Frage an Alois Gerig von Sascha J. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Gerig,
die EU droht sich in eine schuldenbasierte Transferunion, eine Haftungsgemeinschaft, zu verwandeln. Außerdem soll das Haushalts- und Budgetrecht der nationalen Parlamente an einen EU-Gouverneursrat abgegeben werden. Grundlage hierfür ist der erst vor kurzem bekannt gewordene Vertragsentwurf zum sog. "Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)", über den Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages vermutlich nach der Sommerpause noch 2011 entscheiden werden. Deutsche Steuergelder sollen für die Schuldenpolitik anderer EU-Länder geradestehen. Wir sollen arbeiten, damit die Banken keine Verluste machen. Dem Steuerzahler wird Zwangssolidarität verordnet. Die Banken sind auf freiwilliger Basis dabei. Uns Bürgern gesteht man diese Freiwilligkeit nicht zu. Wir müssen zahlen. Der ESM-Vertrag darf deshalb den Deutschen Bundestag nicht passieren!
Ich fordere Sie daher auf, sich politisch für ein klares Bekenntnis gegen den ESM-Vertrag und die EU-Schuldenunion auszusprechen. Sie haben es in der Hand, daß der Steuerzahler nicht weiter belastet wird. Denken Sie bitte an die kommenden Generationen, die unter einer verfehlten EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik leiden werden.
Diese ist nicht in unserem Sinne – legen Sie bitte Ihre Position zu dieser Frage offen. Werden Sie den ESM-Vertrag zustimmen oder ihn ablehnen?
Meine politische Unterstützung an der Wahlurne mache ich stark von Ihrer Haltung in dieser essentiellen Zukunftsfrage abhängig.
Sehr geehrter Herr Jacoby,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 14. August 2011, in dem Sie Ihre Besorgnis zur Entwicklung der europäischen Staatsschuldenkrise äußern.
Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind überzeugt, dass eine spannungsfreie wirtschaftliche Entwicklung in der EU und die Stabilität der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion einschließlich der gemeinsamen Währung im besonderen Interesse Deutschlands liegen. Deutschland profitiert vom Euro, weil er für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt: Die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft profitiert davon, dass es innerhalb des Euroraums keine Wechselkursschwankungen mehr gibt. Und die Verbraucher profitieren von einem stärkeren Wettbewerb, der zu größerer Vielfalt und geringeren Preisen führt. Der Euro hat zu einer Vertiefung des europäischen Binnenmarkts mit inzwischen mehr als 500 Millionen Verbrauchern geführt.
Circa zwei Drittel der deutschen Exporte gehen in Länder der Europäischen Union. Millionen von Arbeitsplätzen hängen in Deutschland vom Binnenmarkt ab. Dadurch, dass die Wechselkursrisiken im Euroraum wegfallen, sparen die deutschen Unternehmen Jahr für Jahr mehrere Milliarden Euro.
Der Euro sorgt für niedrige Inflationsraten und eine hohe Kaufkraft. Er ist eine genauso harte und stabile Währung wie die D-Mark. Die Preise sind in Deutschland seit Einführung des Euro sogar langsamer gestiegen als zu Zeiten der D-Mark. Unabhängig vom ökonomischen Nutzen ist die einheitliche Währung politisch unverzichtbar. Sie ist das bislang weitreichendste Ergebnis und Bekenntnis der europäischen Integration und versetzt Deutschland als Teil des größten Binnenmarktes der Welt in die Lage, die Globalisierung mitzugestalten. Als einflussreicher Akteur in Europa hat die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, ihr Gesellschaftsmodell zu bewahren. Alleine wäre sie chancenlos.
Dies alles gilt es zu sichern und zu bewahren. Denn obwohl sich der Euro als überaus stabile Währung erwiesen hat, hat die Verkettung von Bankenkrise, Wirtschafts-und Finanzkrise und Staatsschuldenkrise die Europäische Wirtschafts-und Währungsunion destabilisiert. Damit sich die Staatsschuldenkrise nicht letzten Endes doch zur Euro-Krise und somit zur EU-Krise entwickelt, haben die Staats-und Regierungschefs des Euroraums gehandelt und eine umfassende Gesamtstrategie zur Reform und Stabilisierung der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion entworfen. Diese Gesamtstrategie umfasst Reformmaßnahmen, die sich den bekannten Schwachstellen widmen:
• Staatsverschuldung reduzieren und vermeiden durch eine Stärkung des Stabilitäts-und Wachstumspakts
• Wirtschaftspolitik koordinieren durch ein neues Verfahren zur Überwachung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und einen europäischen Planungs- und Berichtszyklus („Europäisches Semester") und Wettbewerbsfähigkeit ausbauen durch eine gemeinsame Wachstumsstrategie und einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit
• Finanzmarkt stabilisieren durch eine neue europäische Finanzmarktaufsicht, regelmäßige Belastungstests für Banken und Versicherungsunternehmen und strengere Regulierung des Finanzsektors (unter anderem neue Eigenkapitalvorschriften für Banken, weniger spekulative Finanzprodukte und neue Gesetze zur Bankenrestrukturierung)
• Institutioneller Schutz-und Nothilfemechanismus durch die Einrichtung eines temporären europäischen Rettungsschirms (EFSM und EFSF) zur Abwendung der akuten Staatsschuldenkrise und eines permanenten sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)
Die Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, die Eurozone auf Dauer zu stabilisieren und sie für die zukünftigen weltwirtschaftlichen Herausforderungen zu wappnen. Sie wirken darauf hin, das Vertrauen der Finanzmärkte, d.h. der Sparer und Investoren und letztlich der Bürger und Unternehmen, in den Euro nachhaltig zu stärken und künftige Staatsschuldenkrisen im Euroraum zu verhindern.
Eine Transferunion, wie Sie sie anführen, haben wir nicht geschaffen. Finanzielle Unterstützung wird es weder regelmäßig noch dauerhaft geben. Sie wird durch die europäischen Sicherungseinrichtungen nur in Form von Krediten gewährt, die selbstverständlich verzinst und zurückgezahlt werden müssen. Eine solche Ultima-Ratio-Unterstützung erhält ein betroffenes Eurozonenland nur
• wenn die Stabilität der Eurozone insgesamt gefährdet ist,
• auf der Basis einer unabhängigen Schuldentragfähigkeitsanalyse,
• im Rahmen eines strikten wirtschaftlichen Reform- und Anpassungsprogramms, das die Inanspruchnahme für eine Regierung wenig attraktiv macht,
• nach einstimmiger Entscheidung (damit auch deutsches Vetorecht, wenn die Voraussetzungen für finanzielle Hilfsmaßnahmen nicht gegeben sind).
Es gilt also das Prinzip: Solidarität nur gegen entsprechende Eigenanstrengungen des betroffenen Landes. Nur dann erhält das betroffene Land Kredite, die wegen der Verzinsung und Rückzahlungsverpflichtung keine Transfers darstellen. Die innenpolitischen Verwerfungen in allen betroffenen Ländern zeigen im Übrigen, dass die Sanierungsauflagen alles andere als bequem sind.
Für den ESM gilt außerdem, dass er wie andere intergouvernementale „Internationale Finanzinstitutionen“ (IFIs) und vergleichbar dem IWF einen bevorrechtigten Gläubigerstatus genießt. Dieser trägt maßgeblich dazu bei, dass die vom ESM vergebenen Kredite auch zurückfließen und damit zur Sicherheit der Einlagen der ESM-Anteilseigner.
Mit freundlichen Grüßen
Alois Gerig