Frage an Angelika Graf von Alexander J. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrte Frau Graf
nach Angaben der Lebensmittelzeitung Nr 29 vom 20.juli.2007 versucht Herr Seehofer zusammen mit Spd-Politikern wie Herrn Kelber (stellvertretender Fraktionsvorsitzender SPD) und Frau Drobinski-Weiss
die Kennzeichnung "Ohne Gentechnik" bei Nahrungsmittel so weit zu lockern, daß Enzyme und Futtermittelzusatzstoffe bei der Herstellung dann auch gentechnikverändert genutzt werden können und trotzdem das Produkt als gentechnikfrei bezeichnet werden kann.
Was ist da denn los?
Gruß
Jureschek
Sehr geehrter Herr Jureschek,
vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 22. Juli 2007. Der von Ihnen erwähnte Artikel in der Lebensmittelzeitung ist mir nicht bekannt, mir scheint aber, dass der Sachverhalt nicht ganz richtig dargestellt ist.
Wir wollen die Möglichkeit einer sog. „Positivkennzeichnung“ (ohne Gentechnik) schaffen, die die Wahlfreiheit der Verbraucher und damit ihren Einfluss auf das Angebot am Markt stärkt. Verbraucher sollen beim Einkauf bewusst auswählen können. Das muss auch für Produkte „mit“ und „ohne“ Gentechnik gelten. Bisher können Verbraucher bei tierischen Produkten wie z.B. Milch und Eiern nicht erkennen, ob die Tiere mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, denn bei solchen Produkten ist dies nicht kenntlich gemacht. Die EU-Kennzeichnungsverordnung 1829/2003, seit April 2004 in Kraft, lässt hier eine Lücke. Sie schreibt zwar neben der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel auch die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Futtermittel ab Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9% vor. Diese Information kann aber nicht an die VerbraucherInnen weitergegeben werden, denn tierische Produkte sind nicht kennzeichnungspflichtig, auch wenn sie mit gentechnisch veränderten Futtermitteln erzeugt wurden. Der Kennzeichnungspflicht unterliegen nur Produkte, die GVO enthalten oder aus GVO hergestellt wurden.
Mit der Positiv-Kennzeichnung kann diese Lücke auf nationaler Ebene und sozusagen „von der anderen Seite“ geschlossen werden. Das EU-Recht lässt diese Möglichkeit zu. In Deutschland existiert mit der Neuartige-Lebensmittel-Verordnung NLV hierzu bereits seit 1998 eine Regelung. Grundlage dafür war die damalige EU-Novel-Food-Verordnung, die seit 2004 durch die EU-KennzeichnungsVO 1829/2003 abgelöst ist (die alte Regelung sah für Futtermittel keine Kennzeichnungspflicht vor.) Die NLV findet aber in der Praxis wenig Anwendung, sie ist schwer handhabbar, da die Regelungen hinsichtlich der Verwendung von Tierarzneimitteln und Hilfs- und Zusatzstoffen kaum der Tatsache Rechnung tragen, dass es in diesen Bereichen heute manchmal ausgeschlossen ist GVO-freie Alternativen zu finden.
Ziel der Kennzeichnung ist, dass der Verbraucher auf den ersten Blick erkennen können soll: Diese Milch oder dieses Fleisch stammt von einem Tier, welches nicht mit gentechnisch verändertem Futter gefüttert wurde. Das Interesse der Verbraucher an so einer Kennzeichnung ist enorm groß: Sie wollen und müssen auch bei tierischen Produkten wählen können. Sie haben ein Recht auf diese Information, denn schließlich läuft die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch verändertes Futter so lange ins Leere, solange diese Information nicht an den Verbraucher weitergegeben wird bzw. werden kann. Das entspricht nicht unserem Leitbild des mündigen Verbrauchers als eigenverantwortlich handelndem Konsumenten, der durch sein Verhalten das Angebot am Markt mitbestimmt. Die Anbieter haben bisher weder die Pflicht noch wirklich die Möglichkeit, tierische Produkte aus gentechnikfreier Verfütterung als solche zu kennzeichnen.
Die SPD fordert eine Harmonisierung der Anforderungen an die Gentechnikfrei-Kennzeichnung mit denen der EU-Ökoverordnung. Das ist systematisch einleuchtend und für die Verbraucher einfach und verständlich, denn bei Öko-Produkten können sie zu Recht davon ausgehen, dass keine Gentechnik eingesetzt wurde.
Derzeit gehen aber die Anforderungen an die Gentechnikfreiheit nach der NLV über die Anforderungen der EU-Ökoverordnung hinaus, denn wenn es keine gentechnikfreie Alternative gibt,
- sind in der EU-Ökoverordnung die Tierarzneimittel vom Gentechnikverbot ausgenommen.
- ist in der EU-Ökoverordnung der Einsatz von gentechnisch gewonnenen Hilfsstoffen einschließlich Extraktionslösungen und Enzymen nicht ausgeschlossen, wenn sie in der der VO anhängenden Positivliste gelistet sind.
Wir haben von einigen Unternehmen bereits Signale erhalten, dass sie großes Interesse an einer derart ausgestalteten Positiv-Kennzeichnung haben. Aber vermutlich wird es auch Kräfte geben, die eine solche Kennzeichnung verhindern wollen, denn diese Kennzeichnung würde die Nachfrage nach gentechnikfreien Futtermitteln stärken, und da gibt es natürlich Kreise, die das verhindern wollen. Interessant ist dabei aber auch, dass der Widerstand gegen eine solche Kennzeichnung genauso wie der Widerstand gegen mehr Verbraucherinformationen oder gegen Nährwertkennzeichnung, bzw. gegen alles, was den Verbrauchern mehr Rechte und mehr Wahlfreiheit einräumt, immer aus der gleichen Ecke kommt. Und in dieser Ecke hat man wohl große Angst vor den Entwicklungen auf dem Markt, die wirklich mündige Verbraucher auslösen könnten. Fragt man aber bei den Unternehmen selbst, so sind viele von ihnen bereit und offen für solche Entwicklungen.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf