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Andreas Schwarz
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Frage von Max S. •

Frage an Andreas Schwarz von Max S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schwarz,
mir geht es um die Vereinbarungen zwischen der EU und der Türkei zum Asylrecht. Insofern sind Sie vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner, aber vielleicht können Sie mir trotzdem weiterhelfen. Wenn ich die neuesten Nachrichten zu Flüchtlings-Schicksalen verfolge, komme ich zu der Auffassung, dass durch eine Verlagerung des Problems an die Außengrenzen der EU das Menschrecht auf Asyl sehr leidet und Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Besonders aktuell durchlaufen Flüchtlinge, die über die Türkei oder Griechenland versuchen Asyl zu bekommen, Verfahren, die unwürdig sind und u.a. mit Einschüchterungen arbeiten. Ich verweise hierzu auf eine Schrift der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl:
https://issuu.com/pro_asyl/docs/eu-tu__rkeibro_web?e=4871293/36153189
Meine Frage: Gibt es für Sie bzw. Ihre Partei die Möglichkeit den EU-Türkei-Deal zu stoppen oder auf die Einhaltung von Mindeststandards bei Verfahren in Griechenland oder der Türkei zu drängen?
Mit freundlichen Grüßen
Max Straub

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Straub,

vielen Dank für Ihre Frage bezüglich des EU-Türkei Abkommens via abgeordnetenwatch.de. Gerne nehme ich mich Ihrem Anliegen an und versuche Ihnen meinen Standpunkt und den der SPD-Bundestagsfraktion zu erläutern.

Durch das Abkommen soll die unkontrollierte irreguläre und auch lebensgefährliche Einreise von Flüchtlingen nach Europa über die Ägäis verhindert werden. Seit dem 20. März 2016 wird jeder Flüchtling, der aus der Türkei nach Griechenland kommt, in die Türkei zurückgeführt. Hierbei hat jeder Flüchtling aber das Recht auf eine individuelle Prüfung seines Asylgesuchs, welche die griechischen Behörden in Zusammenarbeit mit dem UNHCR durchführen - unter Beachtung der internationalen und europäischen Schutzstandards sowie des Non Refoulement-Gebots und auf Grundlage der Asylverfahrensrichtlinie.

Die Vereinbarung hält ausdrücklich fest: Massenabweisungen wird es nicht geben. Die Rückführung wird unter voller Achtung der europa- und völkerrechtlichen Vorgaben, einschließlich des Gebots des Non-Refoulement, erfolgen. Alle Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, werden registriert. Jeder Asylantrag wird von den griechischen Behörden nach den Vorgaben der EU-Asylverfahrensrichtlinie individuell geprüft. Die EU-Mitgliedstaaten stellen Griechenland für das gesamte Verfahren umfassende Unterstützung (logistisch und personell) zur Verfügung.

Gleichzeitig wird ein legaler Weg in die EU geöffnet. Ebenfalls ab dem 20. März wird für jeden syrischen Flüchtling, der aus Griechenland in die Türkei zurückgeführt wird, ein (anderer) syrischer Flüchtling in den EU-Mitgliedstaaten Aufnahme finden. Die Auswahl erfolgt unter Berücksichtigung besonderer Schutzbedürfnisse. Sobald die irreguläre Migration über die Ägäis zu einem Ende gekommen ist, wird ein humanitäres Aufnahmeprogramm auf den Weg gebracht, an dem sich die EU-Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis beteiligen.

Darüber hinaus hat die Türkei durch Verordnung sichergestellt, dass die aus Griechenland zurückgeführten Syrer temporären Schutz genießen. Die Türkei hat am 24. April schriftlich erklärt, allen Nicht-Syrern Zugang zum Asylverfahren zu gewähren und das Non-Refoulement-Gebot zu beachten.

Die Türkei ist selbst völkerrechtlich an die europäische Menschenrechtskonvention, die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen sowie den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte und damit an die daraus resultierenden (Ketten-)Abschiebeverbote gebunden. Dies betrifft Abschiebungsverbote in Länder, bei denen stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass den Betroffenen dort Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder gerade der betroffenen Person eine konkrete Gefahr für Leib und Leben droht. Die Genfer Flüchtlingskonvention hat die Türkei zwar nur mit einem Vorbehalt ratifiziert, der ihre Geltung auf Flüchtlinge aus europäischen Ländern beschränkt, sodass Art. 33 Abs. 1 GFK Flüchtlinge aus nicht europäischen Ländern nicht vor Abschiebung aus der Türkei in ein Land schützt, in dem ihnen Verfolgung droht. Die Türkei hat aber durch nationales Recht ein umfassendes Refoulement-Verbot statuiert, das auch diesen Fall umfasst. Sie hat sich auf dem Gipfel erneut zum Schutz der zurückgenommenen Flüchtlinge in Einklang mit internationalen Standards unter Respektierung des Non-Refoulement-Gebots verpflichtet.

In der türkischen Innenpolitik mussten wir zuletzt zahlreiche kritische Entwicklungen und Verfehlungen beobachten. Die staatliche Übernahme von Medien, die der (in der Türkei als Terrorgruppe verfolgten) Gülen-Bewegung nahestehen, ist ein schwerer Eingriff in die Pressefreiheit und wirft mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz gravierende Fragen auf. Auch die Berichte über Menschenrechtsverletzungen im Kurdenkonflikt erfüllen uns mit tiefer Sorge. Ebenfalls verurteilen wir die Aufhebung der Immunität oppositioneller Abgeordneter im türkischen Parlament auf das Schärfste. Aber das eine zu tun, heißt nicht, das andere zu lassen. Wir müssen mit der Türkei zu einer Lösung zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegungen kommen, und wir müssen weiterhin mit ihr über kritische innenpolitische Entwicklungen sprechen und Missstände offen ansprechen.

Die Ergebnisse sind ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer gesamteuropäischen Lösung. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich dazu bekannt, gemeinsam nach einem Ausweg aus der Flüchtlingskrise zu suchen. Dies ist eine Absage an nationale Alleingänge und damit ein Erfolg auch der deutschen Sozialdemokratie, die von Beginn an eine europäische Lösung gefordert hat.

Die Einigung mit der Türkei hat das Potential, das Schleuserunwesen in der Ägäis zu beenden. Sie beseitigt Anreize für Flüchtlinge, sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu machen. Gleichzeitig werden legale Aufnahmewege direkt aus der Türkei eröffnet. Die menschenrechtlichen Anforderungen, insbes. der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, sind gewahrt. Die Türkei verpflichtet sich zum Schutz der zurückgenommenen Flüchtlinge in Einklang mit internationalen Standards unter Respektierung des Non-Refoulement-Gebots. Jeder Flüchtling, der in Griechenland ankommt, hat das Recht auf eine individuelle Prüfung seines Asylantrags. Der tatsächliche Erfolg hängt allerdings von einer raschen und umfassenden Umsetzung der Ergebnisse ab. Dies ist noch kein Selbstläufer und bedarf der Anstrengung aller auf allen Seiten. Griechenland als Land der ersten Ankunft in Europa trägt dabei die Hauptlast und muss vollumfänglich unterstützt werden. Umgekehrt ist Griechenland aber auch in der Pflicht, unverzüglich für Verbesserungen zu sorgen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Andreas Schwarz

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