Frage an Angelica Schwall-Düren von Thomas B. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Schwall-Düren,
in diesen Tagen liest man in den Medien, dass es im Hinblick auf das geplante Zentrum gegen Vertreibungen noch Diskussionsbedarf zwischen SPD und der Union gebe. Besonders an der Person von Erika Steinbach selbst und ihrer zukünftigen Rolle in diesem Projekt scheint sich die SPD zu stoßen. Ich würde gerne von Ihnen wissen, was Ihre Position dazu ist.
Dass ich gerade Sie anspreche, hat einen besonderen Grund: Denn Sie werden in der FAZ von 07.09.07 mit den Worten zitiert, Erika Steinbach habe sich "endgültig für jeden Dialog mit unseren polnischen Nachbarn disqualifiziert".
Anlass für Ihre Beurteilung Steinbachs als "disqualifiziert" seien die folgenden Äußerungen der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen in einem Interview gewesen:
"Ohne Hitler, ohne den Nationalsozialismus hätten all die Wünsche, Deutsche zu vertreiben, die es in der Tschechoslowakei schon davor gegeben hat, die es in Polen schon davor schon gegeben hat, niemals umgesetzt werden können. Hitler hat die Tore aufgestoßen, durch die andere dann gegangen sind, um zu sagen, jetzt ist die Gelegenheit, die packen wir beim Schopfe. Unrecht war es dennoch."
Jetzt drängt sich mir die Frage auf, ob diese Äußerung für Sie wirklich aus inhaltlichen Gründen "skandalös" ist, oder aber ob Sie es nur deswegen ist, weil sie von Erika Steinbach kommt.
Denn in der Tat hat der verstorbene SPD-Politiker Peter Glotz vor Jahren ähnlich argumentiert, ohne dass er deshalb zum Objekt massiver Kritik seiner Parteigenossen geworden wäre. Denn in seiner Rede auf dem Tag der Heimat in Berlin am 1. September 2001 sagte Peter Glotz: "Edvard Benes hat die Vertreibung der Deutschen langfristig geplant [...]" Und in seinem Buch "Die Vertreibung - Böhmen als Lehrstück" schreibt Peter Glotz zu den Ursachen der Zwangsumsiedlung: "Die politisch entscheidende Weichenstellung erfolgte 1918, nicht 1945." Insofern frage ich Sie, was genau eigentlich an Steinbachs Worten skandalös sein soll.
Beste Grüße
T. Baader
Sehr geehrter Herr Bader,
haben Sie herzlichen Dank für Ihre Nachfrage.
Ich lege Ihnen gerne meine Position zum Thema Sichtbares Zeichen dar. Dabei möchte ich noch einmal daran erinnern, was im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU vom 11. November 2005 festgehalten wurde:
"Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um – in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisher beteiligten Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus – an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten."
Damit wird deutlich, dass die Einbindung der Perspektiven unserer Nachbarländer in eine Dokumentationsstätte bereits beschlossen ist und in den Kontext der Vertreibungsdebatte eingebracht werden muss. Es muss auch deutlich formuliert werden, dass die Ursache der Vertreibungen in dem von Deutschland entfachten Weltkrieg und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten liegt. Deutschland hat durch den Angriff auf Polen den Krieg begonnen, in dessen Verlauf über sechs Millionen Polen getötet wurden.
Den Vertriebenen ist unzweifelhaft großes Leid und Unrecht widerfahren. Heute aber sind die ehemals Vertriebenen in Deutschland voll integriert und haben durch das Lastenausgleichgesetz Unterstützung erfahren. Sie haben sich beim Aufbau der Bundesrepublik eingebracht. Vielen Vertriebenen liegt die Versöhnung mit unseren Nachbarn am Herzen. Viele Vertriebene haben sich für die Versöhnung mit unserem Nachbarn eingesetzt, zum Beispiel im Rahmen der Deutsch-Polnischen Gesellschaften.
Die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen durch die gleichnamige Stiftung hat in Polen zu starken Verstimmungen geführt, nicht zuletzt wegen einiger Aussagen von Erika Steinbach. Unter anderem hat sie noch 1990 im Bundestag gegen die Ratifikation des deutsch-polnischen Grenzvertrages gestimmt. Für Polen ist Erika Steinbach ein „Rotes Tuch“. Die Angst in Polen und Tschechien ist groß, dass die Deutschen die Geschichte umschreiben wollen. Der designierte Ministerpräsident Donald Tusk hat bereits signalisiert, dass Polen an einer Mitarbeit interessiert wäre. Im Vergleich zur Vorgängerregierung signalisiert damit Donald Tusk die Bereitschaft zum Dialog. Diese Möglichkeit dürfen wir nicht verspielen. Denn über alle Parteigrenzen hinweg können sich polnische Politiker und Wissenschaftler nicht vorstellen, mit Frau Steinbach zusammenzuarbeiten. Ich wünsche mir sehr, dass die BDV-Präsidentin die Größe besitzt, zugunsten des Sichtbaren Zeichens in die zweite Reihe zurückzutreten. Ich denke, wir sollten auch warten bis sich die Regierung in Polen konstituiert hat und dann ein konkretes Gesprächsangebot formulieren.
Ich möchte noch einmal betonen, dass ich dafür bin, die Geschichte der Vertreibung der Deutschen aufzuarbeiten. Mir geht es aber darum, dass wir dies zusammen mit unseren Nachbarn tun, die auch von den Vertreibungen des 20. Jahrhundert betroffen waren. Es ist unsere gemeinsame Geschichte. Es gibt übrigens bereits über 1.400 Mahnmale und Gedenkstätten in Deutschland zum Thema Vertreibungen der Deutschen. Was wir brauchen, ist eine europäische Sichtweise!
Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wurde die Umsetzung dieses „sichtbaren Zeichens“ intensiv diskutiert. Die SPD-Fraktion setzt sich bei der Umsetzung dafür ein, dass
1. die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ des Bonner Hauses der Geschichte mit in die konzeptionellen Überlegungen eingebunden werden soll;
2. die Ausstellung in Hand des Bundes bleiben und in die Museumslandschaft eingebettet werden soll und
3. auch die Perspektiven unserer Nachbarländer in die Ausstellung einfließen müssen. Dazu sollte eine internationale Konferenz organisiert werden, deren Teilnehmer Einfluss auf die Konzeption haben sollen.
Gerade junge Menschen sollten lernen, aus Sicht verschiedener Länder auf politische und historische Zusammenhänge zu blicken. Dies ist für das Zusammenleben im vereinten Europa enorm wichtig. Deshalb plädiert die SPD-Bundestagsfraktion für eine deutliche europäische Ausrichtung des sichtbaren Zeichens.
Mit freundlichen Grüßen
Angelica Schwall-Düren