Frage an Andreas Otto von Vera L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Andreas Otto,
wie beurteilen Sie die Einschätzung der Anwältin Seyan Ates, es gäbe eine "böse, integrationsfeindliche und rassistische Allianz" von türkischen Verbänden und Grünen, die die Integration behindern und "verantwortlich sind für die verhärteten Fronten? Was tun Sie, um auf das Schicksal der zwangsverheirateten Frauen, die in Deutschland vielfach in Wohnungen eingesperrt leben,aufmerksam zu machen und diesen Frauen zu helfen?Sehen Sie Zusammenhänge zu Ihrer Ahmaddiyya-Haltung?
Sehr geehrte Frau Lengsfeld,
nicht immer waren wir als Bündnisgrüne mit Seyran Ates in allen Punkten einer Meinung, auch was ihre mitunter scharfe Kritik an unserer Partei betrifft. Das von Ihnen erwähnte Zitat von Frau Ates ist im Übrigen Resultat eines Missverständnisses, entstanden im Zusammenhang mit der Diskussion um die Deutsch-Pflicht auf dem Schulhof der Hoover-Schule. Diese freiwillige Selbstverpflichtung begrüße ich ausdrücklich.
Frau Ates ist eine sehr mutige Anwältin, die bedeutende gesellschaftliche Probleme ins öffentliche Bewusstsein getragen hat. Sie hat die volle Solidarität meiner Partei gegenüber Angriffen und Bedrohungen. Wir haben uns aktuell ganz praktisch z.B. für polizeilichen Schutz für Seyran Ates eingesetzt und das Unterstützungsnetzwerk mitinitiiert, das jetzt die Weiterführung ihrer so wichtigen anwaltlichen Tätigkeit ermöglicht.
Zu Themen wie Zwangsverheiratung und "Ehren"mord ist vor allem unsere Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz seit Langem sehr aktiv. Die Grünen waren die erste Fraktion, die sich dieses Themas im Berliner Abgeordnetenhaus annahm - von Anfragen über eine Anhörung (u.a. mit Seyran Ates als Sachverständige) bis zu parlamentarischen Anträgen. Auf unseren Druck wurde ein Maßnahmenprogramm gegen Zwangsverheiratung beschlossen. Und genau diese Politik möchte ich in der neuen Landesregierung unterstützen.
Lange hat die Fraktion im Abgeordnetenhaus mit dem rot-roten Senat über die skandalöse Praxis der Berliner Ausländerbehörde gestritten, Zwangsverheirateten für den Fall der Scheidung keine Aufenthaltserlaubnis zuzusichern. Wer Angst hat, das Land verlassen zu müssen, kann nicht frei über eine eventuelle Trennung vom Ehemann entscheiden.
Über Themen wie häusliche Gewalt sind wir auch mit MigrantInnenvereinen im Gespräch. Durch Dialog und Zusammenarbeit mit den Vereinen wollen wir erreichen, daß sich tatsächlich etwas bewegt in der türkischen Community. Wir bedauern in diesem Zusammenhang sehr die Spannungen zwischen dem SPD-nahen Türkischen Bund Berlin-Brandenburg und dem SPD-Mitglied Seyran Ates.
Die von Seyran Atres mit angestoßene Integrationsdebatte wurde auch bei den Berliner Grünen ausführlich geführt. Dies hat sich z.B. niedergeschlagen in dem 15-Punkte-Papier "Integrationspolitik konkret" der grünen Abgeordnetenhausfraktion, das Sie im Internet finden unter:
http://www.gruene-fraktion-berlin.de/cms/default/dok/114/114863.integrationspolitik_konkret.htm
Die Bundestagsfraktion hat im Mai ein ähnliches Papier beschlossen:
http://www.gruene-bundestag.de/cms/innen_recht/dok/126/126606.htm
Informationen zu einem Fachgespräch "Menschenrechtsverletzungen im Namen der Ehre" mit Seyran Ates finden Sie hier:
http://www.gruene-bundestag.de/cms/archiv/dok/66/66118.htm
Mehr als früher machen wir Bündnisgrünen deutlich, dass die unteilbaren Menschenrechte und Grundsätze unserer Verfassung wie die Gleichberechtigung unverzichtbare Basis des Zusammenlebens in Vielfalt sind. Es gibt keine "kulturspezifischen" Abstriche bei den Menschenrechten. Genauso, wie es keine Abstriche bei dem Recht auf freie Religionsausübung gibt.
Und da schließt sich der Kreis, denn Sie fragen ja auch nach der Pankower Ahmadiyya - Gemeinde. Selbstverständlich gilt auch für diese Gemeinde und alle ihre Mitglieder das Grundgesetz. Menschenrechte, Religionsfreiheit und selbst so profane Dinge wie das Baurecht. Falls Sie hinter meiner Treue zum deutschen Bau- und Planungsrecht eine Befürwortung aller Inhalte der Religion der Ahmadiyya zu erkennen glauben, liegt ein Missverständnis vor. In den Gesprächen mit allen Beteiligten werbe ich gerade für Integration auf der Basis des Grundgesetzes und die gemeinsame deutsche Sprache.
Die schon eingetretene Schädigung des guten Rufes von Pankow als weltoffenem Bezirk macht mir ernste Sorgen. Was wir als Bündnisgrüne, insbesondere unser Bürgermeisterkandidat Herr Kirchner, für ein friedliches Pankow unternommen haben, hatte ich auf die Frage von Herrn Peer Stayn ausgeführt.
Differenzierte Positionen sind oftmals schwer zu kommunizieren. Gerade bei Integrationsfragen verbietet sich schwarz-weiß Malerei wie sie leider häufig von CDU-Politikern betrieben wird.
Lassen Sie uns gemeinsam verhärtete Fronten abbauen und Rassismus verhindern.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Otto