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Frage von Oliver S. •

Frage an Angelika Graf von Oliver S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Graf,

Ich sehe, dass Sie für den ESM abgestimmt haben und bin bestürzt.

Meine Frage, haben Sie sich dazu auch umfassend mit der Materie befasst, genauer, welche Kriterien lassen Sie bewegen, diese enorme finanzielle Last auf dem Rücken der jetzigen und zukünftigen deutschen Generationen abzuwälzen? Haben Sie die durchaus möglichen Alternativen abgewogen? Und, haben Sie diese Fragestellung in Ihrem Wahlkreis diskutiert und sich Rückendeckung geholt?

Ich bin auf Ihre Rückantwort gespannt, gerne auch zu einer direkten Ausprache bereit, sollte Ihnen für eine schriftliche Diskussion die Zeit fehlen.

Alles Gute

Oliver Schubert

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schubert,

vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 30. Juni 2012.

Ich habe mir die Entscheidung über die Zustimmung zum von der Bundesregierung vorgeschlagenen, dauerhaften Rettungsschirm ESM nicht leicht gemacht. Vorangegangen waren zahlreiche Info-Veranstaltungen in Berlin, Stellungnahmen von Fraktionskollegen, außerparlamentarischen Experten und nicht zuletzt unzählige Bürgerbriefe und -mails aus meinem Wahlkreis, seit etwa einem Jahr. Etliche Behauptungen, was der ESM angeblich für Auswirkungen hat, habe ich geprüft und auch bei unserer Arbeitsgruppe Europa nachgehakt (zum Beispiel wurde mir gegenüber in Mails oft behauptet, dass der ESM sich jederzeit einfach das Stammkapital selbst erhöhen und damit nach Belieben auf zusätzliches Geld aus Deutschland zurückgreifen könne - was schlicht nicht stimmt).

Davon abgesehen habe ich mir selbstverständlich eigene Gedanken über die Krise, Alternativen zu den Rettungsschirmen und Lösungswege gemacht. Eine wesentliche Frage für mich dabei war und ist, was eigentlich passiert, wenn Deutschland nein zu Hilfsmaßnahmen für die Krisenländer sagt, wenn wir also zum Beispiel Griechenland oder Portugal gegen die Wand fahren lassen würden. Den Erfahrungswert, den wir da haben, ist die Pleite der US Bank Lehman Brothers. Diese hatte eine weltweite Banken- und Finanzmarktkrise ausgelöst, weil die Finanzwirtschaft weltweit vernetzt ist. Die Finanzmarktkrise wurde zur weltweiten Wirtschaftskrise und führte auch in Deutschland zu der höchsten Neuverschuldung in der Geschichte des Landes, machte zahlreiche Stützungsmaßnahmen erforderlich und trat letztlich die jetzige Euro-Krise los. Spanien stand zum Beispiel bis zum Ausbruch der Krise bei den Schulden besser da als Deutschland. Anhand dieser Erfahrungswerte ist es meiner Meinung nach ziemlich sicher zu sagen, dass Staats- und Bankenpleiten mitten in Europa erhebliche Auswirkungen auch auf Deutschland hätten und die darauf folgende Wirtschaftskrise um ein vielfaches schlimmer wäre als die damalige, zumal wir ja gerade vom Export in die EU leben und sowohl Wirtschaft als auch Finanzwirtschaft in Europa - auch unabhängig vom Euro - vernetzt sind. Es gibt keine Mauer um uns herum. Ich bin daher der Ansicht, dass wir dieses Szenario verhindern müssen, auch weil es für Deutschland in meinen Augen wesentlich teurer und dramatischer wäre als jeder Rettungsschirm. Zumal die Rettungsschirme ja auch nur dann richtig teuer werden, wenn es zum Ernstfall kommt und tatsächlich die Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden können. Dies ist auch ein weiterer Punkt, denn Deutschland ist ja bereits einiges an finanziellem Risiko eingegangen, wir haften ja jetzt schon in erheblichem Maße für die Krisenländer. Wenn man sich entscheidet, diese pleite gehen zu lassen, tritt da eben auch der Ernstfall ein und es wird richtig teuer. Wenn die Länder dagegen aus der Krise herauskommen, dann kommen wir mit einem blauen Auge aus der Sache heraus. Das gilt unabhängig von allen Parlamentsbeschlüssen, denn über die Europäische Zentralbank (EZB) gibt es längst die gemeinschaftliche Haftung, gegen die sich Regierungsvertreter - inklusive der Bundeskanzlerin und vor allem der CSU - immer so gerne öffentlich aussprechen, um dafür Applaus beim Publikum einzusammeln. In Wirklichkeit haftet Deutschland anteilig für die EZB, die Staatsanleihen zur Stützung der Krisenstaaten im Gegenwert von über 200 Milliarden Euro gekauft hat. Die EZB hat das auch deswegen - mit dem stillschweigenden Einverständnis der Bundesregierung - gemacht, weil diese Stützung nicht darauf warten konnte, bis die Bundeskanzlerin und ihre Koalition soweit waren, mal wieder eine publikumswirksam selbstgesetzte „rote Linie“ zu überqueren und die Rettungsmaßnahmen der EZB - anders als die Rettungsschirme - kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Die Alternativen des Rauswurfs von Ländern wie Griechenland aus dem Euro - eine immer gern eingeworfene Forderung der CSU - sehe ich nicht als Alternative, sondern als billigen Populismus einer Partei im Wahlkampf, weil das aufgrund der Vertragslage gar nicht geht. Griechenland könnte nur freiwillig austreten. Ich glaube aber nicht, dass Griechenland das macht, denn eine abgewertete Drachme würde zwar dem Export bei der Wettbewerbsfähigkeit helfen, Griechenland ist aber gar kein ausgesprochenes Exportland. Klar wäre auch, dass Griechenland mit einer abgewerteten Drachme die Euro-Schulden schon mal gar nicht zurückzahlen könnte. Griechenland hätte also nur Nachteile, wenn es diesen Weg wählen würde.

