Frage an Andreas Schwarz von Uwe M. bezüglich Verkehr
Lieber Herr Schwarz,
das Verkehrsministerium hat eine neue Sicht der Kapazitätsfrage bei S21 veröffentlicht:
http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/120117/
Hierzu interessiert mich die Haltung der Fraktion in der gesetzgebenden Gewalt, die auch die Aufgabe hat, die Regierung zu kontrollieren.
Fragen:
1. Welche Relevanz hat bei Ihnen bzw. in Ihrer Fraktion die Beschreibung der Leistungsfähigkeit anhand von "vertakteten" Zügen, die zu dem erstaunlichen Ergebnis kommt, S21 könne 50% mehr leisten?
2. Zitat: "In der Bewertung, ob es sich bei dem vorgelegten Ergebnis um eine „gute" Betriebsqualität im Sinne des Schlichterspruchs handelt, hatten die Koalitionspartner unterschiedliche Einschätzungen." Bedeutet "hatten", dass dies nicht mehr so ist?
3. ZItat: "Die DB Netz AG hat eine vertiefte Untersuchung in Form einer Infrastrukturplanung, Fahrplankonstruktion und Durchführung einer Betriebssimulation für den Kopfbahnhof („K20") aber abgelehnt." Ihnen ist sicher bekannt, dass die Darstellungen über die höhere Leistungsfähigkeit von S21, die laut Verträgen ja zwischen 50-100% über der von K20 liegen muss, stark kritisiert wird (einschließlich des Stresstests). Somit hängt die Planrechtfertigung und die Wirtschaftlichkeit von diesem Leistungsplus ab. Ist es dem Steuerzahler zuzumuten, dass Mrd.€ für einen Umbau ausgegeben werden, ohne dass ein direkter Vergleich zwischen beiden Varianten, einen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis liefern muss? Kann es sein, dass sich das Land mit fast 1 Mrd.€ an diesem Projekt beteiligt ohne Anspruch auf diesen Nachweis?
4. Sehen Sie einen Sinneswandel im Verkehrsministerium, nachdem Kretschmann die Parole ausgegeben hat, "es gibt kein Zurück mehr"?
5. In den nächsten Tagen ist mit einer erneuten Anrufung des BVG wegen eines drohenden Hausabrisses wegen S21 zu rechnen. Hier spielt der Leistungsvergleich auch eine tragende Rolle. Sehen Sie in der Positionierung des Ministeriums einen Zusammenhang?
MfG
Uwe Mannke
Sehr geehrter Herr Maanke.
Vielen Dank für Ihre Frage vom 11.05.2013.
Lassen Sie mich folgendes vorausschicken:
Wir haben Stuttgart 21 aus verkehrlicher und finanzieller Sicht abgelehnt, da wir insbesondere hinsichtlich der Leistungsfähigkeit Zweifel haben.
Das Land Baden-Württemberg hatte bereits vor der Landtagswahl im März 2011 einen Finanzierungsvertrag (FinVe) abgeschlossen.
Daher haben wir das S21-Kündigungsgesetz zur Volksabstimmung gebracht, um eine Möglichkeit zur Beendigung der FinVe zu schaffen. Leider hat das S21-Kündigungsgesetz keine Mehrheit erhalten. Das Land ist demnach verpflichtet, seinen Leistungen nachzukommen. Im Gegenzug ist die Deutsche Bahn AG verpflichtet, das Ihrige zu tun.
Stuttgart 21 ist ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG. Die Deutsche Bahn AG ist Bauherrin und Vorhabenträgerin. Das Land leistet einen Zuschuss.
Klar ist für uns, dass die Deutsche Bahn AG sämtliche Leistungen aus dem Finanzierungsvertrag in Einhaltung mit den einschlägigen Rechtsvorschriften zu erfüllen hat. Hierzu gehört auch, dass jeweils eine genehmigungsfähige Planung vorgelegt wird. Daher darf es insbesondere beim Brandschutz keine Kompromisse geben. Herr Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat hierauf zusammen mit Herrn Finanzminister Nils Schmid hingewiesen.
Die Leistungen des Landes bei Stuttgart 21 richten sich nach dem FinVe. Es besteht nach dem Finanzierungsvertrag keine Verpflichtung zu weiteren Leistungen. Der Kostendeckel gilt. Das Land wird sich an Mehrkosten oberhalb von 4,526 Mrd. € nicht beteiligen. Die Sprechklausel bedeutet nicht, dass das Land mehr (als 930 Mio. €) bezahlen muss
Die Deutsche Bahn AG muss für vollständige Transparenz bei den Kosten, Chancen und Risiken sorgen und auch die Projektrisiken darstellen.
Dies vorausgeschickt, nun zu Ihren Fragen: Sie beziehen sich auf eine Veröffentlichung im Internetangebot des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur.
