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Frage von Karl B. •

Frage an Angelika Graf von Karl B. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Graf,

die Zahl der Nichtwähler ist sehr hoch, die Begründung hierfür vielschichtig. Hauptgrund sicher die Politikverdrossenheit aufgrund der in den vergangenen Jahrzehnten immerfort geschaffene Bürokratiemonster. Es gibt keinen Bereich mehr, der nicht bis zur Unverständlichkeit reguliert und verkompliziert wurde.
Ein Segen der Vorschlag von Herrn Kirchhoff wenigstens für das Steuerrecht, der jedoch wahrscheinlich, wie seine "Vorreiter" Uldall und Bareis, in den Mühlen und Lobbygruppen scheitern wird.
Ich wünsche mir künftig für Wahlen auf allen Ebenen ein weiteres Feld zum Ankreuzen. Hier sollen sich alle verewigen können, die mit der Arbeit keiner Partei zufrieden waren und vor allem keine Partei am linken oder rechtem Spektrum wählen wollen. Natürlich gibt es für diese Stimmen keine Wahlerstattung aus dem Steuertopf.
Die Parlamentarier (Regierung) gerade der großen Volksparteien müssen reformieren weniger blockieren (Opposition) als bisher, was sehr zum Wohle des Volkes wäre.

Mit freundlichen Grüßen
Karl Bauer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bauer,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 7. September 2005.

Ich teile nicht Ihre Ansicht, dass die Vorschläge von Paul Kirchhof, der im Falle eines Wahlsieges von CDU/CSU neuer Finanzminister werden soll, ein „Segen“ für das Steuerrecht wären, denn viele seiner Vorschläge beseitigen berechtigte steuerliche Nachlässe. Ich stimme Ihnen zwar zu, dass wir eine Vereinfachung des Steuersystems brauchen, eine generelle Streichung _aller_ Steuervergünstigungen halte ich dagegen für nicht Ziel führend. Die SPD hat seit 1999 über 70 Steuerschlupflöcher gestopft. So wurden die Spekulationsfristen bei Wertpapier- und Immobilienverkäufen verlängert oder eine Mindeststeuer für Privatpersonen eingeführt: Einkommensmillionäre zahlen 2004 fast 6 Milliarden € mehr als 1998.

Für das zugegebenermaßen komplizierte Steuerrecht in Deutschland sind die vielen Subventionen verantwortlich, die zu zahlreichen Ausnahmetatbeständen führen. Dabei muss man die Subventionen in Finanzhilfen und in Steuervergünstigungen unterscheiden. Während Finanzhilfen bestimmten Branchen (z.B. Bergbau) zugute kommen, kommen Steuervergünstigungen bestimmten Bevölkerungsgruppen (z.B. Berufspendler) zugute. Bei den Finanzhilfen des Bundes fand unter SPD-Führung bereits ein erheblicher Abbau statt – wir haben die Finanzhilfen gegenüber 1998 halbiert. Das war auch notwendig, denn Finanzhilfen haben den Effekt, dass die subventionierten Branchen in der Regel wenig Innovationskraft besitzen und sich sozusagen auf den Finanzhilfen „ausruhen“. Tendenziell hemmen Subventionen die Innovationskraft und bringen den Wettbewerb zum Erliegen.

Gleichwohl ist es notwendig, bestimmte Finanzhilfen nicht einfach über Nacht abzuschlagen sondern Schritt für Schritt abzuschaffen. Im Bereich Bergbau sinken die Finanzhilfen z.B. Jahr für Jahr deutlich. Eine Abschaffung über Nacht würde allerdings eine ganze Region, die vom Bergbau abhängig ist, in die Existenzkrise stürzen. Die jeweilige Region braucht deswegen Zeit, den Strukturwandel – also die Ansiedlung neuer Branchen – zu meistern.

Auf der anderen Seite gibt es auch Unterstützung für Branchen, die nicht innovationsfeindlich sondern innovationsfördernd ist. Der Bereich der erneuerbaren Energie ist so ein Fall, denn der Markt für erneuerbare Energien ist ein weltweiter Wachstumsmarkt und Deutschland ist nicht zuletzt wegen der Förderung durch die Bundesregierung zum Exportweltmeister im Bereich der Windkraft- als auch Solaranlagen geworden. Das Erfolgsmodell ist dabei eine degressive Förderung, also eine Förderung, die von Jahr zu Jahr abnimmt und dafür sorgt, dass die Energiegewinnung aus Solar- und anderen Anlagen jedes Jahr effizienter werden muss, bis sie auch ohne Subventionen profitabel ist. Das Erbeuerbare-Energien-Gesetz, in dem dies festgeschrieben ist, ist dabei so erfolgreich, dass es sogar vom Wachstumsmarkt China kopiert wurde.

Auch im Bereich der Steuervergünstigungen wollten wir mit dem so genannten Steuervergünstigungsabbaugesetz eine erhebliche Vereinfachung erreichen und zudem die schwierige Haushaltslage verbessern. Allein das Steuervergünstigungsabbaugesetz hätte schon 2005 eine Entlastung des Staates von 6 Mrd. Euro gebracht. Die Union hat dies zusammen mit der FDP im Bundesrat vereitelt, so dass wir nur – im Rahmen des so genannten Koch-Steinbrück-Kompromisses – eine Entlastung von 2 Mrd. Euro durchbringen konnten. Die Union redet in ihren Sonntagsreden zwar immer vom notwendigen Subventionsabbau, in der Praxis hat sie leider immer nein gesagt.

Auch bei den Steuervergünstigungen muss man meiner Meinung nach unterscheiden zwischen den sinnvollen und den weniger sinnvollen Steuervergünstigungen. Die SPD wollte z.B. die größte Einzelsubvention im Bundeshaushalt abschaffen, die Eigenheimzulage. Im Bundesrat wurde dies von CDU, CSU und FDP verhindert. Dazu muss man wissen, dass die Eigenheimzulage ins Leben gerufen wurde, um den damaligen massiven Mangel an Wohnraum zu beseitigen. Heutzutage gibt es nur noch in wachsenden Ballungszentren einen Mangel an Wohnraum, in den meisten Regionen Deutschlands ist der Bedarf an Wohnraum dagegen gedeckt und in fast ganz Ostdeutschland gibt es sogar einen Überschuss an Wohnraum. In Ostdeutschland müssen die Steuerzahler zudem den Abriss von teilweise ebenfalls mit Steuergeldern saniertem Wohnraum bezahlen. Gleichzeitig entstehen auch in Ostdeutschland weiter neue Wohnungen, z.B. im grünen Gürtel um die Städte herum. Die gleichzeitige milliardenschwere Förderung des Wohnungsbaus bei gleichzeitigen milliardenschweren Abrissprogrammen zeigt die Fehlfunktion der Eigenheimzulage in der Gegenwart. Nachdem die Union seit der Ankündigung der Neuwahlen plötzlich auch für die Abschaffung der Eigenheimzulage ist, bin ich aber optimistisch, dass die SPD nach den Bundestagswahlen die Union beim Wort nehmen und die Union sich nicht länger dem Subventionsabbau verweigern kann.

Während eine Steuervergünstigung wie die Eigenheimzulage eine mittlerweile überflüssige Subvention ist – es gibt hier übrigens auch Mitnahmeeffekte durch die Bauwirtschaft, die die Eigenheimzulage der Verbraucher bereits in die Baukosten einkalkuliert und dementsprechend steigert – gibt es auch Steuervergünstigungen, die heutzutage noch Sinn machen. Da Paul Kirchhof alle Steuervergünstigungen streichen will, wären auch die sinnvollen Steuervergünstigungen betroffen, z.B. der Pauschbetrag für behinderte Menschen, die Absetzbarkeit der Kosten für die Betreuung Pflegebedürftiger, die Ermäßigungen für den öffentlichen Personennahverkehr oder die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Dies lehne ich ab, denn diese Steuervergünstigungen sind zielgerichtet und dienen dem Ausgleich einer bestimmten Lebenssituation.

