Frage an Andreas Lämmel von Leif H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo aus Schwarzenberg in Sachsen!
Die CDU in Thüringen, die CDU in Hamburg, die CDU in Bremen und die CSU stellen sich aktiv hinter Volksbegehren, die die direkte Mitbestimmung der Bürger stärken.
Wie könnte ich eine Zustimmung der CDU im Bundestag zu bundesweiten Volksentscheiden und zur Abschaffung von Parteilisten bei der Bundestagswahl erreichen?
MfG Leif Hansen
Sehr geehrter Herr Hansen,
vielen Dank für Ihre Frage auf abgeordnetenwatch.de vom 14.04.2009, die ich Ihnen gern beantworte.
Zuerst zum Thema Volksentscheid:
Sie haben zu Recht erwähnt, dass die CDU Volksentscheide auf Landesebene und im kommunalen Bereich befürwortet. Dort besteht diese Möglichkeit und dort halte ich es auch für sehr sinnvoll. Das Beispiel Waldschlösschenbrücke in Dresden ist dafür ein gutes Beispiel.
Auf Bundesebene halte ich Volksbegehren/Volksentscheide bis auf Ausnahmefälle (zB. Abstimmung über EU-Verfassung, Neugliederung des Bundesgebietes) allerdings für kein geeignetes Mittel, um die Politikverdrossenheit, die immer wieder als Argument angeführt wird, zu bekämpfen.
Ich halte ich es für wahrscheinlich, dass insbesondere bei häufigem Einsatz des Instruments ein Abnutzungseffekt eintritt, so dass die Politikverdrossenheit nicht viel geringer wäre als sonst. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass Gesetze über den plebiszitären Umweg gemacht werden, um die Verantwortung für folgenschwere Entscheidungen abzugeben. Einige Gruppen können sich selber auch nicht so effektiv vertreten wie andere, zum Beispiel Kinder oder Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen.
Ein Plebiszit bedeutet, auch hochkomplexe Sachverhalte auf ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ reduzieren zu müssen. Demgegenüber ist die Entscheidungsfindung im parlamentarischen Prozess auf einen möglichst gerechten Interessenausgleich und auf Suche nach Kompromis-sen ausgerichtet. Zu diesem Prozess gehören Ausschussberatungen, Sachverständigen-anhörungen und eine Beteiligung der Länder im Rahmen des Föderalismus.
Aus diesen Erwägungen werde ich mich daher nicht für die Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene einsetzen.
Nun zu Ihrem zweiten Punkt, der Forderung nach Abschaffung von Parteilisten bei der Bundestagswahl:
Die Landesliste dient als Kandidatenliste einer Partei für die Wahl zum Bundestag und einigen Landtagen. Sie ist Ausdruck der personalisierten Verhältniswahl in Deutschland. Eine komplette Abschaffung dieser Listen, die festlegen, in welcher Reihenfolge die Kandidaten je nach Stimmenanteil der Partei in das Parlament einziehen, ginge nur bei einer kompletten Umstellung auf ein Mehrheitswahlrecht. Davon werden die kleineren Parteien sicher nicht begeistert sein. Für die großen Volksparteien wäre es hingegen vorteilhaft.
Sowohl ein Mehrheitswahlrecht als auch ein Verhältniswahlrecht bietet Vorteile. Die personalisierte Verhältniswahl versucht möglichst viele Vorteile beider Systeme miteinander zu vereinen. Ich denke, dass Deutschland damit bislang unter dem Strich gut gefahren ist, auch wenn das hiesige System dadurch etwas kompliziert ist (Stichwort Überhangmandate). Akut setze ich mich nicht für eine Änderung des Wahlrechts ein.
Ein anderer Punkt ist, ob es sich bei den Listen um starre (von den Parteigremien festgelegte) oder lose gebundene Listen handelt. Bei lose gebundenen Listen muss sich der Wähler für eine Liste entscheiden, hat aber innerhalb dieser Liste die Möglichkeit, durch Kumulieren (ausdrückliche Abgabe mehrerer Einzelstimmen für einen bestimmten Kandidaten innerhalb einer Liste) eine weitere Reihung vorzunehmen. Diese Möglichkeit existiert bei vielen Kommunalwahlen in Deutschland.
In manchen Bundesländern ist bei Kommunalwahlen auch das Panaschieren (Wählen von Kandidaten verschiedener Wahllisten) möglich.
Diese zusätzlichen Möglichkeiten sind einerseits aus demokratietheoretischen Gründen interessant, würden allerdings die Stimmabgabe noch komplexer machen. Davon abgesehen kennen viele Bürger schon ihre direkten Wahlkreiskandidaten kaum. Wie sollen Sie dann erst alle Listenkandidaten kennen, um sie zu „reihen“? Die meisten Listen würden daher, so wie von der Partei vorgeschlagen, gewählt werden. Daher hätte man von der Änderung wahrscheinlich nur einen geringen Effekt aber einen großen Mehraufwand. Deswegen setze ich mich in diesem Punkt ebenfalls nicht akut für eine Änderung des Wahlgesetzes ein.
Ich bin aber immer offen für gute Argumente für eine andere Position in diesen Fragen.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Lämmel