürgernähe steht und das Ohr am Volk hat. In Zeiten sinkenden Vertrauens in Politik und Demokratie hat das entscheidende Bedeutung. Durch die Verringerung der Wahlkreise verlören die Erststimmen weiter an Bedeutung. Das Parlament würde durch weniger direkt gewählte Kandidaten verkleinert. Je größer der Wahlkreis, desto geringer die Identifikation mit dem „eigenen“ Kandidaten. So sinkt die Bürgernähe weiter – schon jetzt sind die Wahlkreise in Folge rückläufiger sitzungsfreier Zeit kaum noch zu bewältigen. Das Problem der Überhangmandate wird so auch nicht beseitigt, sondern nur abgeschwächt – ob die Verringerung der Zahl der Wahlkreise seine Zielmarke von 630 Mandaten erreichen wird, halte ich für eher ungewiss.
Besser ist die Rückbesinnung auf den Geist unseres Wahlsystems durch ein echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht. Das Verfassungsgericht lässt dies ausdrücklich zu. Konkret heißt das, dass die Wahlkreise bleiben, mit ihnen die 299 direkt gewählten Mandatsträger. Die Überhangmandate würden somit wegfallen und die Listen bestimmen nur die vorgesehenen 299 weiteren Kandidaten. Der Vorschlag garantiert ein absolutes Gleichgewicht der Stimmen und das Erreichen der Zielgröße. Und das Wichtigste, dieser Weg ist der geeignete, um Vertrauen in die Demokratie zu erhalten.
Sehr geehrte Frau Ebert, ich danke Ihnen nochmals für Ihre Anregungen zur Ausgestaltung der Wahlrechtsreform. Seien Sie sich sicher, wir arbeiten intensiv daran, ein neues Wahlrecht zu verabschieden, das die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzt und den Interessen der Wähler in Deutschland am meisten gerecht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Anja Weisgerber