Diese lautet auszugsweise: "Die Anzahl von Zügen oder Gleisbelegungen pro Stunde sind weder in den Planfeststellungsunterlagen noch im Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 ausdrücklich geregelt. Stattdessen verweisen diese Unterlagen hinsichtlich der eisenbahnverkehrlichen Anforderungen auf die der Planung zu Grunde liegende nachfrageorientierte Prognose. Diese wird als Betriebsszenario 2003 bezeichnet. Planfeststellungsunterlagen und Finanzierungsvertrag enthalten konkrete Zugzahlen des Betriebsszenarios je Tag und Richtung. Nach dem Finanzierungsvertrag ist damit die Deutsche Bahn verpflichtet, eine Infrastruktur zu bauen, auf der zumindest diese Zugzahlen gefahren werden können. Die vertraglich fixierten täglichen Zugzahlen wurden seinerzeit durch die Planung von vertakteten Linien ermittelt. Vertaktete Züge fahren in einem fest, leicht merkbaren, zeitlichen Rhythmus (z.B. einmal pro Stunde zur immer gleichen Zeit). Diese Angebotsplanungen sahen vor, dass im Tiefbahnhof Stuttgart in den Hauptverkehrszeiten 30 Züge je Stunde abzufertigen sind. Das ist gegenüber dem Angebot von 2001 eine Erhöhung um ca. 50 %. Die Zahl von 30 Zügen bezieht sich auf Verbindungen in Richtung und Gegenrichtung. Verstärkerzüge, die etwa zu Spitzenzeiten außerhalb des regulären Taktes zusätzlich Reisende nach Stuttgart bringen, aber nicht zurückfahren, werden dabei nicht mitgezählt."
Diese Sachverhaltsdarstellung ist meines Erachtens zutreffend. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Verstärkerzüge, also zusätzlich eingesetzte Züge ergänzend zu den in Taktlage fahrenden Zügen, noch nicht einberechnet worden sind.
Vor der Landtagswahl, also im März 2011, haben wir eine Studie zur Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 vorgelegt. Sie finden diese unter http://gruene-gegen-stuttgart21.de/stuttgart-21-wird-beim-stresstest-durchfallen-landtagsfraktion-legt-studie-zur-leistungsfahigkeit-vor/1601/.
Die Doppelbelegung von Gleisen, die kurzen Haltezeiten der Züge und die dichte Zugfolge - insbesondere in der morgendlichen Spitze - bei der im Tiefbahnhof beschränkten und nicht ohne Weiteres erweiterbaren Infrastruktur waren und sind die zentralen Kritikpunkte an Stuttgart 21.
Gerne will ich noch etwas ausführlicher Stellung nehmen: Richtig ist, dass den Planfeststellungsverfahren und den Finanzierungsverträgen zu Grunde liegende Bemessungsprogramm keine Planung einer Spitzenstunde beinhaltet, sondern ausschließlich die Planung von vertakteten Zugangeboten. In einer Spitzenstunde verkehren darüber hinaus Verdichter- und Verstärkerzüge. Dazu gibt es im Bemessungsprogramm aber keine konkreten Zahlen. Bezogen auf die vertakteten Züge sieht das Bemessungsprogramm eine erheblich höhere Zugzahl (= Leistung) vor als im status quo, nämlich 30 Züge gegenüber 21 Zügen. Insoweit ist eine erhebliche Mehrleistung Grundlage der Planfeststellung und auch vertraglich geschuldet.
Der permanente Fehler, der in diesem Zusammenhang aber gemacht wird, ist die Gleichsetzung von vertakteten Zügen mit Spitzenstundenzügen und Leistung mit Leistungsfähigkeit. Die Fragestellung der Leistungsfähigkeit in der Spitzenstunde war zentrales Thema der Auseinandersetzung in der Schlichtung und im anschließenden Stresstest - siehe meine Anmerkung oben.
Klar ist: Die Anforderung des Schlichterspruchs (2010) - Leistungszuwachs von 30 Prozent in der Spitzenstunde - ist weder aus dem Planfeststellungsbeschluss (2005) noch aus den Finanzierungsverträgen (2009) ableitbar und daher auch nicht einklagbar. Das alles ist aber keine Neuigkeit, sondern wurde bereits in der Schlichtung und im Stresstest ausführlich diskutiert.
Vor der Volksabstimmung im November 2011 haben wir diese Argumente ausführlich der Öffentlichkeit vorgelegt.
Wie die Bürgerschaft dann entschieden hat, wissen Sie selbst. Nachdem also das S21-Kündigungsgesetz keine Mehrheit erhalten hat und die Deutsche Bahn AG als Vorhabenträgerin S21 verwirklichen möchte, wird das Land seinen vertraglichen Pflichten aus dem FinVe nachkommen und seine Zuschüsse bezahlen. Meine Aufgabe sehe ich daher insbesondere darin, auf die Einhaltung des Kostendeckels zu achten. Siehe hierzu auch http://www.andreas-schwarz.net/landespolitik/keine-zusatzmittel-fuer-den-filderbahnhof-das-land-beteiligt-sich-nicht-an-mehrkosten-fuer-s21 und http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.flughafen-haltestelle-gruene-kein-cent-zusaetzlich-fuer-stuttgart-21.9b2c4463-0ca4-477d-80f6-eb46ed019a81.html .
Ich hoffe, Ihre Fragen umfassen beantwortet zu haben.
Viele Grüße
Andreas Schwarz