Frage an Alexander Funk von Yves B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Funk,
mit Interesse habe ich Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Wachs, wie Sie zu Volksentscheiden auf Bundesebene stehen (08.01.2010), zur Kenntnis genommen. Da ich Ihrer diesbzgl. Argumentation (Zitate in „“) allerdings nicht folgen kann, bitte ich um nähere Auskünfte:
-„Finanzwirksame Gesetze, die Abgaben, Besoldung, den Haushalt regeln, müssen meines Erachtens von Volksentscheiden ausgeschlossen sein.“
Worin sehen Sie ein begründendes Alleinstellungsmerkmal finanzieller gegenüber anderen Auswirkungen?
-„Fraglich ist (...) auch, ob Volkentscheide zu mehr Begeisterung für und Interesse an Politik beitragen – generell lassen sich diese beiden Größen nur sehr schwer messen.“
Sehen Sie die auch von Herrn Wachs erwähnte Wahlbeteiligung nicht als gutes Maß für die Begeisterung über „Politik“ im Sinne der parlamentarischen Praxis? Falls doch, wie kommen Sie zu folgender Aussage:
-„Die parlamentarische Interessenvertretung funktioniert meiner Meinung nach sehr gut in Deutschland.“
vor dem Hintergrund des Allzeithochs von 29,2% Nichtwähleranteil bei der letzten Bundestagswahl (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wahlbeteiligung )?
-„Naturgemäß können die meisten Volksentscheide nur einfache ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ Antworten anbieten. (...) Um hier zu zufriedenstellenden Antworten zu gelangen, wird im Deutschen Bundestag (...) ein Verfahren angewandt, das ein hohes Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität erlaubt.“
Stehen die Abgeordneten bei Abstimmungen nicht auch vor Ja-Nein-Entscheidungen, und sind sie nicht auch frei zu wählen, inwieweit sie sich- z.B. durch Beteiligung an und Beobachtung von Diskussionen- auf diese vorbereiten?
Vorbehaltlich Ihrer evtl. Erläuterungen zu Punkt 3 möchte ich auch Herrn Wachs‘ Frage dahingehend ergänzen, wie Sie weitere Kontrollmöglichkeiten des Souveräns über seine Beauftragten (z.B. Direktwahl des Bundespräsidenten, vorzeitige Abwählbarkeit des Bundestags) bewerten.
Mit freundlichen Grüßen
Yves Busch
Sehr geehrter Herr Busch,
gerne erläutere ich meinen Standpunkt zu Volksentscheiden näher.
zu Frage 1:
Eine Aufgabenteilung „das Volk entscheidet Leistungsgesetze – die Abgeordneten suchen die Finanzierung“ lehne ich schlicht ab. Ein einfaches Beispiel: Wer würde einer Initiative für eine starke Rentenerhöhung nicht zustimmen? Argumente findet man sicherlich dafür, man muss sich nur den Anstieg der Energiepreise und Nebenkosten (Abwasser etc.) der vergangenen zehn Jahre anschauen. Aber eine deutliche Rentensteigerung über der Lohnentwicklung würde zu Lasten der jüngeren Generation gehen. Entweder in Form höherer Rentenversicherungsbeiträge oder durch neue Schulden. Aufgrund der demographischen Entwicklung steigt die Zahl der Rentenempfänger in den nächsten Jahren enorm an – und damit die Wahrscheinlichkeit, Singularinteressen mittels Volksentscheiden durchsetzen zu können.
Eine Rentenerhöhung – wie erwähnt als stellvertretendes Beispiel - per Volksentscheid beschließen zu lassen und dann die Parlamentarier mit der Aufgabe zu betrauen, die Finanzierung sicherzustellen, halte ich für eine schlechte Aufgabenteilung. Die Abgeordneten haben immer auch den Gesamthaushalt und das Wohl der Allgemeinheit im Blick. Ob dies immer zufriedenstellend gelingt, darüber kann man sicherlich streiten.
zu Frage 2:
Die Erfahrungen zeigen, dass sich an Bürgerinitiativen leider oft nur Betroffene beteiligen. „Man ist gemeinsam gegen etwas.“ Menschen, die von einem Vorhaben profitieren schweigen, in der Regel, anderen ist es egal. Es geht bei politischen Entscheidungsprozessen aber gerade darum, eine ausgewogene Politik für alle Menschen in unserem Land zu finden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahmen der GRÜNEN – die ja für Volksentscheide sind – zu der gescheiterten Schulreform in Hamburg, ohne diese Reform bewerten zu wollen.
Ob die regierenden Politiker immer eine ausgewogene Politik für alle Menschen finden, können die Wählerinnen und Wähler alle vier oder fünf Jahre bei der Wahl bewerten.
zu Frage 3:
Mein Satz „Die parlamentarische Interessenvertretung funktioniert sehr gut in Deutschland“ bezieht sich auf das Gesetzgebungsverfahren. Initiativen werden in das Parlament eingebracht, man diskutiert im Ausschuss (hinter verschlossenen Türen – sehr konstruktiv) miteinander, lädt Experten oder betroffene Gruppen zu einer Anhörung ein, diskutiert mit Menschen im Wahlkreis und entscheidet dann in 2. und 3. Lesung im Parlament.
Der hohe Anteil an Nichtwählern ist erschreckend, allerdings habe ich persönlich kein Verständnis für Bürgerinnen und Bürger, die ihr Wahlrecht nicht ausüben. Es stehen zahlreiche Parteien, Programme und Personen zur Wahl und wenn man sich informiert findet man sicherlich eine Partei der man das Vertrauen schenken kann. Falls doch nicht, ist man herzlich eingeladen, sich selbst in einer Partei zu engagieren. In anderen Ländern (bsp. Iran) sterben Menschen, weil sie für dieses Recht der freien Wahl demonstrieren. Bei uns herrscht in vielen Bereichen ein großes Desinteresse.
Diese Gruppe der Gleichgültigen beteiligt sich übrigens auch nicht an Volksentscheiden – Sie haben dort eine mindestens eine ähnlich hohe Quote an „Nichtwählern“.
zu Frage 4:
Wie unter 3 ausgeführt, ist ein parlamentarisches Verfahren sehr komplex und Abgeordnete haben viele Möglichkeiten das Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen.
Wenn Sie die letztliche Abstimmung im Parlament betrachten, gebe ich Ihnen natürlich Recht, dass die Abgeordneten dort auch nur noch über Annahme oder Ablehnung entscheiden können.
zu Frage 5:
Haben Sie die Medienkampagne im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl in diesem Jahr verfolgt? Plötzlich wurde ein Kandidat, der bislang einer breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt war, „hochgeschrieben“ . Die Macht der Medien in solchen Fragen sollte man nicht unterschätzen. Deutschland ist seit 60 Jahren sehr gut gefahren mit der parlamentarischen Demokratie – bei aller Kritik an der politischen Klasse leben wir in Frieden und Wohlstand – und ich möchte dies nicht einem Zeitgeist opfern. Dies soll keine Medienschelte sein, aber es ist unbestritten dass Journalisten sehr stark zum Meinungsbildungsprozess in der Gesellschaft beitragen. Die Medien haben zurecht eine „Kontrollfunktion“ und prangern jeden Missstand oder Skandal an. Allerdings werden Themen häufig von Zuschauerquoten und Auflage bestimmt und orientieren sich weniger an ihrer tatsächlichen Bedeutung. Als Beispiel verweise ich nur auf den „Fall Kachelmann“.
Unser Wohlstand liegt unter anderem auch in einer stabilen Demokratie begründet, in der nicht alle paar Monate oder jährlich ein neues Parlament gewählt werden muss. Insofern halte ich eine Forderung nach vorzeitiger Abwahl des Parlamentes für gefährlich. Wie sollte das aussehen? Die jeweilige Opposition würde ständig ein Abwahlverfahren einleiten oder die jeweils Regierenden würden wichtige, aber unpopuläre Entscheidungen von der Tagesordnung nehmen.
Hinzu kommt: Volksentscheide würden dem jeweiligen Zeitgeist entspringen, der sich oft schnell ändert. Das bedeutete, dass das Ergebnis eines Volksentscheides nach kurzer Zeit wieder „gekippt“ werden und in sein Gegenteil verkehrt werden könnte. Das würde das Ende der Verlässlichkeit der Politik bedeuten und in vielen Bereichen keine Planungssicherheit mehr zulassen.
Sehr geehrte Frau Busch,
bei allem Verständnis für Kritik an aktuellen politischen Entscheidungen oder der Außendarstellung der Bundesregierung ist ein kritischer Dialog (z.B. über Abgeordnetenwatch) mit den gewählten Volksvertretern sinnvoller als „weitere Kontrollmöglichkeiten“ zu schaffen. Gerne stehe ich hierfür auch persönlich zur Verfügung und sollte es Ihre Zeit erlauben, können Sie gerne bei mir in Berlin den politischen Alltag kennenlernen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Alexander Funk, MdB