Frage an Alexander Ulrich von Gerhard S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Ulrich,
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die soziale Selektivität des Bildungssystems zu verringern?
Wie sollte der Widerspruch zwischen Bildungsföderalismus und europäischem Hochschulraum gelöst werden?
Welche Maßnahmen sollten getroffen werden, um die bei der Umsetzung der Bologna-Reform entstandenen Missstände (Anwesenheitspflichten, wöchentliche "Hausaufgaben" in allen Vorlesungen, verstärktes "Bulimie"-Lernen, etc.) zu beheben?
An welchen Stellen sollte beim Hochschulpakt nachjustiert werden?
Wie stehen Sie zu einer verpflichtenden Zivilklausel an öffentlichen Hochschulen?
Mit freundlichen Grüßen,
Gerhard Schäfer
Sehr geehrter Herr Schäfer,
Ihre Fragen zum Thema "Bildung und Forschung" beantworte ich wie folgt.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die soziale Selektivität des Bildungssystems zu verringern?
Die politischen Rahmenbedingungen müssen so geändert werden, dass gute Bildung für alle gesichert und soziale Ausgrenzungen überwunden werden. Wir wollen ein inklusives Bildungssystem, in dem Bildungsbarrieren abgebaut und Nachteile ausgeglichen werden, das allen unabhängig von sozialen und persönlichen Voraussetzungen bestmögliche individuelle Förderung garantiert. Das beginnt für uns mit dem Recht auf ganztägige und gebührenfreie Betreuung für alle Kinder in Kindertagesstätten, die nicht nur einen Betreuungs- sondern auch einen Bildungsauftrag erfüllen und dafür entsprechend ausgestattet sein müssen. Das gegliederte Schulsystem mit seiner frühzeitigen Zuteilung von Bildungschancen muss überwunden werden. Wir wollen Gemeinschaftsschulen, in denen Kinder nicht nach vermeintlicher Leistungsfähigkeit sortiert, sondern in kleineren Klassen individuell gefördert werden. Dafür braucht es mehr Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeit an allen Schulen sowie weitere pädagogische Fachkräfte. DIE LINKE. wird auch weiterhin dafür eintreten, das Grundrecht auf Ausbildung im Grundgesetz zu verankern. Berufliche Erstausbildung muss für alle Ausbildungsformen gebührenfrei sein, die Rahmenbedingungen müssen tarifvertraglich geregelt und eine Ausbildungsvergütung muss gezahlt werden. Damit Hochschulen für einkommensschwache Schichten sowie beruflich Qualifizierte wirklich geöffnet werden, muss das Studium ebenfalls gebührenfrei und die Zulassung bundesweit geregelt sein. Es darf keine Zugangshürden zum Masterstudium geben. Eine Ausweitung des BAföG ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft für einen ihren Interessen entsprechenden Beruf entscheiden und eine qualifizierte Ausbildung abschließen können. Die Bedarfssätze müssen den tatsächlichen Bedarf berücksichtigen. Sie müssen – ebenso wie die Freibeträge - schnellstmöglich um zehn Prozent angehoben und sollten grundsätzlich als Vollzuschuss gezahlt werden. Mittelfristig muss das BAföG für alle Volljährigen, die sich in Ausbildung befinden, zu einer elternunabhängigen Förderung ausgebaut werden.
Wie sollte der Widerspruch zwischen Bildungsföderalismus und europäischem Hochschulraum gelöst werden?
Mobilitätshindernisse liegen in erster Linie in einer nicht ausreichenden finanziellen Absicherung von Auslandsaufenthalten und der fehlenden gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen. Deshalb dürfen Mobilitätsprogramme nicht dem Rotstift zum Opfer fallen, muss das BAföG endlich bolognatauglich werden und Abschlüsse und Studienleistungen müssen verbindlich anerkannt werden.
Welche Maßnahmen sollten getroffen werden, um die bei der Umsetzung der Bologna-Reform entstandenen Missstände (Anwesenheitspflichten, wöchentliche "Hausaufgaben" in allen Vorlesungen, verstärktes "Bulimie"-Lernen, etc.) zu beheben?
Wir wollen ein Umsteuern im Bologna-Prozess: weg von repressiven Studienordnungen hin zu einem selbstbestimmten, interdisziplinären und kritischen Studium. Wir brauchen freie Auswahlmöglichkeiten, mehr Interdisziplinarität und Mobilität. Abschlüsse und Studienleistungen sollen unbürokratisch in ganz Europa anerkannt werden. Ausreichende finanzielle Unterstützung gehört dazu, wenn Studierenden Mobilität wirklich ermöglicht werden soll. Die soziale Dimension muss europaweit durch ein „European observatory on the social dimension of higher education“ gestärkt werden. Europäische Hochschulpolitik muss sich von Wirtschaftspolitik emanzipieren, indem sie der ökonomischen Perspektive die Perspektive der Lernenden gegenüberstellt.
An welchen Stellen sollte beim Hochschulpakt nachjustiert werden?
Der Hochschulpakt ist aus Sicht der LINKEN keine dauerhafte Finanzierungsmöglichkeit für Studienplätze und gute Studienbedingungen. Nach der Bundestagswahl plädieren wir daher für zügige Verhandlungen zwischen Bund und Ländern für eine dauerhafte Finanzierung der Hochschulen im grundständigen Bereich. Sämtliche Maßnahmen zur Verbesserung des Hochschulpakts dienen lediglich als Übergangslösung hin zu einer dauerhaften Studienplatzmitfinanzierung durch den Bund. Ziel muss ein bedarfsgerechtes Angebot an Studienplätzen und eine angemessene Grundfinanzierung der Hochschulen sein. Eckdaten einer solchen Finanzierungsvereinbarung sollten bis Ende 2014 feststehen, um die Planungssicherheit für die Hochschulen zu gewährleisten.
Wie stehen Sie zu einer verpflichtenden Zivilklausel an öffentlichen Hochschulen?
Forschung soll aus Sicht der LINKEN ausschließlich friedlichen und zivilen Zwecken dienen. Deshalb setzt sich DIE LINKE für die Verankerung von Zivilklauseln in den Hochschulgesetzen sowie in einem zu schaffenden Bundesforschungsgesetz ein.
Mit freundlichen Grüßen,
Alexander Ulrich