Frage an Alf-Heinz Borchardt von Brigitte S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Borchardt,
wie ich Ihrer ersten Antwort vom 20.08.2013 hier entnehme, plädieren Sie als Rechtsanwalt möglicherweise für eine Auffassung, wie sie im "Leipziger" Strafrechtskommentar bis 1989 meines Erachtens noch nicht favorisiert wurde.
Jedenfalls für Ärzte in Österreich (bzw. die dortige Bevölkerung) scheinen heute noch klarere Verhältnisse (und in Bezug auf die Drittgeheimniskontroverse ein Festhalten an der klassischen, meines Erachtens humaneren Sichtweise) zu bestehen.
In § 54. AerzteG heißt es dort klar und deutlich:
"(2) Die Verschwiegenheitspflicht besteht nicht, wenn ...
2) die durch die Offenbarung des Geheimnisses bedrohte Person den Arzt von der Geheimhaltung entbunden hat..." ( http://www.jusline.at/54._AerzteG.html ).
Ich erlaube mir auch einen Hinweis auf die Monografie der Juristin DITTRICH, die freilich auch die Probleme um Gerüchte / Verleumdungen streift:
"Drittgeheimnisse im Rahmen der Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 StGB. Hamburg 2007, ISBN 978-3-8300-3066-9."
Zitat aus einer Besprechung: "Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass ganz primär auf den Schutz des Dritten als alleinigen Geheimnisbetroffenen abgestellt werden muss und dieser daher seine Einwilligung erklären muss."
Warum sollten wir in Deutschland nicht bald klare Verhältnisse zugunsten des Grundrechts - der Geheimnisbetroffenen - auf Vorrang der informationellen Selbstbestimmung hinbekommen?
Wäre dann nicht die Gefahr viel geringer, daß der Schweigepflichtige - zum Bsp. in sensiblen Sorgerechtsstreitigkeiten - zum bloßen Überbringer von Enthüllungen und gar Gerüchten würde mit auch denkbaren menschlichen - und haftungsrechtlichen - Konsequenzen?
Wäre nicht auch eine Verbesserung des Grundvertrauens der Bevölkerung zu erwarten, wenn sich Schweigepflichtige sozusagen nobel zurückhielten und stattdessen allenfalls die Betroffenen / Mandanten usw. reden / "schmutzige Wäsche waschen" ließen?
Mit frdl. Grüßen
Brigitte Schneider
Sehr geehrte Frau Schneider,
offenbar haben Sie sich deutlich intensiver mit dem Problem der Drittgeheimnisse beschäftigt, als mir dies in meiner beruflichen Tätigkeit möglich ist. Ich habe Ihnen Ihre Frage so beantwortet, wie ich es für richtig halte.
Mit freundlichen Grüßen
Alf-H. Borchardt