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Frage von Sonja W. •

Frage an Alexander Alvaro von Sonja W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Alvaro,
anlässlich der Bemühungen der Militärjunta in Birma, dem Land eine Verfassung per Referendum zu geben, stellt sich mir eine dringende Frage:

Wenn sogar eine Diktatur solche Klimmzüge unternimmt, um den Schein einer Mitbestimmung zu wahren und sich unter Mitbestimmung des Volkes eine Verfassung geben möchte - wie stark müsste dann das Versagen der Demokratie in Europa gewichtet werden?

Gerade bei einem Politiker mit dem Adjektiv "Frei" in der Parteizugehörigkeit erwarte ich eigentlich eine unumwundene Ablehnung jeglicher Verstöße gegen demokratische Grundprinzipien.
Die FDP ist jedoch unter den Befürwortern der Lissabonner Verträge.
Warum?

Wie kann es sein, dass in jeder Bananenrepublik das Volk das Recht hat, sich eine Verfassung zu geben und nur uns Deutschen im Besonderen und uns Europäern im Allgemeinen dieses Recht abgesprochen wird?

Mein Eindruck, dass ich in einer Verwaltungsdiktatur lebe, verstärkt sich täglich in ungeheurem Maße.

Die Lissabonner Verträge sind der Gipfel der Frechheit und eine schallende Ohrfeige insbesondere an die Niederländer und Franzosen, die das Kind unter anderem Namen schon abgelehnt hatten, und ein trauriges Ende für die BRD, die sich niemals eine Verfassung geben durfte und deren "Verfassungsersatz" Grundgesetz nun auch zu Grabe getragen wurde.

Ich empfehle den Damen und Herren der Politik, künftig nur noch mit Wahlcomputern wählen zu lassen, dann kann man das gewünschte Ergebnis schon vorher selbst einprogrammieren und dem Volk die letzte Möglichkeit der Einflußnahme, unter Vorgaukeln einer freien Wahl, auch noch nehmen.

Sie dürfen meinen Worten ruhig die Poltikverdrossenheit entnehmen, die ich in meinem Frust hineingelegt habe, ohne Hoffung, dass ich durch meinen Text irgendetwas bewegen könnte.

Über eine Antwort auf meine dringendste Frage würde ich mich trotzdem freuen:
Warum darf sich das deutsche Volk keine Verfassung geben?

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau Weil,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 24. Mai 2008.

Ihre Kritik ist meines Erachtens nur teilweise berechtigt. Der Lissabonner Vertrag ist aus Sicht der FDP eine große Weiterentwicklung, die die Europäische Union durch wichtige institutionelle Reformen, einen wesentlichen Schritt voran bringt. Die Europäische Union wird durch den neuen Vertrag demokratischer und transparenter. Hervorzuheben sind u. a. die gestärkte Rolle des Europäischen Parlaments, die stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente an der Gesetzgebung und die neuen Abstimmungsregeln im EU-Rat, durch die Deutschland angemessen repräsentiert wird, sowie die Einführung eines Europäischen Bürgerbegehrens.

Sicherlich gibt es auch Kritikpunkte an dem vorliegenden Text. Es ist jedoch zu bedenken, dass es sich hierbei um einen Kompromiss der 27 Mitgliedstaaten handelt, der als Weiterentwicklung des Vertrages von Nizza zu sehen ist. Entscheidend ist, dass der Vertrag von Lissabon die europäische Gesetzgebung in Brüssel vereinfachen und die Demokratie -repräsentiert durch gewählte Abgeordnete des Europäischen Parlaments- stärken wird.

Ihrer Kritik an mangelnder Volkabstimmung stimme ich vollkommen zu. Die FDP hat hierzu schon in ihrem Europawahlprogramm eine Volksabstimmung über den Verfassungsvertrag verlangt und diese Position vertrat sie auch bei den Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon. Im Übrigen sprach sich die FDP - was wahrscheinlich weniger bekannt ist - im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz für Deutschland erarbeitet hat, für eine Volksabstimmung über das neu geschaffene Grundgesetz aus.

Hinsichtlich Ihrer letzten Frage, muss ich Ihnen sagen, dass Das Grundgesetz von 1949 als ein Provisorium gedacht war, das die politische und rechtliche Grundordnung der BRD regeln sollte. Aufgrund geschichtlicher Begebenheiten - Teilung Deutschlands - wird es gemäß Art. 146 GG nichtig, sobald sich das deutsche Volk per Referendum eine Verfassung gibt. Da jedoch das Grundgesetz alle notwendigen Komponenten einer demokratischen Verfassung enthält und deshalb im Volk kein Verlangen nach einer expliziten Verfassung besteht, wird das Grundgesetz de facto als Verfassung betrachtet. Das Grundgesetz erfüllt unabhängig davon, dass es ursprünglich als ein Provisorium gedacht war, alle formellen und materiellen Anforderungen und ist daher bereits rechtlich (de iure) eine Verfassung, die die tragenden Strukturprinzipien für den Staat Bundesrepublik Deutschland festlegt. Es konstituiert die rechtliche Grundordnung eines Gemeinwesens als politische Einheit und ist damit eine Verfassung im materiellen Sinne.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander Alvaro, MEP