Frage an Anika Catharina Tanck von Armin S. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Tanck,
warum möchte die Piratenpartei die sog. Netzsperren verbieten? Damit können doch u.a. Kinderpornoangebote aus dem Internet entfernt werden! Das leuchtet mir nicht ein: ist Ihre Partei dafür, dass es weiterhin kinderpornographische Angebote im Internet gibt?
Mit freundlichen Grüßen
Armin Schneider
Guten Tag Herr Schneider,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Gerade die Beantwortung dieser Frage liegt mir am Herzen, da wir in dem Punkt oft missverstanden werden. Zunächst möchte ich betonen, dass die PIRATEN natürlich gegen den Missbrauch von Kindern und deshalb natürlich auch gegen Inhalte im Internet sind, die den Missbrauch von Kindern zeigen.
Kindesmissbrauch ist eins der verabscheuungswürdigsten Verbrechen überhaupt. Leider sind Netzsperren völlig ungeeignet, den Kindesmissbrauch und die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte zu verhindern, denn es wird nur der Zugang dazu gesperrt, gewissermaßen ein Vorhang (das bekannte Stoppschild) vorgezogen. Diese Sperre ist jedoch legal innerhalb von dreißig Sekunden zu umgehen. Leute, die tatsächlich auf solche Inhalte zugreifen wollen, wissen das selbstverständlich.
Die Piratenpartei fordert daher, diese Inhalte zu löschen, statt nur den Weg dorthin zu verstellen. Dass eine Löschung, entgegen der Aussagen Frau von der Leyens, möglich ist, wurde bereits vielfach nachgewiesen. In Dänemark zum Beispiel ist die Sperrliste öffentlich geworden. Daraufhin haben Internetaktivisten die Provider per E-Mail angeschrieben, bei denen der Speicherplatz für die Inhalte gemietet war, und um Löschung gebeten. Nach einem Tag waren bereits 60% der Inhalte gelöscht, der Rest folgte innerhalb kurzer Zeit - völlig unabhängig davon, in welchem Land die Server standen.
Man könnte nun den Standpunkt vertreten, dass sich Sperren schon dann lohnen, wenn dadurch auch nur ein paar Klicks verhindert werden. Das sehen wir anders, denn Zugangssperren sind nicht nur nutzlos, sondern bergen auch verschiedene Gefahren und bedeuten eine Aufweichung der Grundrechte. Da das Bundeskriminalamt alleine entscheiden kann, welche Server auf diese Liste kommen, ist die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben. Zudem wird mit den Sperren eine Zensurinfrastruktur etabliert, die später für andere Zwecke als der legitimen Sperrung von kinderpornografischen Inhalten verwendet werden kann. Forderungen dazu aus Reihen der CDU/CSU gibt es schon jetzt.
Außerdem ist die Gefahr des Missbrauchs und der Fehlwirkung der Liste groß. Kommt sie an die Öffentlichkeit, was wahrscheinlich ist, da sie in kurzen Intervallen an alle Provider ausgeliefert werden muss, wird sie einerseits zum Katalog für Leute, die solche Inhalte suchen und andererseits zur „Ächtungsliste“ auch derer, die versehentlich dort eingetragen sind. Versehentliche Eintragungen von Servern, die gar keine zu beanstandenden Inhalte enthalten, kommen in den Ländern, in denen schon gesperrt wird, häufig vor. Wem den Stempel „Kinderporno“ aufgedrückt worden ist, wird ihn nicht wieder los, auch wenn das zu Unrecht geschah. Durch Trojaner, Mail-Spamming oder irreführende Suchergebnisse kann das auch unbedarften Menschen passieren, wenn deren PC gesperrte Inhalte auf diese Arten aufruft und die Zugriffe protokolliert werden.
Ein weiterer technischer Aspekt ist die übliche Vorgehensweise der Provider, viele verschiedene Web-Angebote zusammen mit auf einem Server unter der gleichen IP-Adresse abzulegen, weil man nicht für jede einzelne Website einen eigenen Server aufsetzen kann. Wird diese IP-Adresse gesperrt, weil eine dieser Webseiten zu beanstandendes Material enthält, rutschen allen anderen auf diesem Server gehosteten Webseiten mit in die Sperre hinein.
Aus unserer Sicht ist die Sperre von Webseiten nichts weiter als ein Versuch, mit dem Thema „Kinderschutz“ Wählerstimmen zu holen - wer ist schon dagegen, Kinder zu schützen? Die durch das populistische Gesetz gewonnen Wähler legen sich mit dem guten Gefühl zurück, „etwas für die Kinder“ getan zu haben. Dabei geht jedoch unter, dass mit diesem Gesetz kein einziges Kind geschützt wird - während dort, wo der Kindesmissbrauch tatsächlich passiert, nämlich im privaten Bereich, wie bisher weiter vergewaltigt wird. Vom täglich passierenden Missbrauch wird nur etwa 1% mit Kameras dokumentiert und publiziert, der größte Teil geschieht in aller Stille.
Die drei Millionen Euro, die nun in die Umsetzung des neuen Gesetzes gesteckt werden sollen, wären aus unserer Sicht besser in der personellen Aufstockung der Polizei und Staatsanwaltschaften aufgehoben, wo es in ausrechend dokumentierten Fällen nicht zur Anklage kommt, weil sie aus Zeitmangel nicht vor dem Ablauf der Fristen bearbeitet werden können. Aus dem Grunde will der Oberstaatsanwalt Peter Vogt, Leiter der Zentralstelle für Ermittlungen gegen Kinderpornografie in Sachsen-Anhalt, zum Ende des Jahres sein Amt niederlegen.
Ungeachtet all dieser Kritikpunkte wird nach der Wahl jeden Monat stolz verkündet werden, wie viele tausend Klicks durch die Sperren verhindert worden sind - ohne zu beachten, dass die meisten Zugriffe automatisiert erfolgten, zum Beispiel von den vielen Suchmaschinen, die das WWW permanent durchforsten oder durch die Seitenaufrufe tausender Virenverseuchter PCs und Server, von denen aus sich die Schädlinge weiter verbreiten wollen und nach infizierbaren Webservern suchen.
Die Kurzform meiner Antwort ist also: Wir sind gegen das Zugangserschwerungsgesetz, nicht aber gegen die Ächtung und Beseitigung kinderpornografischer Inhalte im Internet. Wir wollen, dass es richtig gemacht wird. Deshalbfordern wir: "Löschen statt Sperren!"
Mit freundlichen Grüßen
Anika Tanck