Frage an Andreas Schockenhoff von Hans-Jürgen S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Schockenhoff,
seit Wochen ist besonders Deutschland vom Abhörskandal der NSA sowie der Briten betroffen. Alles was (von schwarz über gelb bis rot und grün) Politiker hierzu zu vermelden wissen ist nichts anderes als, Halbwahrheiten, Lügen, Vertuschungen. Auch Sie haben geschworen sich bestmöglich für das deutsche Volk einsetzen und Schaden von ihm zu wenden. Daher einige Fragen zu NSA/Ed Snowdon im Besonderen und zu Bürgerrechte und Demokratie im Allgemeinen.
Ed Snowdon hat klar amerikanische Bestimmungen missachtet indem er die maßlosen Schnüffeleien von USA und GB öffentlich gemacht hat. Er hat also eine persönliche Entscheidung getroffen welche Prinzipien seiner Sicht nach höher zu bewerten sind. Loyalität gegenüber einem entfesselten Staatsapparat der, Verfassung hin oder her, weltweit jedes Individuum unter Generalverdacht stellt, oder durch Hinweis auf diese Missbräuche zu versuchen Persönlichkeitsrechte und damit letztlich die Demokratie zu schützen. In wenigen Tagen ist der Gedenktag zum 20. Juli 1944. Auch Stauffenberg und Co. haben damalige Gesetze gebrochen und waren sogar zum Tyrannenmord bereit.
In Deutschland wird jährlich mit übergroßer Zustimmung und Verehrung dieser Männer gedacht. Zurecht, wie ich finde.
1.) Wie verträgt es sich dann, dass diese, von Ihnen unterstützte Bundesregierung, dann einen berechtigten Asylantrag abweist? Wie wollen Sie, als Ex-Lehrer Schülern und Studenten glaubhaft erklären, das Stauffenberg ein Held und Ed Snowdon ein Verräter ist? Wo ist der Unterschied zu den Menschenrechtsverletzungen in Russland und China?
2.) Daneben muss man feststellen, wenn man nicht völlig naiv ist, dass D immer noch nicht völlig souverän ist (vgl. Prof. Fossepoth, Freiburg) und keine Regierung dies dem Volk gegenüber zugibt.
Diese Geheimverträge machen Art.10 GG, Post-/Fernmeldegeheimnis obsolet, da alle Bundesbürger unter Generalverdacht sind. Wie wollen Sie damit glaubhaft Artikel 10 GG schützen?
Sehr geehrter Herr Schirmer,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Die aktuelle Debatte führt uns zu dem immer wiederkehrenden Thema des *richtigen Verhältnisses zwischen Sicherheit und Freiheit* *im IT-Zeitalter. *Unser Staat hat die Pflicht, seine Bürger zu schützen und seine Freiheiten und Grundrechte zu achten. Die Union ist die einzige Partei, die diesen /beiden/ Dimensionen staatlicher Aufgaben eine hohe Priorität einräumt. Nur wenn es ein ausreichendes Maß an Sicherheit in einer Gesellschaft gibt, können die Bürgerinnen und Bürger ihre Freiheiten auch tatsächlich nutzen. Die Freiheitsrechte unserer Verfassung richten sich nicht nur gegen den Staat, sondern sie verlangen zugleich auch seinen aktiven Schutz gegenüber Straftätern und Gefährdern sowie Übergriffen anderer Staaten.
Sowohl der Freiheit als auch der Sicherheit können wir nur gerecht werden, wenn wir uns am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientieren. Das heißt ganz konkret: Wenn es um die Suche nach einem Mörder, Entführer oder Terrorverdächtigen geht, kann ein Richter in Deutschland oder die dafür beim Bundestag eingerichtete G-10-Kommission die Überwachung der Kommunikation anordnen. Dies ist in solchen Fällen notwendig und völlig angemessen. Bei weniger gravierenden Gefahren oder Straftaten wie zum Beispiel einem Ladendiebstahl sind nach unserem Verständnis andere Maßnahmen ausreichend.
Der Zweck heiligt also nicht alle Mittel, sondern Zweck und Mittel müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Wir werden daher selbstverständlich auch zum Zweck der Sicherheit nicht alles gesetzlich zulassen, was technisch möglich ist. Wir wollen unseren Sicherheitsbehörden daher auch künftig nur einen gezielten Zugriff auf Daten unter strengen rechtsstaatlichen Maßgaben erlauben. *Eine ziellose und allumfassende Sammelwut lehnen wir jedoch strikt ab. Darin unterscheidet sich unser Sicherheits- und Freiheitsverständnis von demjenigen der US-Regierung.*
Daher steht es vollkommen außer Frage: In Deutschland gilt unser Recht. Man muss aber wissen, dass im Zeitalter des Internets der Geltungsbereich unserer Gesetze letztlich begrenzt ist. In dem Moment, wo wir unsere Daten über das Internet senden, verlassen diese oftmals, ohne dass wir es überhaupt bemerken, unser Staatsgebiet. Für die Nutzung der populären ausländischen und insbesondere amerikanischen Dienste gilt dies ohnehin.
Die Bundesregierung setzt sich zu Recht für europäische und internationale Datenschutzstandards ein. Die anstehende Novellierung des Europäischen Datenschutzrechts bietet kurzfristig die Chance, zu Verbesserungen zu kommen. Die Schaffung internationaler Abkommen wird einige Zeit in Anspruch nehmen, ebenso wie die bereits laufenden Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten über ein Datenschutzabkommen im Sicherheitsbereich. Aber auch hier sollten wir realistisch bleiben, denn viele Staaten werden darauf dringen, den Bereich der Nachrichtendienste, der ihre Souveränität im Kern betrifft, auszunehmen -wie überhaupt unser umfassendes Verständnis von Datenschutz noch nicht einmal überall in Europa, geschweige denn in der Welt geteilt werden wird.
Letztlich werden wir daher nicht umhin kommen, Maßnahmen des technischen Selbstschutzes zu ergreifen. Ohne eine vertrauenswürdige "IT-Sicherheit - Made in Germany" werden wir, der Staat und unsere Wirtschaft nicht in der Lage sein, uns wirkungsvoll gegen Ausspähung durch wen auch immer zu schützen.
Hierfür bedarf es eines ganzen Bündels von Maßnahmen, angefangen von geeigneten gesetzlichen Grundlagen wie dem IT-Sicherheitsgesetz, das wegen des Widerstandes unseres Koalitionspartners nicht mehr verabschiedet werden konnte, über eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung der zuständigen Behörden bis hin zu einer industriepolitischen Initiative zur Förderung nationaler Hersteller vertrauenswürdiger Hard- und Software.
Die Schaffung und der Erhalt einer vertrauenswürdigen IT-Industrie ist dabei einer der wesentlichen Bausteine in dem Gesamtkomplex IT-Sicherheit. Es geht dabei auch um die Frage einer technologischen Souveränität unseres Staates. Diese wird nur möglich sein, wenn wir für bestimmte, besonders schützenswerte Bereiche wie kritische Infrastrukturen oder sensible Kommunikation auf eigene nationale Produkte und Lösungen setzen. Wir sollten die aktuelle Diskussion als einen Weckruf verstehen.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schockenhoff