Frage an Andreas Dressel von Birgit I. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Dressel,
danke für Ihre Antwort und den Hinweis auf meinen Erinnerungsfehler in Bezug auf Bayern. Nun habe ich auch nachgesehen: Explizit auch Abstimmungsgrundsätze gibt es zum Beispiel in Sachsen (Art. 4), Hessen (Art. 72, 73), Rheinland- Pfalz (Art. 76) (...).
Ihre Antwort finde ich plausibel: schließlich gehören die Wahlgrundsätze zum Demokratieprinzip des Grundgesetzes.
Zur Tradition der SPD gehörte im Kaiserreich der Kampf für diese Wahlgrundsätze. Sie werden heute oft als selbstverständlich gegeben hingenommen, ohne dass man sich hierzu noch groß Gedanken macht. Das finde ich schade. Grundlos habe ich diese Anfrage nämlich nicht gestellt.
1. Ich finde zum Beispiel, der Grundsatz der Abstimmungsfreiheit leidet, wenn die Bürgerschaft als Ganzes - oder ihre Fraktionen – versuchen, die Bürger durch Übersendung von expliziter Abstimmungs-Werbung zu beeinflussen. In der Bürgerschaftsdebatte am 29. August fielen sogar die Worte: „Demagogie“, „Halbwahrheiten“, „Populismus“ und „Angstkampagne“.
2. Ich hätte auch gerne so viel Abstimmungsfreiheit wie die Abgeordneten. Ich würde zum Beispiel gerne zu jedem Änderungsvorschlag eines die Verfassung ändernden Gesetzentwurfs einzeln meine „Ja“ oder „Nein“ -Stimme abgeben können. Jetzt gab es nur die Wahl, ein Pauschalangebot mit 11 Änderungen entweder als Ganzes abzulehnen oder es komplett zu akzeptieren.
3. Auch finde ich: Das vereinfachte Verfahren, mit dem wir es jetzt zu tun hatten, begünstigt zwar den Grundsatz der Allgemeinheit, wenn die Post zuverlässig zu den Bezirksämtern transportiert wird. Wenn aber, wie nun, 80 Prozent der Abstimmung Briefabstimmung ist und somit 80 Prozent der Stimmen Transport- und Sortierrisiken in den Postämtern ausgesetzt sind, sollte das auch im Hinblick auf die Ausgewogenheit aller Abstimmungsgrundsätze überdacht werden.
Deshalb interessiert mich:
Wie denken Sie über diese drei Gesichtspunkte?
Mit demokratischen Grüßen
Birgit Imroll
Sehr geehrte Frau Imroll,
Sie sprechen wichtige Punkte an.
Zu 1.
In der Tat weist die Hamburger Volksgesetzgebung der Bürgerschaft eine aktive Rolle zu. Sie kann eine Alternative zur Abstimmung stellen, sie kann ihre Meinung im Informationsheft darlegen. Das bringt in der Tat immer ein gewisses Maß an Parteipolitik in so ein Verfahren rein. Das ist mal schädlich, aber auch mal nützlich. Manche Initiativen würden gar keine öffentliche Relevanz erzielen, würden sie nicht auch zum Gegenstand eines Schlagabtausches in der Bürgerschaft. Die Grenze ist sicher dort überschritten, wo Parteipolitik das Gesamtverfahren dominiert. Das war bei dieser Volksgesetzgebung mE nicht der Fall.
Zu 2.
Die Frage der "á la Carte"-Abstimmung finde ich gut. Aber schon heute ist es so, dass viele Bürger das Gesamtverfahren zu kompliziert finden. Wenn wir dann auch noch sagen, Du kannst hier und da nochmal anders votieren, dann wird das irgendwann kaum mehr vermittelbar. In der Schlussabstimmung in der Bürgerschaft müssen auch wir uns jeweils entscheiden, Ja, Nein, Enthaltung...
Zu 3.
Die stärkere Betonung der Briefabstimmung ist in der Tat ein zweischneidiges Schwert. Deshalb werden wir jetzt auch diesen Fragen sehr intensiv nachgehen. Ist alles korrekt gelaufen, gab´s Pannen.... Verfassungsrechtlich wichtig ist, wie hoch ist die Teilnahmehürde. Hier standen eine relativ einfache Briefwahl 201 Abstimmungsstellen gegenüber. Das war gerade noch OK. Besser ist es, der Wahltermin wird erreicht - aber das verhinderte ja hier der CDU-Senat.
Beste Grüße
Ihr
Dr. Andreas Dressel MdHB