Ich vertrete die Ansicht, dass es am besten für alle Beteiligten ist, den Euro und die Krisenländer zu stützen. Die Frage ist allerdings wie. Hier unterscheidet sich der Kurs der Bundesregierung von den Vorschlägen der SPD in einigen entscheidenden Punkten. Ein erster Punkt ist, dass es sich um eine Vertrauenskrise handelt. Es geht nicht allein um eine ausufernde Verschuldung, so wie es die Bundeskanzlerin behauptet. Es geht um die Unsicherheit der Frage, ob die Krisenländer ihre Schulden zurückzahlen können und werden. Dass es so ist, sieht man allein schon daran, dass die Verschuldung der USA schlimmer ist als die in Spanien, Spanien aber wesentlich höhere Zinsen für frische Kredite zahlen muss, während die USA mit ihren Schulden derzeit kein wirkliches Problem haben. Die hohen Zinsen sind derzeit das wesentliche Problem für die Krisenländer, denn Sparanstrengungen werden von höheren Ausgaben für Zinsen gleich wieder aufgefressen. Der letzte Gipfel stand deswegen ganz in der Frage, wie Spanien und Italien zu geringeren Zinsen kommen. Der beste Weg wäre natürlich, dass die EU und auch Deutschland klarstellen, dass sie den Euro und die EU in jedem Fall verteidigen werden. Wenn klar wäre, dass die Euro-Zone kein Mitglied pleite gehen lässt, würden mit dem Risiko auch die Zinsen sinken. Leider ist das nicht populär und die Bundeskanzlerin hat lieber den populären Weg gewählt und die Regierungsparteien machen es ihr nach und schimpfen - mehr oder weniger verpackt - lieber über die angeblich faulen und verschwendungssüchtigen Südländer. Das mag für Sympathiewerte und Umfragen eine gute Sache sein, für Europa und damit auch Deutschland ist es das leider nicht. Die bisherige Krisenpolitik des „bis hierhin und nicht weiter“, der Ablehnung und des sich dann wieder Wendens, hat kein Vertrauen in die EU geschaffen und keine Sicherheit gegeben, dass die EU im Zweifel füreinander einsteht. Das Ergebnis ist die Ausweitung der Krise mit noch höheren Kosten für alle Beteiligten.

Grundsätzlich ist es in meinen Augen richtig, dass wir mit dem Prinzip der wachsenden Neuverschuldung brechen. So haben vor allem Griechenland, Italien und Portugal ein großes Schuldenproblem, aber auch Deutschland steht nicht wirklich gut da. Die Bundeskanzlerin selbst, die europaweit das Sparen predigt, hat zusammen mit ihrer schwarz-gelben Bundesregierung allein seit 2010 (wenn man die Planung für dieses Jahr einbezieht) rund 100 Milliarden Euro an neuen Schulden für Deutschland angehäuft. Ich habe deswegen auch dem Fiskalpakt zugestimmt. Eine andere Frage ist dann, wie der Weg zum ausgeglichenen Haushalt gegangen wird. Die SPD hatte bereits im letzten Jahr erste Vorschläge vorgelegt:
http://www.spd.de/linkableblob/17144/data/finanzkonzept_2011_09_05.pdf

Ich halte es schlicht für logisch, dass ein reiner Sparkurs Europa nicht aus der Krise bringen kann. Die Verschlimmerung der Krise in Griechenland war insofern meines Erachtens absehbar. Denn wenn Löhne, Renten, Sozialleistungen sinken und der Staat gleichzeitig weniger investiert und weniger Aufträge vergibt, dann haben die Menschen nunmal auch weniger Geld in der Tasche mit dem sie weniger kaufen können, wodurch die Betriebe weniger Einnahmen haben und teilweise entlassen müssen oder pleite gehen, wodurch es noch mehr Menschen mit weniger Geld gibt. Ein Teufelskreislauf. Ich habe nicht verstanden, wie die Bundesregierung ernsthaft die Ansicht haben konnte, dass dieser Weg erfolgreich sein könne.

Für mich war daher klar, dass wir mit Sparen alleine nicht aus der Krise kommen, sondern auch Wachstumsmaßnahmen seitens der EU brauchen. Denn je schneller die Krisenländer aus der Krise kommen, desto weniger Rettungsmaßnahmen brauchen sie. Sie kommen aber nur raus, wenn sie ihre Einnahmen verbessern. Die Mischung aus notwendigen Strukturreformen, wie wir sie in Deutschland unter Rot-Grün bereits gemacht hatten, und Wachstumsmaßnahmen ist notwendig. Ich freue mich, dass mittlerweile auch die Bundeskanzlerin dies eingesehen hat. Schöner wäre es natürlich gewesen, sie hätte unsere diesbezüglichen Vorschläge gleich angenommen und nicht erst die weitere Ausbreitung der Krise abgewartet, das wäre auch für die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler günstiger gewesen. Ich hätte mir zudem gewünscht, dass die Finanzmarkttransaktionssteuer und die Regulierung des Finanzsektors, für die wir bereits 2009 im Rahmen der Turbulenzen um die Lehman Brothers Pleite in den USA Vorschläge gemacht hatten, von Anfang an eine Rolle in der Politik der Bundesregierung gespielt hätten. Da die Bundesregierung meist so tut, als habe die Krise durch Schlamperei in Griechenland begonnen und nichts mit dem internationalen Finanzmarkt zu tun, hat sie entsprechende Maßnahmen weitgehend unterlassen. Immerhin bei der Finanztransaktionssteuer hat die Bundesregierung nun ihre Blockade auf Druck der SPD hin (auf deren Stimmen sie angewiesen war) aufgegeben, was ich begrüße, weil damit nicht nur kurzfristige Spekulation verteuert wird, sondern auch der Finanzmarkt endlich an den Krisenkosten beteiligt werden kann.

Meiner Meinung nach brauchen wir, um aus der Krise herauszukommen, ein fest zusammenstehendes Europa, die Überlebenshilfe in Form der Rettungsschirme, Strukturreformen in den Krisenländern in Verbindung mit dem Fiskalpakt sowie Impulse für Wirtschaftswachstum und nicht zuletzt zur Prävention weitere Schritte der Finanzmarktregulierung in Europa. Wenn wir das ernsthaft umsetzen, wird Europa aus der Krise stärker herauskommen, als es vorher war. Wenn wir es nicht umsetzen, haben wir ein Problem.

Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf