Wie stehen Sie bei Abstimmungen im Bundestag zum Fraktionszwang?

Sehr geehrter Herr K.,

mein Wahlkreisabgeordneter Fritz Felgentreu hat dazu erst kürzlich sehr kluge Dinge geschrieben. Es ging dabei um die Abstimmung, ob Menschen aus Afghanistan gerettet werden sollen.

Nach Art. 38 Abs. 1 sind Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet. Das Grundgesetz kennt keinen Fraktionszwang. Das Grundgesetz kannte anfänglich nicht einmal Fraktionen (Art. 53a wurde später ergänzt.). Juristisch ist die Sache also klar. Warum stimmen Abgeordnete trotzdem oft mit ihrer Fraktion?

Kern der repräsentativen Demokratie ist es, dass sich Bürgerinnen und Bürger zu Parteien zusammenschließen, weil alleine niemand etwas erreicht. Aus dem gleichen Grund schließen sich Abgeordnete zu Fraktionen zusammen. Als Abgeordnete sich aufstellen ließen, haben sie der eigenen Partei versprochen, in ihrem Sinne Politik zu machen.

Beim Zusammenschluss zu Fraktionen, gab es ein ebensolches Versprechen, denn nur durch Geschlossenheit ist eine Fraktion stark und durchsetzungsfähig.

An diese beiden Versprechen - an die Partei und die Fraktion - muss man sich immer erinnern. Denn ob sich ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete an dieses Versprechen hält ist eine zentrale Gewissensfrage.

Wenn diese Einigkeit in der Fraktion, mit der Politik durchgesetzt werden kann, aufgekündigt wäre, würde die Republik unregierbar, zum Nachteile derer, die Abgeordnete in die Parlamente schicken.

Deshalb ist es die schwelle für alle Abgeordnete unterschiedlich hoch, sich der Mehrheitsmeinung der eigenen Fraktion zu widersetzen - für alle Abgeordneten allerdings gleich hoch.

Es wird also Entscheidungen geben, bei denen ich mit mir ringe, aber mit der Fraktion stimme. Es wird auch Entscheidungen geben, bei denen ich mich gegen die Mehrheit der Fraktion entscheide. In beiden Fällen wird es mir nicht leicht fallen.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten.

Mit freundlichen Grüßen,
Ana-Maria Trasnea