Frage an Andreas Dressel von Claudia H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Dressel,
Herr Scholz sagte im Zeit-Interview am 8.12., er sei an einer Interpretation des Ausgangs des Olympiareferendums gar nicht interessiert. Try-and-error-Experimente liefern ja in jedem Fall Ergebnisse im Sinne eines Entweder-Oder. Wenn die Interpretation des Ergebnisses im Zusammenhang abgelehnt wird, werden aber keine weiterführenden Erkenntnisse gewonnen. Ich denke, die Auswertung bei teurem Versuchsaufbau nicht durchzuführen, ist verschenkter Aufwand. Das gilt in den Natur- wie in den Sozialwissenschaften und auch der Politik. Eine Analyse der Prozesse vor und während des Olypiareferendums liefert sicher wertvolle Erkenntnisse für die Gestaltung des Austauschs zwischen der Bürgerschaft im und der außerhalb des Rathauses. Oder wie sehen Sie das?
Herr Scholz erwähnte im Interview „Meinungsführer“. Wissen Sie, wen er damit meint? Gibt es in Hamburg etwa so eine Art Priestertum der Leitkultur? Welchen Wert haben geführte Meinungen eigentlich? Der Begriff wirkt geradezu anti-aufklärerisch. Immanuel Kant sagte „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.“ Scholz spricht von Meinungsführern, als gäbe es Hauptlieferanten für Meinungen. Dieser Meinungsfastfood schmeckte zumindest bei Olympia vielen nicht. Wem macht es auch Freude, hinterherzutrotten wie der Ochse am Ring? Ich wünsche mir, dass es weiterhin genügend Menschen gibt, die kritisch „Leitbilder“ und politisches Hirtentum hinterfragen. Und ich wünsche mir Analysen statt Bekenntnisrhetorik. Scheut die SPD die Selbstkritik zu ihrer Olympiastrategie?
Mit freundlichen Grüßen
C. H.
Sehr geehrte Frau Herbst,
in dem Interview, das Sie ansprechen, hat der Bürgermeister im Zusammenhang gesagt: „Ich bin dafür, die Entscheidungen der Bürger zu akzeptieren und nicht zu interpretieren. Als hätten sich diejenigen, die dafür oder dagegen gestimmt haben, nicht ihre eigenen Gedanken gemacht. Von Interpretationen nach dem Motto "Eigentlich wäre es anders ausgegangen, aber ..." halte ich jedenfalls nichts. … Die hohe Beteiligung am Referendum, fast wie bei Bürgerschaftswahlen, spricht dafür, dass wir vieles richtig gemacht haben. Man sollte die Entscheidung jetzt nicht durch Bewerten entwerten.“
An anderer Stelle heißt es:
„ZEIT: … wir hatten den Eindruck, manche haben sich zwischendurch gar nicht mehr getraut, gegen Olympia zu argumentieren.
Scholz: Das habe ich anders erlebt. Ich finde es aber umgekehrt für die Demokratie kein schlechtes Zeugnis, wenn in einer Frage wie Olympia so viele Meinungsführer dafür sind und dann trotzdem ein anderes Ergebnis möglich ist. Es ist doch nichts Problematisches, wenn Bürger ihren eigenen Kopf haben. Die eine Hälfte war dafür, die andere dagegen. Die andere Hälfte war etwas größer.“
Ich finde, diese Zitate sprechen für sich.
Beste Grüße
Andreas Dressel