Frage an Alexander Alvaro von Tim K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Alvaro,
Sie haben sich im Interview mit dem Deutschlandradio am 19.04 ( http://www.fdp-in-europa.de/2011/04/19/deutschlandradio-abstimmungsverfahren-fur-rettungsschirm-muss-geandert-werden/ ) dafür ausgesprochen, das Einstimmigkeitsprinzip bei Abstimmungen zum Euro-Rettungsschirm aufzuweichen zugunsten einer 80%-Mehrheit. Damit würde es erleichtert, dem deutschen Steuerzahler massive Schulden aufzubürden zugunsten einiger finanzpolitisch verantwortungslosen Ländern, darunter Portugal, das Anfang April unter den EU-Rettungsschirm flüchtete.
Jetzt besitzten Sie ja nach FDP-Angaben auch die portugiesische Staatsbürgerschaft ( http://www.fdp-in-europa.de/unsere-abgeordneten/alexander-alvaro/ ). Ich frage Sie, wie Sie in diesem offensichtlichen Interessenskonflikt - schließlich geht das Wohl des einen Landes automatisch zu Lasten des anderen und umgekehrt - glaubhaft machen wollen, bei Ihrem Vorschlag, der auf vereinfachte Bereitstellung von Transferleistungen für Schuldnerländer, darunter Portugal, abzielt, "zum Wohle des deutschen Volkes" zu handeln. Müssten Sie ihr Mandat nicht eigentlich ruhen lassen oder zumindest in dieser Sachfrage keine solche Position vertreten?
Mit freundlichen Grüßen,
Tim Kocher
Sehr geehrter Herr Kocher,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum permanenten europäischen Stabilitätsmechanismus ESM.
In Artikel 136 AEUV, der besondere Bedingungen für die Eurostaaten enthält, soll ein weiterer Absatz eingefügt werden: "Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro- Währungsgebietes insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen." Dabei wird aber klar an der "No-Bail Out"-Klausel in Art. 125 AEUV festgehalten, wonach ein Euro-Teilnehmerland nicht für Schulden anderer Teilnehmerländer haften oder aufkommen muss.
Wie ich bereits an anderer Stelle in diesem Portal erläutert habe, geht es also nicht allein um die Höhe der zu genehmigenden Finanzhilfen sondern vor allem um damit verknüpfte Auflagen an die Empfänger der Finanzhilfen. Über diese Finanzhilfen nach dem Einstimmigkeitsprinzip zu entscheiden, ist im Grunde undemokratisch, da das Mehrheitsprinzip klares Element demokratischer Entscheidungsprozesse ist. Die Zustimmung nationaler Parlamente wird natürlich zusätzlich zwingend benötigt. Von zentraler Bedeutung für die FDP ist der Parlamentsvorbehalt: Die konstitutive Beteiligung des Deutschen Bundestages muss bei jeder Aktivierung des ESM sichergestellt werden.
Zum Beispiel einem kleinen Land durch das Einstimmigkeitsprinzip ein Vetorecht einzuräumen, wenn in fast allen anderen Bereichen europäischer Entscheidungsfindung mehrheitlich abgestimmt wird, mindert die Wirkungskraft des ESM eher als sie zu stärken. Außerdem besteht hier die Gefahr, dass sachfremde Themen als "Verhandlungsmasse" in die Diskussion zum ESM eingebracht werden. Ihre Sorge ist daher meines Erachtens unbegründet. Für Deutschland bedeutet ein Entscheidungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit wegen unserer Stimmgewichtung im Rat nämlich keine Gefahr. Mein Vorschlag vereinfacht das also Verfahren nicht, sondern beugt Blockadehaltungen vor.
Bisher hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt eben deshalb wenig Wirkung gezeigt, weil sich die EU-Mitgliedstaaten nach dem Prinzip "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" verhalten haben anstatt Sanktionen zu verhängen oder ein Defizitverfahren einzuleiten. Dass mit dem ESM nun quasi-automatische Sanktionen eingeführt werden sollen, ist daher ein unumgehbarer Schritt. Wir wollen alle ein Abgleiten der EU in eine Gemeinschaft, in der Mitgliedstaaten für andere unbegrenzt haften, verhindern. Darüber hinaus muss ein System für die Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte in der Eurozone mit entsprechenden Eingriffsmöglichkeiten und Sanktionen errichtet werden. Dabei geht es nicht darum erfolgreiche Länder zu sanktionieren, sondern Ländern mit geringer Wettbewerbsfähigkeit einen Anreiz zu geben, sich zu verbessern. Die Krise geht von den Mitgliedstaaten aus, nicht von der EU, ihre Lösung aber muss europäisch sein, weil keiner der betroffenen Mitgliedstaaten die Kraft hat, sich alleine aus dem Schuldensumpf zu befreien.
Meine doppelte Staatsbürgerschaft hat damit nichts zu tun. Vielmehr bestärkt sie mich in der Überzeugung, dass die Europäische Union für jeden Einzelnen einen großen Mehrwert hat.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Alexander Alvaro