Frage an Angelika Graf von Siegfried S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Heute wurden wieder zwei deutsche Soldaten von einem Selbstmordattentäter getötet. Es wird wieder zur Kenntnis genommen, abgehakt und der Statistik zugeführt. Als vor einigen Wochen ein Hauptfeldwebel auf eine Mine fuhr und dabei um´s Leben kam sprach der Verteidigungsminister von feige, hinterhältig und abscheulich. Tage später erschoss ein deutscher Soldat eine Frau und deren Kinder die eine Sicherheitssperre durchfuhr und auf Stoppsignale nicht reagierte.
Darauf hin ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen diesen Soldaten. Hat der Verteidigungsminister sowie die Staatsanwaltschaft noch immer nicht begriffen, dass sich unsere Soldaten im Krieg befinden? Sollte dieser Soldat etwa annehmen die Frau wollte Ihm ein Geschenk bringen weil er auf Wache stand? Wo bleibt die Unterstützung des Staates für den und diese Soldaten?
Sehr geehrter Herr Schulenburg,
vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-Email vom 20. Oktober 2008.
Ich möchte Ihnen dazu kurz meine Position schildern: Die Bundeswehr leistet seit fast sieben Jahren einen wesentlichen Beitrag zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan. Im Rahmen des ISAF-Einsatzes soll öffentliche Sicherheit hergestellt werden, so dass die neuen afghanischen Staatsorgane, das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal in einem sicheren Umfeld arbeiten können.
Beim Einsatz in Afghanistan dürfen und sollen sich unsere SoldatInnen selbst und ihre KollegInnen schützen. Es gibt auch Regelungen dafür, woran eine Bedrohungssituation zu erkennen ist und Anweisungen dazu, mit welchen Mitteln diese überwunden werden können. Wenn unsere Soldaten aber bei ihrem Einsatz Zivilisten erschießen, dann dürfen wir nicht so tun, als wäre nichts gewesen. Für *SoldatInnen, die in eine solche Lage gekommen sind, ist das eine schwere Belastung. Um sie zu begleiten, stehen ihnen im Einsatz und darüber hinaus Psychologen und Seelsorger zur Seite. Wenn Zivilisten bei einem Einsatz durch das Agieren eines Soldaten der Bundeswehr ums Leben kommen, halte ich es aber *für selbstverständlich, dass auch Ermittlungen von einem Staatsanwalt aufgenommen werden. Dabei besteht, wie in jedem anderen Fall, erstmal die Unschuldsvermutung und kein Generalverdacht. Doch es muss geklärt werden, unter welchen Umständen und warum -- zum Beispiel die von Ihnen erwähnte Frau und ihre Kinder ums Leben gekommen sind -- damit Vorsatz oder Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden können.
Die Afghanen und die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland -- aber auch die SoldatInnen -- haben das Recht zu erfahren, ob diese Opfer zu vermeiden gewesen wären. Nur weil es Aufständische in Afghanistan gibt, kann die Bundeswehr nicht auf alles schießen, was sich bewegt. Die Einhaltung der internationalen Genfer Konvention zum Schutz und zur Vermeidung von zivilen Opfern ist ein wichtiger völkerrechtlicher Rechtsrahmen, den es zu achten gilt, damit unschuldige und unbeteiligte Zivilisten die Auseinandersetzungen zwischen zwei Staaten oder zwischen Staaten und Aufständischen nicht mit ihrem Leben oder ihrer Gesundheit zu zahlen haben.
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Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es auch der Sicherheit unserer SoldatInnen dient, wenn die afghanische Bevölkerung wahrnehmen kann, dass die fremden SoldatInnen in ihrem Land alles tun, um zivile Opfer zu vermeiden und sich um Aufklärung im Falle ziviler Opfer bemühen. Das wirkt langfristig vertrauensbildend und entzieht Aufständischen -- hoffentlich -- die moralische oder finanzielle Unterstützung durch Teile der Bevölkerung.*
Allgemein steht die internationale Gemeinschaft beim Wiederaufbau vor großen Herausforderungen. Seit 2005 hat sich die Sicherheitslage deutlich verschlechtert. Zudem werden heute mehr Drogen angebaut, verarbeitet und gehandelt als zu Zeiten der Taliban. Die Korruption hat sich -- trotz aller Bemühungen der internationalen Gemeinschaft -- in den noch jungen und schwachen Institutionen der Regierung und Verwaltung epidemisch ausgebreitet.
Dennoch gibt es auch Erfolge, zu denen unsere SoldatInnen und unser entwicklungspolitischer Einsatz erheblich beigetragen haben: Dabei denke ich an die ersten freien Präsidenten- und Parlamentswahlen seit 40 Jahren und die Neubildung von Verfassungsorganen. Während unter den Taliban nur Jungs zur Schule gehen und dann auch nur spezielle Religionsschulen besuchen durften, hat die internationale Gemeinschaft seit 2001 landesweit 3.500 Schulen gebaut, so dass mittlerweile 75% der Jungen und 35% der Mädchen zur Schule gehen. Zwischenzeitlich steigen auch die Exporte Afghanistans, das Bruttoinlandsprodukt wächst jährlich mit zweistelligen Raten und das Pro-Kopf-Einkommen hat sich in den letzten fünf Jahren auf rund 220 Euro verdoppelt. Dies sind nur kleine und mitnichten hinreichende Fortschritte, aber sie eröffnen für die afghanische Bevölkerung neue Chancen, wobei ich nicht in Abrede stelle, dass insbesondere die Dürre der letzten Jahre die Entwicklung und die Armutsbekämpfung in Afghanistan vor große Herausforderungen stellen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf