Frage an Alois Gerig von Anton M. bezüglich Wirtschaft
Verehrter Herr Gerig,
die unendlichen Diskussionen über die Euro-Rettung, Griechenland-Hilfe, Finanz-Notstand in Spanien Portugal und Italien, die Euro-Rettungsschirme etc. gehen weiter. Welche Meinung haben Sie zu folgenden Fragen:
--welchen Nutzen und welche Risiken bergen die EFSF-und ESM-Rettungsschirme für die die notleidenden Staaten, für die Eurozone und insbesonders für die Bundesrepublik?
--für den Fall, dass mehr als einer der als notleidend bekannten Staaten die nun beschlossenen und eingerichteten Schutzschirme in Anspruch nehmen, werden die Geberländer, insbesonders wir dadurch nicht heillos überfordert und kommen ebenfalls an die Grenze der finanziellen Tragfähigkeit?
--Warum hat man die Schutzbestimmungen im Maastricht-Vertrag -"no bail out"-u.a. ausser raft gesetzt?
Auf Ihre Antwort wartend bleibe ich mit freundlichen Grüßen M a y r
Sehr geehrter Herr Mayr,
vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie sowohl den Nutzen der Euro-Rettungsschirme, als auch deren Auswirkungen auf die Geberländer hinterfragen. Zudem haben Sie auf die Schutzbestimmungen im Maastricht-Vertrag hingewiesen, die außer Kraft gesetzt worden sind.
Vorab möchte ich Ihnen versichern, dass ich die weit verbreitete Sorge über die Entwicklung in einigen Ländern der Eurozone sehr gut nachvollziehen kann. Wir arbeiten daher konsequent an einer verbesserten Stabilitätsarchitektur für Europa, zu der der ESM bzw. die EFSF einen wesentlichen Beitrag leisten.
Der ESM-Vertrag setzt aus meiner Sicht ein deutliches Signal für nachhaltige Stabilität innerhalb Europas. Denn es sind Situationen aufgetreten, in denen akut in Schwierigkeiten geratene Euro-Länder kurzfristig von ihren Partner unterstützt werden mussten. Ein im Falle des Nichthandelns möglicher Flächenbrand hätte unabsehbare Folgen für ganz Europa und damit auch für die deutsche Wirtschaft und unsere öffentlichen Haushalte. Auch die Auswirkungen eines möglichen Staatsbankrotts oder eines Austritts aus der Euro-Zone wären nicht nur für die Euroländer und das betroffene Land verheerend, sondern hätten auch in Deutschland erhebliche Folgen. Durch vielseitige wirtschaftliche Beziehungen sind wir unweigerlich mit den Euro-Staaten verknüpft.
Ziel aller jetzigen und zukünftigen Maßnahmen darf jedoch nur die kurzfristige zielgerichtete Krisenhilfe sein; ganz ausdrücklich nicht die dauerhafte Alimentierung von Staaten. Alles andere entspräche nicht dem europäischen Gedanken einer Gemeinschaft mit eigenständigen öffentlichen Haushalten.
Gerade deshalb ist es wichtig die neben dem ESM und der EFSF bestehenden wichtigen Bausteine zu betrachten, die für eine dauerhafte stabile Währungsunion sorgen. Eine solche Union kann nur funktionieren, wenn jedes Mitgliedsland aus eigener Kraft solide wirtschaftet und wettbewerbsfähig ist. Ein fundamentaler Baustein im neuen Regelungsgefüge Europas ist neben den angesprochenen Maßnahmen daher auch der Fiskalvertrag. Die Einführung von Schuldenbremsen ist eine entscheidende Weichenstellung für die Stabilisierung unserer Gemeinschaftswährung. Im Vertrag sind auch Maßnahmen zu einer verbesserten wirtschaftspolitischen Koordinierung sowie für mehr Konvergenz enthalten.
Um eine enge Verzahnung der Aspekte kurzfristiger Krisenhilfe und mittel- bis langfristige Solidität der Empfängerländer zu gewährleisten, fußt der ESM auf dem Grundsatz, dass Solidarität nur bei entsprechender fiskalpolitischer Solidität gewährt werden kann. Leistungen des ESM dürfen daher auch nur von Staaten beansprucht werden, die die Vorgaben des Fiskal-Vertrages umsetzen. Dadurch werden die Risiken für die Geberländer minimiert und der Rettung des betroffenen Landes Vorschub geleistet.
Insgesamt bin ich von der Notwendigkeit des ESM, sowie der noch bis Juni gültigen EFSF als Teil einer verbessertet Stabilitätsarchitektur in Europa fest überzeugt und der Nutzen, der durch diesen Stabilitätsmechanismus entsteht, wird nicht nur uns, sondern dem gesamten Wirtschaftsraum in Zukunft zu Gute kommen.
Auch im Falle, dass mehrere Staaten diese Schutzschirme in Anspruch nehmen, werden die Stabilitätsmechanismen greifen. Der ESM kann maximal Finanzhilfen in Höhe von 500 Milliarden vergeben und zur Finanzierung seiner Instrumente nimmt dieser Mechanismus selbst Mittel durch die Begebung von Anleihen an den Kapitalmärkten im nötigen Umfang auf.
Solange die EFSF und der ESM noch parallel zueinander bestehen ist das Finanzierungsvolumen auf maximal 700 Milliarden festgesetzt. Dieses Stammkapital teilt sich auf in 80 Milliarden Euro einzuzahlendes Kapital, das gewissermaßen als Sicherungsreserve vorhanden sein muss, und weitere 620 Milliarden Euro abrufbares Kapital. Die Finanzierungsanteile der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben sich aus ihrem Anteil am Kapital der EZB.
Der deutsche Finanzierungsanteil am ESM beträgt entsprechend dem EZB-Schlüssel 27,15 %. Dies entspricht rund 22 Milliarden Euro an eingezahltem und rund 168 Milliarden Euro an abrufbarem Kapital. Der deutsche Kapitalanteil wird in fünf Raten eingezahlt. Die ersten beiden Raten wurden bereits im Jahr 2012 eingezahlt, zwei weitere folgen in 2013. Die Zahlung der letzten Rate ist für 2014 vorgesehen.
Durch die Festlegung an Kapital wird das Risiko für Deutschland gesenkt und die Auswirkungen weiterer Nothilfen für gefährdete Staaten übersichtlicher. Zudem gibt es eine Haftungsobergrenze, die im Falle Deutschlands den Betrag des Stammkapital entspricht. Die Haftungsausweitung der Mitgliedstaaten ist mit dieser im ESM-Vertrag festgehaltenen Norm verboten. Artikel 25 Absatz 2 sieht zudem vor, dass wenn ein ESM-Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Einzahlung seines Kapitals nicht nachkommt, dies zeitweilig auch die anderen Staaten anteilig auszugleichen haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Deutschland im Extremfall für das gesamte Kapital von 700 Milliarden Euro haften müsste und es gar am Deutschen Bundestag vorbei zu einer automatisierten Haftungserweiterung kommen könnte.
Auch hier gilt: 190 Milliarden Euro ist von dem Vertrag „unter allen Umständen“ als Obergrenze der Haftung für Deutschland vorgesehen. Eine Übernahme von Haftungsanteilen von ihren Einzahlungsverpflichtungen nicht nachkommenden ESM-Staaten kann nur innerhalb dieses Rahmens stattfinden. Die Mitgliedstaaten müssen eine eventuell bestehende Schuld gegenüber dem ESM im Übrigen innerhalb vertretbarer Zeit begleichen.
Darüber hinaus, ist darauf hingewiesen, dass die Rettungsschirme nur in Kraft treten, sollten die Empfängerländer gewisse Voraussetzungen erfüllen, die wie zuvor schon angedeutet wurde, mit dem Fiskalpakt einhergehen. Nur in dem Fall, dass alle Anforderungen erfüllt werden, kommt es überhaupt zur finanziellen Unterstützung. Dadurch wird gewährleistet, dass die Empfängerländer mittelfristig wieder solide aufgestellt sind und Deutschland bei den Rettungsvorgängen seine Gelder nicht „verschenkt“, sondern vielmehr verleiht.
Abschließend will ich auf die Schutzbestimmung des Maastrichter Vertrages eingehen, die u.a. auf Grund der Einführung des ESM aufgehoben wurde. Es ist für alle offensichtlich geworden, dass die Währungsunion in der Form, wie sie in den ersten Jahren ihrer Existenz aufgestellt war, nicht dauerhaft fortbestehen kann. Es war daher notwendig, mit der einsetzenden Problematik der Euro-Krise möglichst frühzeitig dem Negativtrend entgegenzuwirken und entsprechende Stabilisierungsmaßnahmen einzuleiten.
Nicht nur die EFSF, sondern auch der Fiskalvertrag und die Schaffung des ESM machten es unabdingbar, von zuvor geltenden Bestimmungen abzurücken. Dies fand jedoch stets unter der Prämisse der stetigen Stabilität und des Erhalts der Wirtschaftsunion statt. Wären zu gegebenem Zeitpunkt nicht die notwendigen Schritte eingeleitet worden, wäre die Situation nun eine weitaus bedrohlichere.
Mit freundlichen Grüßen
Alois Gerig