Frage an André Stephan von Robert R. bezüglich Verkehr
Mich interessiert Ihre Meinung zur Berliner Verkehrspolitik.
Wie stehen Sie zum Ausbau der Stadtautobahn, zum Radwegenetz, zur ÖPNV-Anbindung der Stadtrandgebiete und vor allem zur Idee der Grünen, eine Berlin-Vignette einzuführen? Was halten Sie davon, im ÖPNV Infrastruktur und Betrieb organisatorisch zu trennen, um (mehr) Wettbewerb zuzulassen? Was sagen Sie zu den 400 Mio. Euro, die Berlin jedes Jahr an die BVG zahlt, weil diese so viel Verlust macht? Und was ist Ihre Meinung zum neuen Hauptbahnhof?
Mit freundlichen Grüßen,
Robert Rädel
Sehr geehrter Robert Rädel,
vielen Dank für Ihre Fragen: Berlin leidet schon jetzt unter der Last der motorisierten Fahrzeuge. Die Emissionsbelastung ist gerade innerhalb des S-Bahn-Ringes unerträglich hoch. Über 80.000 Fahrzeuge wälzen sich etwa täglich über die Frankfurter Allee. Die Erfahrung zeigt, dass jede neue Straße auch zusätzlichen Autoverkehr generiert. Deshalb darf die Stadtautobahn auf keinen Fall weiter ausgebaut werden. Stattdessen müssen wir es den Berlinerinnen und Berlinern sowie den Besucherinnen und Besuchern so leicht wie möglich machen, auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Die Investitionsmittel, die für das Projekt vorgesehen sind, sind im Öffentlichen Nahverkehr viel besser ausgehoben. Und auch beim Schienen-Güterverkehr hinkt Berlin nach. Die vorhandenen Handelsstandorte und Industrieflächen müssen endlich eine entsprechende Anbindung an das Schienennetz bekommen, damit eine Belieferung per Bahn möglich wird und uns der Schwerlastverkehr erspart bleibt.
Ich bewundere den Mut der Radfahrerinnen und Radfahrer, die sich zurzeit auf dem Drahtesel durch die Stadt bewegen. Das jetzige Radverkehrsnetz entspricht keineswegs den Anforderungen an moderne sichere Verkehrswege. Hier haben wir großen Nachholbedarf. Nicht zuletzt aus sozialen, aber auch aus ökologischen und Praktikabilitäts-Gründen steigen viele Menschen auf das Fahrrad um. Wir brauchen eine konsequente Rad-Bevorrechtigung an Ampeln, die Möglichkeit, auch in Tempo 30-Zonen Radstreifen einzurichten und Abstellanlagen vor allen öffentlichen Gebäuden.
Darüber hinaus ist zu beobachten, dass der ÖPNV im Umland ausgedünnt wird, um die Metropolen gerechte Bedienung der inneren Stadtgebiete leisten zu können. Dieser Weg führt in die Irre. Im neuen Nahverkehrsplan muss diese Tendenz eingedämmt werden. Es darf nicht sein, dass schon Jugendliche in den Stadtrandgebieten genötigt werden, auf Motorrad oder Auto auszuweichen, weil sonst ihr Sozialleben in Gefahr gerät. Niemand soll in Berlin auf ein Auto angewiesen sein. Das muss die Politik leisten.
Deshalb ist die von Ihnen angedeutete Aufgabentrennung zwischen Politik und Verkehrsbetrieb auch dringend erforderlich. Berlin muss im Nahverkehrsplan verbindliche Standards festlegen, wie der Öffentliche Verkehr hier aussehen soll. Auf Grundlage dessen sollen in naher Zukunft Ausschreibungen erfolgen. Zunächst aber gilt es, die BVG auf Vordermann zu bringen, damit sie als öffentlicher und demokratisch kontrollierter Betrieb den Großteil der Verkehrsleistungen auch in Zukunft im Wettbewerb erhalten kann. Eine Aufteilung auf Netzinfrastruktur-Unternehmen sowie einer Gesellschaft für die Abwicklung des Fahrbetriebs halte ich dabei für die beste Lösung. Kein Wettbewerber soll seine eigenen Schienen und Oberleitungen mitbringen. Es wäre hirnrissig, die teuer angeschafften Fahrzeuge ins Depot zu befördern, weil die BVG den Auftrag nicht erhalten hat. Und es muss klar sein, dass es auch nach einer Ausschreibung eine Weiterbeschäftigung des Personals gibt. Ich will einen Wettbewerb der Ideen für besseren Nahverkehr - kein Lohn- und Sicherheitsdumping auf Kosten der Fahrgäste.
Mit ist klar, dass besserer ÖPNV und höhere Transportkapazität auch mehr Geld kostet. Ich halte es für gerecht, auch diejenigen zur Kasse zu bitten, die sich trotzdem mit PKW oder LKW in die Stadt bewegen wollen. Die Idee, dass diese auf jeden Fall eine Vignette vorweisen müssen, die so teuer ist wie ein Fahrschein, finde ich sympathisch. Erst dann macht sich jeder tatsächlich darüber Gedanken, ob es nicht eine bequemere und überdies für alle verträglichere Variante gibt, sich in unserer schönen Stadt fortzubewegen.
Noch ein Wort zum neuen Hauptbahnhof: Der neue Hauptbahnhof hat seine Mängel - aber er ist Glas/Stahl gewordene Manifestation des Schienenverkehrs in unserer Stadt. Das Schienenkreuz samt Nord-Süd-Tunnel gewährleistet eine hervorragende Anbindung der Stadt an unseren Kontinent. Berlin muss mit Nachdruck vordern, dass der Bahnkonzern dieser mit dem Bau eingegangenen Verpflichtung auch durch entsprechend gestaltete Fahrpläne nachkommen. Und Berlin steht in der Pflicht, den Bahnhof in der Mitte der Stadt mit S-, U- und Straßenbahn besser anzubinden, als das jetzt der Fall ist. Erst dann kann sich ungetrübte Freude über die "Kathedrale des Bahnverkehrs" einstellen.
In diesem Sinne grüne Grüße,
André Stephan