Wir haben den Eingangssteuersatz im Zeitraum von 1998 bis 2005 von 25,9 Prozent auf 15 Prozent gesenkt, der Spitzensteuersatz, den die CDU/CSU und FDP hinterließen betrug 53 Prozent und wurde von uns auf 42 Prozent verringert und der Grundfreibetrag ist von 6.322 Euro auf 7.664 Euro angehoben worden. Das war die größte Steuerentlastung, die Deutschland je hatte und führt im Ergebnis dazu, dass eine Familie mit zwei Kindern erst bei einem höherem Bruttoeinkommen als 37.450 € Steuern zahlen muss, wenn das Kindergeld eingerechnet wird. Damit haben wir heute die niedrigsten Steuersätze, die es jemals in Deutschland gab. Auch im internationalen Vergleich sind die deutschen Einkommenssteuersätze mittlerweile wettbewerbsfähig. Insofern ist die von CDU/CSU geforderte weitere Senkung des Spitzensteuersatzes aus meiner Sicht nicht notwendig. Für besonders falsch halte ich die geplante Gegenfinanzierung von CDU/CSU: U.a. durch die Streichung der Steuerfreiheit für Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschläge sollen die Spitzenverdiener entlastet werden. Für mich ist das schlicht eine Umverteilung von den Arbeitnehmern hin zu den hohen Einkommen. Das lehne ich ab, denn die Steuervergünstigung für diejenigen, die z.B. nachts und/oder am Wochenende arbeiten sind ein notwendiger Ausgleich für die dadurch entstehenden persönliche Einschränkung, z.B. in Bezug auf das Familienleben.

Davon abgesehen macht der Vorschlag von CDU/CSU auch wirtschaftlich wenig Sinn, denn die Streichung der Steuerfreiheit der Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschläge würde zu so hohen Einkommensverlusten für die Arbeitnehmer führen, dass dies durch die Arbeitgeber ausgeglichen werden müsste, wenn diese die Arbeitnehmer halten wollen. Im Endeffekt würden also nicht nur Arbeitnehmer Einkommen verlieren, sondern für Arbeitgeber würde sich auch noch eine Kostensteigerung ergeben, so dass Arbeit nicht billiger sondern teurer würde. Auf diese Problematik weisen auch alle maßgeblichen Wirtschaftsverbände hin, z.B. die Hotellerie und Gastronomie. Betroffen wären zudem alle Betriebe mit Schichtarbeit aber auch die Tourismus- und die Gesundheitswirtschaft sowie speziell das Kurwesen. Im Endeffekt stünde ein Verlust an Arbeitsplätzen sowie eine Schwächung der Binnenkonjunktur durch die Einkommensverluste der Arbeitnehmer. Die gleichzeitig von CDU/CSU angekündigte Senkung der Einkommenssteuer wird die Einkommensverluste nicht ausgleichen können – zumal CDU und CSU bereits eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Falle eines Wahlsieges angekündigt haben.

Das Institut der deutschen Wirtschaft, das der SPD wirklich nicht nahe steht, nennt die von CDU/CSU geplante Mehrwertsteuererhöhung „verheerend“, da sie auch zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden soll. Nach Einschätzung der meisten Institute und fast der gesamten Wirtschaft würde die Mehrwertsteuererhöhung Arbeitsplätze vernichten, da die Binnenkonjunktur regelrecht gekillt werden würde. Genau die Binnennachfrage ist aber das größte Problem des Exportweltmeisters Deutschland. Neue Arbeitsplätze entstehen nicht, weil die gleichzeitig von der Union angekündigte Senkung der Lohnnebenkosten zu gering ist und z.B. wegen der durch die Mehrwertsteuererhöhung höheren Kosten für Medizin gleichzeitig die Lohnnebenkosten im Bereich Gesundheit steigen würden (die Kopfpauschale der Union, die die Arbeitgeberbeiträge festschreibt würde nämlich erst später kommen!). Wie viel die „Länderfürsten“ um Stoiber herum vom „Mehrwertsteuerkuchen“ haben wollen, verschweigt die angeblich seit neustem so ehrliche Union übrigens beharrlich.

Die Einheitssteuer von Kirchhof, bei der ein Millionär den gleichen Steuersatz wie die Kindergärtnerin bezahlt, lehne ich, wie auch die gesamte SPD, entschieden ab. Das wäre im Endeffekt eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben und würde die Staatsfinanzen ruinieren. Zu diesem Ergebnis sind übrigens auch alle Finanzminister der Bundesländer gekommen – auch von CDU/CSU –, die allein im ersten Jahr Steuerausfälle von über 40 Mrd. Euro bei Umsetzung der Kirchhof-Pläne erwarten. Das hieße weniger Geld für staatliche Investitionen in Bildung, Forschung, Kinderbetreuung und Infrastruktur.

Die SPD schlägt dagegen eine Senkung der Körperschaftssteuersatzes für Kapitalgesellschaften *(AGs, GmbHs und KGs) von 25 auf 19 Prozent vor. Dabei geht es aber um eine aufkommensneutrale Vereinfachung mit weniger Abschreibungsmöglichkeiten und nicht um eine generelle Senkung. Mit dieser Vereinfachung wird Deutschland international wettbewerbsfähiger und das Steuersystem transparenter. Durch eine rechtsform- und finanzierungsneutrale Unternehmensteuer sollen zudem künftig alle Betriebe einheitlich besteuert werden, egal ob Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft.

Wir wollen zudem, dass hohe Individualeinkommen – ab einem Jahreseinkommen von 250 000 Euro (Ledige) beziehungsweise 500 000 Euro (Verheiratete) – stärker zur Finanzierung von notwendigen staatlichen Aufgaben – vor allem für Bildung und Forschung – herangezogen werden und dafür eine drei Prozent erhöhte Einkommensteuer zahlen. Die private Erbschaftsteuer werden wir sozial gerecht und verfassungsfest umgestalten. Den von uns gegen alle Widerstände begonnenen Subventionsabbau wollen wir fortsetzen. Allerdings wollen wir Subventionen nicht mit dem Rasenmäher abschneiden, denn damit würde man die Anschubfinanzierung zur Marktreife von Innovationen stoppen. Wir müssen daher zwischen Subventionen, die eine Investition in die Zukunft sind und Anreize setzen sowie Subventionen der Vergangenheit unterscheiden, die früher mal einen Sinn gemacht haben, die heute aber keinen Sinn mehr machen. Einen Subventionsabbau, der einseitig gegen die Arbeitnehmer gerichtet ist – so wie es derzeit im Wahlprogramm von CDU/CSU festgeschrieben ist – lehnen wir ebenso ab, wie den unsozialen und nicht Ziel führenden Kahlschlag von Kirchhof.

Zuletzt möchte ich noch auf Ihre Frage bezüglich der Möglichkeit eines Wahlfeldes für Unzufriedene eingehen. Ich halte Ihren Vorschlag für nicht wünschenswert, denn wir haben in Deutschland ein vielfältiges Angebot an Parteien, darunter auch zahlreiche Splitterparteien, so dass eigentlich für jeden etwas dabei ist. Es steht zudem Jeder/m frei, sich in den vorhandenen Parteien einzubringen und damit auch die Inhalte mit zu bestimmen. Es gibt zudem die Möglichkeit, selbst eine Partei zu gründen. Abschließend möchte ich Ihnen noch mal für Ihre Frage bei kandidatenwatch danken, denn sie ist ein Beispiel für reges Interesse an Politik und das Gegenteil von Politikverdrossenheit.

Mit freundlichen Grüßen

Angelika Graf