Frage an Angelika Graf von Ulrich T. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Graf
ich hoffe, Sie können mir bei der Beantwortung meiner Fragen helfen.
Durch den (vorrübergehenden?) Wegfall der Wehrpflicht, wird der Zivildienst ebenfalls eingestellt. Welche Möglichkeiten sehen Sie , um die, auch ohne den Zivildienst, schon sehr prekäre Situation in der Pflege zu verbessern? Der Vorschlag unserer Familienministerin Frau Schröder, die Situation auf freiwilligen Basis (Soziales Jahr mit 10000 Freiwilligen) lösen zu können, ist zwar ehrenwert, aber aus meiner Sicht sehr blauäugig. Auch die zu erwartenden Kosten, sind für die arbeitende Mittelschicht existenzgefährdend.
Die zweite Frage betrifft meine persönliche Situation. In letzter Zeit wird vermehrt über die Privatisierung von staatlichen Betrieben spekuliert. Wie stehen Sie, der Privatisierung solcher Einrichtungen gegenüber? In vielen Bereichen sollen durch gesetzliche Vorgaben hohe Standards (lobenswert) erreicht werden. Wie kann der Staat solche Vorgaben von privaten Unternehmen erwarten und auch verantwortungsvoll überprüfen, wenn er sie selbst nicht vorlebt? Da ich in einer Reha-Einrichtung der DRV-Bund arbeite, sehe ich die Entwicklung sehr kritisch.
Für die nicht zu "politikerhafte" Beantwortung meiner Fragen, vielen Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Thiede Ulrich
Sehr geehrter Herr Thiede,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 8. Dezember 2010.
Die Aussetzung des Zivildienstes kann aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion neue Chancen für den Freiwilligendienst eröffnen. Statt des auch von uns kritisch gesehenen Plans der Bundesfamilienministerin für eine „Weiterführung“ des Zivildienstes als Freiwilligendienst schlagen wir aber die Stärkung der erfolgreichen und bereits bestehenden Jugendfreiwilligendienste vor - auch um unnötige Doppelstrukturen zu vermeiden. Freiwillige können jedoch - so oder so - kein Ersatz für Pflegefachkräfte sein. Die zunehmenden Anforderungen an die Qualität der Pflege müssen zu einer Professionalisierung führen. Da sich bereits jetzt ein Fachkräftemangel in der Pflege abzeichnet - die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich von heute 2,1 Millionen auf 3,3 Millionen in 2030 erhöhen - müssen wir den Pflegeberuf attraktiver gestalten. Eine Pflegepolitik nach dem Motto „pflegen kann Jede/r“ ist deshalb kontraproduktiv.
Wir haben zu diesem Zweck bereits in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen durchgeführt, wie den Initiativkreis „Gesund Pflegen“ (2004), das Beratungsprojekt „Servicenetzwerk Altenpflegeausbildung“ mit dem die Ausbildungsbereitschaft von Pflegeeinrichtungen gefördert wird (2007-2010), die Fachkampagne „Berufsfeld: Moderne Altenpflege“ (2007-2009) und das Projekt „Modell einer gestuften und modularisierten Altenpflegequalifizierung“ für mehr Durchlässigkeit zwischen Bildungsgängen in der Pflege und Betreuung älterer Menschen (2008-2011). Seit Januar 2009 wird die Altenpflegeausbildung in die Arbeitsförderungsprogramme nach dem SGB III einbezogen, die Bundesagentur für Arbeit hat ihr Förderengagement in der Altenpflegeumschulung deutlich verstärkt. Im Rahmen des Konjunkturpakets II haben wir das dritte Umschulungsjahr vollfinanziert - dies will Schwarz-Gelb leider nicht weiterführen - und noch 2009 die Weichen für den Mindestlohn gestellt.
Darauf aufbauend brauchen wir - in Zusammenarbeit mit den Ländern - einen massiven Ausbau der Aus-, Fort- und Weiterbildung, eine stärkere Durchlässigkeit und auch eine stärkere Akademisierung bisheriger Gesundheitsfachberufe. Ausländische Berufsabschlüsse müssen schneller anerkannt werden. Letztlich führt auch an einer besseren Entlohnung der Pflege kein Weg vorbei. Insgesamt werden die Ausgaben für die Pflege steigen, nicht nur weil die Zahl der Pflegebedürftigen steigen wird, sondern auch weil wir zum Beispiel mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff insbesondere den Bedürfnissen von Demenzkranken besser gerecht werden wollen und die Versorgung verbessern wollen und müssen. Das alles kostet Geld, muss es uns aber wert sein.
Beim Thema Privatisierungen bin ich der Ansicht, dass die wesentliche Infrastruktur für die Menschen staatlich bleiben sollte. So will ich zum Beispiel keine Privatisierung der Kranken- oder Pflegeversicherung, keine Privatisierung der Bildung und keine Privatisierung der Bahn. Im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung setze ich mich dafür ein, die Trennung von Gesetzlicher und Privater Versicherung zu durchbrechen. Die SPD will im nächsten Frühjahr ein neues Konzept für eine Bürgerversicherung vorlegen, die diesen Schritt geht. Den Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung, die bereits mit dem Einstieg in die allein von den Versicherten zu tragenden Kopfpauschalen den Weg in die zunehmende Privatisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung gegangen ist und Ähnliches im Bereich der Pflege plant, lehne ich entschieden ab. Die medizinische Versorgung darf nicht vom Geldbeutel abhängen.
Wenn es um die Bereiche der Krankenhäuser oder Pflegeheime geht, gibt es in meinen Augen Licht und Schatten. Zwingend notwendig ist auch in meinen Augen die Durchsetzung von verpflichtenden Standards und der Kontrolle dieser Standards - hier sind auch die Länder gefragt. Auf Bundesebene ist für mich vor allem die Einführung des Mindestlohns Pflege als unterste Lohngrenze von Bedeutung. Der in der letzten Legislaturperiode eingeführte Pflege-TÜV zur Bewertung von Heimen und Pflegediensten ist ein richtiger Schritt, doch besteht hier noch Nachbesserungsbedarf. Grundsätzlich wollen wir auch die Angehörigen von Pflegebedürftigen besser informieren, das hilft auch einem Wettbewerb um die beste Qualität. Neben mehr Transparenz über die Anbieter im Rahmen des Pflege-TÜVs haben wir deswegen in der letzten Legislaturperiode die Pflegestützpunkte als wohnortnahe Anlaufstelle ins Leben gerufen, die es in Ländern wie Rheinland-Pfalz bereits flächendeckend gibt, die in Bayern aber leider bisher nur völlig unzureichend und viel zu langsam eingerichtet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf