Frage an Angelika Graf von Carmen F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Graf,
ich möchte ihnen danken für ihre individuellen und ausführlichen Antworten auf Anfragen.
Ich freue mich und fühle mich wahrgenommen, herzlichen Dank!
In ihrer Antwort auf die Frage, ob die Regierung und der Bundestag ständig gegen den Volkswillen entscheiden darf, hat mich erschreckt, das sie als alleiniges Ausdrucksrecht des Volkes die Wahlen sehen.
Das ist im Grundgesetz anders verankert.
Dort steht, daß durch Wahlen UND Abstimmungen der Bürger der alleinige Souverän ist. Leider wird uns dieses Recht auf Abstimmungen auf Bundesebene vorenthalten!
Politiker in den Staatsorganen sollen den Willen des Volkes widerspiegeln, daher auch der Name Volksvertreter.
1. Warum verstehen sie ihr anvertrautes Recht der Ausübung von Staatsgewalt eben nicht in der Vertretung des Bürgerwillens?
Glauben sie, daß eine Regierung die frei vom Bürgerwillen agiert noch demokratischer Vertreter im Sinne einer Republik ist?
Das Grundgesetz stützt jedenfalls den Bürger als alleiniger Ausüber der Staatsgewalt!
Sie als Vertreter haben die Pflicht die Bürgermeinung in den Staatsorganen zum Ausdruck zu bringen.
Damit ist also geregelt, das eine Regierung (und Opposition) sich grundsätzlich nach dem Bürgerwillen richten muss, wenn wir von Demokratie sprechen wollen.
Eine vom Bürgerwillen losgelöste Regierung über 4 Jahre ist also keine Republik im Sinne des Grundgesetzes, sondern die Herrschaft einer gewählten Gruppe über die Bürger, man spricht hier auch von gewählter Rätediktatur zum Wohle des Volkes.
3. Wie rechtfertigen sie also die massiven Unterschiede zwischen der Parteipolitik und Volksumfragen?
Unser bisheriges Wahlrecht ist verfassungswidrig, ein neues wurde leider noch nicht geschaffen.
4. Welche Ansätze vertreten sie und ihre Partei in der Entscheidungsfindung?
Ich unterstelle ihnen, das sie ihr Amt nach besten Wissen und Gewissen ausüben und bitte sie den Volkswillen in Zukunft noch stärker zum Ausdruck zu bringen.
Freundliche Grüße
Carmen Fischer
Sehr geehrte Frau Fischer,
vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 8.10.2012.
Gerne beantworte ich Ihre Fragen:
1. und 2. Wir haben in Deutschland keine Rätediktatur sondern eine parlamentarische Demokratie. Ich hielte es für falsch, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen. Auf Landesebene sind ja neben den Wahlen auch Abstimmungen möglich, auf Bundesebene ist dafür aber eine Änderung des Grundgesetzes notwendig, die bisher von CDU und CSU blockiert wird. Die SPD unterstützt diese Änderung, wie ich Ihnen ja schon mitgeteilt habe. Ziel ist eine Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch direkte Demokratie auf Bundesebene. In meiner anderen Antwort finden Sie meine Hinweise zum Thema „Volkswillen“. Ich verstehe mich sehr wohl als Vertreterin des „Bürgerwillens“. In Fragen der Krisenpolitik glaube ich, dass es der überwiegende Wille der Bürgerinnen und Bürger ist, dass Deutschland durch diese Krise möglichst unbeschadet kommt und Deutschland und Europa am Ende vielleicht sogar besser dastehen als vorher, dass die Krise also für wichtige Reformen genutzt wird, auch zum Beispiel für neue Regeln für den Finanzmarkt. Genau das unterstütze ich. Ich unterstütze aber keine Maßnahmen, die meiner Meinung nach Europa in eine Existenzkrise und Deutschland in eine massive Wirtschaftskrise stürzen würden, denn ich glaube nicht, dass sich eine Mehrheit der Deutschen dies wünscht.
3. Zu dem Thema Meinungsumfragen verweise ich auf meine andere Antwort an Sie. Meinungsumfragen können zwar ein wichtiger Gradmesser sein, sie können aber keine Alternative zur parlamentarischen Demokratie sein, weil wir sonst eine Diktatur der Meinungsforschungsinstitute hätten, die dann ohne jedes, zeitlich begrenzte Mandat letztlich die vom Volk gewählten Vertreter ersetzen würden. Warum so viele Menschen laut Meinungsumfragen den von der Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene verhandelten Kurs der Rettungsschirme ablehnen, sie aber dennoch wiederwählen würden, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Das zeigt ja eigentlich nur, wie problematisch es ist, an Meinungsumfragen den Volkswillen festzumachen.
4. Die SPD hatte ja gegen das von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossene Wahlrecht vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Es war sehr deutlich, dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP das Wahlrecht zum eigenen Machtgewinn und -erhalt missbrauchen wollten. Ich bin daher froh, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Missbrauch unterbunden hat, indem es das Gesetz für verfassungswidrig erklärt hat. Über das neue Modell wird derzeit noch zwischen den einzelnen Bundestagsfraktionen mit dem Ziel eines fraktionsübergreifenden Konsens verhandelt. Die Richtung ist aber klar - es geht darum, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und die sogenannten Überhangmandate durch Ausgleich oder Verrechnung zu neutralisieren, damit das Ergebnis nicht verfälscht wird. Verschiedene Modelle, wie das am besten umgesetzt werden kann, werden derzeit im Rahmen der Beratungen geprüft. Den Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion aus dem letzten Jahr, den die Bundesregierung abgelehnt hatte, finden Sie hier:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/058/1705895.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf