Frage an Angelika Graf von Carmen F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Graf,
angesichts der entwicklungen in der Finanz und Staatsschuldenkrise habe ich einige Fragen zu ihrem Verhalten als Volksvertreter.
Der jetzige Regierungskurs hin zu einem europäischen Bundesstaat, und das damit einhergehende Abstimmungsverhalten im Bundestag und Bundesrat, steht häufig im krassen Gegensatz zur Volksmeinung.
1. Ist es nicht ihr Auftrag, als Volksvertreter in dieser Republik, auf die Volksmeinung zu achten und diese entsprechend umzusetzen?
Der Euro und der geplante europäische Bundesstaat hat laut Umfragen in Deutschland, sowie in vielen anderen Ländern, keine Mehrheit.
Um solch einen Bundesstaat zu schaffen bedarf es nach unserem Grundgesetz eines Referendums,
2. Warum setzen sich die Volksvertreter und damit auch Sie, nicht dafür ein ein Referendum durchzuführen, bevor solch folgenreiche Entscheidungen wie die gemeinsame Haftung durch den ESM beschlossen werden?
Laut neuer Studien durch die schweizer Bank UBS hat das Volk in Deutschland, gemessen am durchschnittlichen Bruttolohn, nicht vom Euro profitiert.
Profitiert haben dagegen die Exportwirtschaft, die Finanzwelt und Spitzenverdiener, bzw. sehr vermögende Menschen, siehe auch den Bericht über die Vermögensverteilung in Deutschland.
3. Warum erzählen sie dennoch den Wählern, das wir vom Euro profitieren? Aus Unkenntniss der Fakten ?
Nach einer Studie der Bundesbank hat die Deregulierung des Bankensystems und die mangelnde Haftung bei Hochrisikogeschäften größtenteils zur Finanzkrise und nachfolgend auch zur Staatsschuldenkrise geführt.
4. Warum werden nicht die Verursacher, also Banken, bzw. die Anleger der Gelder zur Verantwortung gezogen, denn dort konzentriert sich doch das Vermögen.
5.Ist Deutschland durch die Regierungspolitik die letzten 15 Jahre , von der Finanzwirtschaft und den anderen Eurostaaten erpressbar geworden? Oder warum wird uns die jetzige Politik als alternativlos verkauft?
Mit freundlichen Grüßen
Carmen Fischer
Sehr geehrte Frau Fischer,
vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 25.9.2012.
Gerne beantworte ich Ihre Fragen:
1. Politiker werden nicht dafür gewählt, den Wählern nach dem Mund zu reden, sondern Probleme in ihrem Sinne zu lösen und die Lebensbedingungen zu verbessern. Es ist generell schwierig von einer „Volksmeinung“ zu sprechen, weil man diese erstens bisher nur bei den Wahlen wirklich erfassen kann, sich diese zweitens - wenn man das an Meinungsumfragen ausmacht, bei denen allerdings ja keineswegs das ganze Volk gefragt wird - mitunter schnell ändert und sie mitunter widersprüchlich ist. So finden sich sicher auch Umfragen, die massive Steuersenkungen befürworten aber ebenso einen Abbau der Staatsverschuldung fordern. Dass so etwas nicht erfüllbar ist, hat ja die schwarz-gelbe Bundesregierung bewiesen, die beides vor der Bundestagswahl versprochen und dann Rekordschulden geliefert und nach der Wahl „überraschend“ festgestellt hat, dass für die groß versprochene Steuerreform „leider“ doch kein Geld da ist.
Die „Volksmeinung“ anhand von Meinungsumfragen kann nicht für die Politik ausschlaggebend sein, sonst hätten wir eine Diktatur der Meinungsumfrage-Institute. Dabei darf man ja auch nicht vergessen, dass Meinungsumfragen immer mit Vorsicht zu genießen sind, denn für das Ergebnis kommt es stets auch darauf an, wann und wie die Fragen gestellt werden. (z.B. „Sind sie für mehr Schulden zugunsten einer Steuerreform?“ oder „Sind sie für eine Entlastung der Steuerzahler?“). Ihre Einschätzung, dass der derzeitige Regierungskurs gegen die „Volksmeinung“ laufe, kann ich so aber auch nicht teilen, wenn man das an Meinungsumfragen ausmacht. So hat die Bundeskanzlerin ja weiterhin glänzende Umfragewerte, obwohl sie den dauerhaften Rettungsschirm ESM mit der gemeinschaftlichen Haftung eingeführt hat und den Kurs der Europäischen Zentralbank unterstützt, unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen, für die Deutschland ebenfalls anteilig haftet. Selbst wenn die Befragten also den Kurs nicht unbedingt unterstützen, so scheint das aber kein so großes Problem für die Befragten zu sein, als dass sie sich deswegen gegen die Bundeskanzlerin als Motor dieses Kurses stellen würden.
2. Wenn ein europäischer Bundesstaat beschlossen werden sollte, müsste dies meiner Überzeugung nach die Bevölkerung entscheiden. Das könnte der Bundestag auch gar nicht mal eben so entscheiden - Voraussetzung wäre nämlich eine neue Verfassung, denn Deutschland würde damit auf die vom Grundgesetz gesicherte souveräne Staatlichkeit verzichten. Wie ich Ihnen schon geschrieben hatte, spreche ich mich für den Ausbau der direkten Demokratie aus, unterstütze den entsprechenden Beschluss des SPD-Parteitages - siehe
http://www.spd.de/linkableblob/21830/data/beschluss_demokratie_lang.pdf - und bedaure, dass die Bundeskanzlerin und die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP mehr Bürgerbeteiligung ablehnen. Ihre Einschätzung, der Euro habe laut Umfragen in Deutschland keine Mehrheit, ist allerdings so nicht richtig. So gaben zum Beispiel bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im August diesen Jahres 50 Prozent der Befragten an, bei einer Volksabstimmung für den Verbleib Deutschlands in der Euro-Zone stimmen zu wollen, nur 29 Prozent sagten, sie würden für den Austritt stimmen. Das ist vielleicht ja auch ein weiteres Beispiel dafür, dass es nicht so einfach möglich ist, eine „Volksmeinung“ an Meinungsumfragen auszumachen.
3. Ich kenne diese Studie einer Schweizer Bank nicht und ich kann nicht jede Studie lesen, die mir in unzähligen Fragen entgegengehalten wird, vor allem weil es zu jeder Studie eine Gegenstudie gibt und am Ende dann nur noch darüber ergebnislos gestritten wird, welche Studie dann richtig und welche falsch ist. So berichtete die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zum Beispiel vor kurzem, dass ihre Studie zum Euro ergeben hätte, dass Deutschland jährlich einen Wohlstandsgewinn von 30 Milliarden Euro durch den Euro erziele. Grundsätzlich kann man für solche Dinge wie den Lohn, Armut und Reichtum und vieles andere auch nicht nur einen Faktor ausmachen. Der auch von den Gewerkschaften für einige Jahre unterstützte Kurs der Lohnzurückhaltung in Deutschland diente ja zum Beispiel dazu, Deutschland wieder wettbewerbsfähiger zu machen, was auch erreicht wurde - da kann man nicht einfach sagen, der Euro sei der Grund dafür.
4. Es ist ja kein Zufall, dass die Finanzmarktkrise, die dann zur Wirtschaftskrise und zur jetzigen Krise in Europa wurde, ihren Ursprung in den völlig deregulierten USA hatte. Die SPD fordert seit langem, daraus die Schlüsse zu ziehen und entsprechend die Regulierung in ganz Europa auszubauen und die Verursacher der Krise an den Krisenkosten zu beteiligen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich bisher vor allem schützend vor den Finanzmarkt gestellt und stattdessen die falsche Theorie ins Leben gerufen, dass nicht der Finanzmarkt das Problem sei, sondern „faule“ und/oder „verschwendungssüchtige“ Südländer in Europa. Diese falsche Ursachenanalyse hat für die Bundesregierung natürlich den Vorteil, dass sie kaum noch jemand nach der Finanzmarktregulierung fragt, was ihr meiner Meinung nach sehr recht ist, weil sie diese nicht will.
Die SPD hat ja dem sogenannten Fiskalpakt u.a. nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht länger die Beteiligung des Finanzmarktes an den Krisenkosten blockiert und stattdessen auf europäischer Ebene die Einführung einer Finanztransaktionssteuer durchsetzt. Aktuell hat unser Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht, was zu tun ist. In seinem Papier ist zum Beispiel im Rahmen eines „Europäischen Bankenrettungsfonds“ vorgesehen, dass nicht länger die Steuerzahler die Banken retten müssen, sondern der Finanzmarkt sich selbst. Sie finden das Papier hier: http://www.spd.de/scalableImageBlob/77088/data/20120926_steinbrueck_papier-data.pdf
5. Die Erpressbarkeit hat damit zu tun, dass der Finanzmarkt nun mal miteinander verbunden ist, auch über Landesgrenzen hinweg - und das unabhängig von einer gemeinsamen Währung - und das funktionierende Finanzsystem die Grundlage für die Wirtschaft ist, die wiederum die Grundlage für Arbeitsplätze und die Sozialsysteme ist. Ich halte es daher für zentral, Regeln dafür zu finden, wie die Erpressbarkeit beseitigt werden kann und unterstütze die entsprechenden Vorschläge von Peer Steinbrück. Warum die Bundeskanzlerin und die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP ihren Kurs für alternativlos halten, müssen Sie diese fragen. Die SPD hat ja Alternativen vorgelegt.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf