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Anette Kramme
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Frage von Sandra E. •

Frage an Anette Kramme von Sandra E. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Kramme,

vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Frage vom 07.01.2008.

Ich habe aber noch einmal ein paar Nachfragen zu diesem Thema:

1. Laut mehreren Wirtschaftsforschern wird die Festschreibung eines Mindestlohn Arbeitsplätze in Deutschland vernichten. selbst wenn die dort genannten Zahlen vielleicht zu hoch sein mögen, wie wollen Sie dem entgegenwirken. Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

2. Sie weisen auf die abnehmende Tarifbindung in Deutschland hin. Ist diese aber nicht vielleicht auch damit zu begründen, dass vielfach die Tariflöhne keine für die globalisierte Welt konkurenzfähigen Preise mehr zulassen?

3. Sie sehen in der Tarifvereinbarung im Postgewerbe keinen Missstand. Trotzdem ist es doch unbestritten so, dass die Post AG als maßgeblicher Faktor im AG-Berband hier einen für die Konkurenz gültigen TV ausgehandelt hat, die eigentlich nur einen Gewinner hat. Die Post AG! Der Vorstandsvorsitzende hat sich gleich so über den TV-Abschluss gefreut, dass er hier ins Aktiengeschäft eingestiegen ist. Können Sie wirklich guten Gewissens hier vertreten, dass bei diesem TV-Abschluss Arbeitnehmerinteressen eine Rolle gespielt haben und nicht Wettbewerbsgesichtspunkte?

Mit freundlichen Grüßen

Sandra Erdwein

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Sehr geehrte Frau Erdwein,

gerne nehme ich Stellung zu Ihren Nachfragen.

Zu 1.: Die wissenschaftliche Debatte über die beschäftigungspolitischen Auswirkungen von gesetzlichen Mindestlöhnen wurde lange Zeit von der US-amerikanischen Literatur dominiert. Zunächst kam der Großteil der empirischen Untersuchungen für die USA in der Tat zu dem Ergebnis, dass gesetzliche Mindestlöhne eher negative Beschäftigungseinflüsse – insbesondere bei Jugendlichen - haben. Dies hat sich jedoch zwischenzeitlich geändert. Waren 1990 noch 63 % der US-Ökonomie-Professoren der Meinung, dass gesetzliche Mindestlöhne die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen erhöhen, so waren es im Jahr 2000 nur noch 46 %. Ausgelöst wurde dieser Meinungsumschwung insbesondere durch die Studien von David Card und Alan B. Krueger (1995). Sie verglichen die Beschäftigungsentwicklung in Fast-Food-Restaurants der benachbarten US-Bundesstaaten New Jersey und Pennsylvania. In New Jersey wurde der gesetzliche Mindestlohn erhöht, in Pennsylvania blieb er gleich. Die Studien ergaben eindeutig, dass die Erhöhung des Mindestlohns keinen negativen Einfluss auf die Beschäftigung hat. Diese Ergebnisse waren deshalb bemerkenswert, weil Fast-Food-Restaurants den klassischen Niedriglohnsektor repräsentieren, der als besonders gefährdet galt.

In Europa haben 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten einen gesetzlichen Mindestlohn. Auch hier kommen neuere Studien, unter anderem der OECD, zu dem Ergebnis, dass mit gesetzlichen Mindestlöhnen keine eindeutigen Beschäftigungseffekte verbunden sind. 1999 wurden in Großbritannien gesetzliche Mindestlöhne eingeführt. Entgegen der Warnungen vor allen vieler Arbeitgeber ist seitdem die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten je nach Sektor gleich geblieben oder sogar gestiegen. Im Bericht der britischen Low Pay Commission von 2003, die mit Vertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaft besetzt ist, wird darauf verwiesen, dass der nationale gesetzliche Mindestlohn ohne einen spürbar negativen Einfluss auf Wirtschaft und Beschäftigung geblieben sei.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass es natürlich auch auf die Höhe eines Mindestlohns ankommt. Überzogene Forderungen können sicherlich negative beschäftigungspolitische Auswirkungen haben. Der von Ihnen angesprochene Mindestlohn für die Briefdienstleister ist meines Erachtens jedoch in seiner Höhe gerechtfertigt.

Zu 2.: Die Ursachen für die abnehmende Tarifbindung sind vielfältig. Die These, die angeblich im globalen Vergleich zu hohen Löhne in Deutschland seien für diese Entwicklung verantwortlich, greift sicher zu kurz. Übrigens gibt es auch eine große Zahl tarifvertraglich vereinbarter Niedriglöhne in Ost- und Westdeutschland. Eine Aufstellung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit von Dezember 2003 weist 670 Tarifvereinbarungen aus, nach denen Niedriglöhne von weniger als 6 Euro pro Stunde bezahlt werden. Auch gelernte Fachkräfte erhalten zum Teil Stundenlöhne von unter 10 Euro brutto. Auch in tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnissen gibt es also Armutslöhne. Ein Beispiel: der tarifliche Stundenlohn für Friseurinnen und Friseure in Sachsen beträgt beispielsweise nur 3,06 Euro. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden erhält ein Friseur/eine Friseurin in Sachsen also 492 Euro im Monat.

Branchen mit hohen Tariflöhnen wären von einem allgemeinen Mindestlohn nicht betroffen. Betroffen wären Branchen mit sehr niedrigen Tariflöhnen. Dies sind zum Beispiel die genannten Friseure, Wachdienste und Abfallentsorger. Lohnunterschiede gegenüber der globalisierten Welt spielen in diesen Branchen keine Rolle. Die Haare werden trotzdem in der Heimat geschnitten. Die Bundesliga spielt weiterhin in deutschen Stadien und benötigt Wachdienstleistungen vor Ort. All diese Menschen würden von höheren Löhnen profitieren, ohne eine Verlagerung ins Ausland fürchten zu müssen.

Zu 3.: Sicherlich liegt der Post-Mindestlohn auch im Interesse der Deutschen Post AG. Sonst hätte sie dem ausgehandelten Tarifvertrag wohl kaum zugestimmt. Aber vor allem kommt er den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Briefdienstleistungsbereich zu Gute. Der ausgehandelte Tarifvertrag bewahrt Tausende von Postangestellten davor, ihren Job wegen des Lohndumpings anderer zu verlieren. Er ermöglicht außerdem den Mitarbeitern anderer Postdienstleister, von ihrer Hände Arbeit zu leben – ohne auf ergänzende staatliche Hilfen angewiesen zu sein.

Mit freundlichen Grüßen

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