Frage an Angelika Krüger-Leißner von Andreas M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Krüger-Leißner
was halten Sie von dem bedingungslosen Grundeinkommen?
Denken Sie nicht auch, dass es ungerecht ist, dass in einem reichem Land wie Deutschland Menschen in Armut leben, obwohl sie um Unterstützung vom Staat gebeten haben?
Sollten nicht 3,5 Millionen Deutsche, viele Kinder und Rentner die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, anstatt nur ihre nackte Existenz abgesichert zu wissen?
Ein Wechsel zum Grundeinkommen würde soviele positive Dinge mit sich bringen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen:
... stärkt die Familie.
... fördert Innovation
... stärkt die Unternehmen.
... stärkt die Volkswirtschaft. Unproduktive Industrien und Wirtschaftszweige müssen nicht mehr subventioniert werden.
... ermöglicht einen umfassenden Abbau von Bürokratie, auch in den Sozialsystemen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt weitestgehend bestehende Sozialleistungen.
Das bedingungslose Grundeinkommen wird von vielen namenhaften Wissenschaftlern, unter ihnen zwei Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften gefordert.
Mehrere voneinander unabhängige Studien belegen eine Finanzierbarkeit.
Dass Menschen mit Kürzungen der Sozialleistungen zur Arbeit bewegt werden müssen, ist auch eine sehr fadenscheinige Praktik.
Wäre es nicht motivierender für Arbeitslose, wenn sie mehr als 20% von ihrem erarbeiteten Geld behalten können?
Denken Sie wirklich, ihre Wähler wollen hören, dass sie potentielle Faulenzer sind, die zur Arbeit gezwungen werden müssen?
Sollte sich die SPD nicht langsam von der eingestaubten Idee der Vollbeschäftigung lossagen und nach neuen, innovativen Lösungen suchen?
Ich glaube, es ist Zeit für eine wirkliche Verbesserung, nicht nur für Ausbesserungen an einem maroden System.
Was glauben Sie?
Freundliche Grüße
A.Milinski
Sehr geehrter Herr Milinski,
vielen Dank für Ihre Frage bezüglich des bedingungslosen Grundeinkommens.
Ich bin mit Ihnen in vielen Punkten völlig einer Meinung. Es ist nicht hinzunehmen, dass in unserem Land, das eines der reichsten der Welt ist, viele Menschen trotzdem in Armut leben müssen. Wir müssen verhindern, dass Bürgerinnen und Bürger aufgrund Ihrer materiellen Not an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Als stellvertretende Vorsitzende des Ausschuss für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag ist dies eine meiner dringlichsten Aufgaben.
Ich bin jedoch nicht davon überzeugt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die sozialen Probleme in Deutschland lösen kann. Im Gegenteil, ich befürchte eine Aushöhlung des Sozialstaates und damit den Verlust eines über Generationen erkämpften gesellschaftlichen Fortschritts.
Wenn man sich die Folgen so einer grundlegend verändernden Sozialpolitik durchdenkt, kommt man zur Schlussfolgerungen, die anraten, davon Abstand zu nehmen.
Das bedingungslose Grundeinkommen soll alle sozialen Transferleistungen ersetzen. Damit werden die Säulen der Sozialversicherung (Krankheit, Rente, Arbeitslosigkeit, Pflege, Unfall) eingerissen. Wir wären nicht mehr in der Lage, Bedürftigen gezielt zu helfen. Stattdessen erhalten auch Vermögende ein Grundeinkommen, was das Kernprinzip des Sozialstaats aushebelt.
Fürsorgesysteme und Maßnahmen zur Arbeitsförderung würden ersatzlos wegfallen. Es gäbe also keine Möglichkeit mehr, Menschen durch berufliche Weiterbildung oder beschäftigungsbegleitende Leistungen zu helfen. Die Solidarität der Gemeinschaft mit Benachteiligten würde sich nur in der Bereitstellung des Grundeinkommens erschöpfen. Für den Rest muss dann jede Bürgerin und jeder Bürger selbst sorgen. Viele Menschen, die gezielter Förderung bedürfen, würden hierbei auf der Strecke bleiben. Der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hat das Grundeinkommen nicht zu Unrecht als "konservative Stilllegungsprämie" bezeichnet.
Auch für Menschen in Erwerbsarbeit würde ein Grundeinkommen Verschlechterungen mit sich bringen. Der Lohndruck würde steigen, weil Unternehmen von der Pflicht entbunden wären, angemessene Löhne zu zahlen. Am Ende dieser Entwicklung stünde ein riesiger Niedriglohn-Sektor mit einem Super-Kombilohn, bei dem der Staat den größten Anteil des Einkommens bereitstellen würde.
Eine solche Entwicklung der Einkommen und ein Wegfallen sämtlicher Sozialleistungen würde eine Verschärfung der Ungleichheit zur Folge haben, die ich nicht gutheißen kann. Das ist nicht Ziel meiner Politik, und das ist auch nicht das Ziel der SPD. Wir wollen die Menschen in diesem Land in Arbeit bringen.
Arbeit bedeutet nicht nur Einkommen, sondern auch Teilhabe an der Gesellschaft in jedweder Form. Viele persönliche Kontakte sind mit dem Arbeitsplatz verbunden. Für fast jeden bedeutet Arbeit auch Anerkennung und ist gut für das Selbstwertgefühl. Viele Studien zeigen, dass lang andauernde Erwerbslosigkeit zu sozialer Isolation, zu Krankheit oder zum Zerbrechen der Familie führen kann.
Für ihre Arbeit sollen die Bürgerinnen und Bürger auch einen gerechten Lohn erhalten. Deswegen setze ich mich aktiv für die Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen ein.
Wir haben bereits erreicht, dass 3,5 Millionen Arbeitnehmer vor Lohndumping geschützt werden. Wir tragen damit dazu bei, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht. Mit einer gerechten Steuerpolitik wollen wir darüber hinaus dafür sorgen, dass die Last des Sozialstaates so verteilt wird, dass wir uns die Solidarität mit den Schwachen weiterhin leisten können, und Chancengleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger schaffen können.Das ist für mich der einzig erfolgversprechende Weg zu dem sozialen Fortschritt, den Sie fordern.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihre Angelika Krüger-Leißner