Frage an Anja Piel von Thomas V. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Piel,
ich komme aus Völkersen, dem Dorf im Zentrum der niedersächsischen Erdgasförderung, das durch die Vor- und Unfälle - verursacht durch das Erdgas-Förderunternehmen RWE Dea, in den letzten Jahren traurige Berühmtheit erlangt hat. Sie wissen sicher davon. Nach wie vor sind hier die wichtigsten Probleme der konventionellen Erdgasförderung nicht gelöst. 1. Die Entsorgung des mit Benzol, Quecksilber und radioaktiven Stoffen belasteten Lagerstättenwassers. 2. Das ungefilterte Abfackeln. 3. Der Umgang mit der zunehmenden Erdbebengefahr und deren Folgen. Trotzdem wollen die Herren Minister Lies und Wenzel jetzt per Erlass die umstrittenen Fördermethode Fracking im hiesigen konventionellen Fördergebiet wieder zulassen und so dem Druck der Industrie nachgeben, die nach zwei Jahren eines stillschweigenden Moratoriums endlich wieder „fracken“ möchte. In diesem Erlass, der im übrigen rechtlich kaum haltbar ist, da er eine UVP voraussetzt, die es so im Berggesetz nicht gibt, wird unter anderem auch das Verpressen des giftigen Lagerstättenwassers in den Untergrund als die nachhaltige Entsorgungsmethode verankert, ohne dass es dafür irgendeine neutrale wissenschaftliche Bewertungen gibt. Stattdessen wird schlicht, wie wir aus einem Gespräch mit Herrn Wenzel wissen, der Sprachgebrauch der Industrie übernommen: "Wir bringen es dahin, wo es her kommt." Dass sich zum Beispiel durch die seismischen Ereignisse Wegsamkeiten ins Grundwasser und schlimmstenfalls in Trinkwasserreservoir der Rotenburger Rinne bilden können oder wie lange die Dichtigkeit der Bohrlochzementierungen gewährleistet werden kann, sind nur zwei von vielen Fragen, die aber zunächst wissenschaftlich und neutral beantwortet werden müssten, bevor man zukünftig irgendwelche Genehmigungen erteilt. Bitte teilen Sie mit Ihre Meinung zum Erlass und den o.a. Problematiken mit und was Sie gegebenenfalls im Interesse der Umwelt dagegen unternehmen wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Vogel
Sehr geehrter Herr Vogel,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Risiken der Erdgasförderung beschäftigen uns sehr. In Niedersachsen werden immerhin 95% des heimischen Erdgases gefördert. Das entspricht rund 12 % des bundesweiten Verbrauchs.
Erdgas ist im wahrsten Sinne des Wortes fossil. Doch nicht nur der Energieträger stammt aus geologischer Vorzeit, sondern auch das dafür geltende Bundesbergrecht. Dieses regelt die Suche und Gewinnung von Rohstoffen in der Tiefe und basiert auf dem Prinzip der Bergfreiheit. Bodenschätze sind demnach unabhängig vom Grundeigentum des Bodenbesitzers. Ziel dieser Regelung war der vereinfachte Zugriff auf die für die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts wichtigen Rohstoffe. Zeitgemäß ist das insbesondere in Hinblick auf den Umweltschutz, nicht mehr.
Heute darf oberirdisch aus guten Gründen und nach langem Kampf kein Projekt mehr - vom Radweg bis zum Großkraftwerk - ohne Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gebaut werden. Umweltrisiken müssen abgeschätzt, negative Folgen vermieden und ausgeglichen werden. In öffentlichen Beteiligungsverfahren werden mögliche Betroffene, Behörden und Umweltverbände angehört. Unterschiedliche Argumente werden abgewogen und müssen in die Entscheidung über ein Projekt einfließen. Das alles kennt das veraltete Bergrecht nicht.
Die Folge: Wer Erdgas fördern will, darf das - unter Einhaltung bestimmter technischer Regeln. Das Land Niedersachsen beziehungsweise das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) ist zwar Genehmigungsbehörde, doch besteht ein Genehmigungsanspruch, selbst wenn Bedenken vorliegen. Nur deswegen dürfen Unternehmen wie ExxonMobil, RWE-DEA und Wintershall derzeit erkunden, ob und wo es in Niedersachsen sogenanntes Schiefergas gibt. Die Nutzung ist bekanntermaßen heftig umstritten, da die Förderung nur mittels systematischen und flächendeckenden "Frackings" unter Einsatz giftiger chemischer Substanzen möglich ist.
Wir Grüne fordern seit Jahren eine Novellierung des Bergrechts durch den Bund. Diese ist trotz des inzwischen breiten gesellschaftlichen Widerstandes gegen Frackingvorhaben bislang nicht erfolgt. Ein entsprechender Antrag unserer Bundestagsfraktion liegt vor. Leider hat dieser bislang nicht die Unterstützung der Großen Koalition gefunden. Und wir haben wenig Hoffnung, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird.
Eine Bundesratsinitiative des rotgrün regierten Landes Niedersachsen ist auf dem Weg. Beide Initiativen nehmen ausdrücklich auch die Forderung nach der Beweislastumkehr bei Schäden in Folge der Erdgasförderung, u.a. durch Erdbeben, am Eigentum Dritter auf.
Darüber hinaus will die Landesregierung mit einem Erlass den landespolitischen Handlungsspielraum maximal nutzen, um die Umweltrisiken der niedersächsischen Erdgasförderung zumindest einzugrenzen. Medienberichte, unter Mitwirkung der Grünen würde der Weg fürs Fracking in Niedersachsen frei gemacht, entbehren also jeder Grundlage. Was wir nicht verhindern können, wollen wir wenigstens erschweren und reglementieren.
Erstmals umfasst diese Prüfung dann auch die Auswirkungen auf die Geologie, den unterirdischen Naturraum. Die Landesregierung will mit dem Erlass auch klarstellen, dass in Niedersachsen das Zutagefördern von Lagerstättenwasser bei der Gasförderung aus großen Tiefen genauso wie das Einbringen von Frack-Flüssigkeiten in die tiefen Lagerstätten Eingriffe in den Wasserhaushalt darstellen. Das bedeutet, dass Frack-Flüssigkeiten keine giftigen Stoffe enthalten dürfen und das anfallende Lagerstättenwasser umweltverträglich entsorgt oder ohne Gefährdung für die Umwelt in die Lagerstätte zurückgeführt werden muss.
Der Erlass wird in seinen Details derzeit erarbeitet. Wenn Sie dazu konkrete Anregungen haben, so können Sie diese gerne an die Landesregierung senden, damit diese berücksichtigt werden können. Gerne können Sie sich diesbezüglich auch an das Büro unseres zuständigen Abgeordneten, Herrn Volker Bajus ( volker.bajus@lt.niedersachsen.de ), wenden.
Unabhängig davon ist es sicher sinnvoll, sich zu diesem wichtigen Thema auch weiterhin mit anderen interessierten Bürgerinnen und Bürgern auszutauschen. Auch außerhalb der Parlamente muss über den Umweltschutz diskutiert werden. Politischer Druck, der sich in parlamentarischen Entscheidungen niederschlägt, entsteht bei den Menschen. Ich unterstütze darum Ihr Engagement ausdrücklich.
Mit freundlichen Grüßen
Anja Piel