Frage an Alexander Alvaro von Elke S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Alvaro,
Sie fordern, auf die Einstimmigkeit beim Abstimmungsverfahren für Rettungsschirme bzw. für finanzielle Hilfen für verschuldete EU-Staaten zu verzichten. Damit würden EU-Länder über die Haushalte anderer Länder - natürlich auch über den von Deutschland - frei verfügen. Regierung und Bundestag hätten in dieser elementaren Frage nichts mehr zu sagen. Ihre Forderung empfinde ich als Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Staates in der EU und als undemokratisch.
Bitte erklären Sie, ob Ihrer Meinung nach nur noch auf EU-Ebene über das Budget der EU-Staaten entschieden werden soll?
Fühlen Sie sich den Interessen deutscher Bürgerinnen und Bürger verpflichtet?
Mit freundlichen Grüßen
Elke Seyrer
Sehr geehrte Frau Seyrer,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum permanenten europäischen Stabilitätsmechanismus ESM.
In Artikel 136 AEUV, der besondere Bedingungen für die Eurostaaten enthält, soll ein weiterer Absatz eingefügt werden: "Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro- Währungsgebietes insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen."
Es geht also nicht allein um die Höhe der zu genehmigenden Finanzhilfen sondern vor allem um damit verknüpfte Auflagen an die Empfänger der Finanzhilfen. Über diese Finanzhilfen nach dem Einstimmigkeitsprinzip zu entscheiden, ist im Grunde undemokratisch, da das Mehrheitsprinzip klares Element demokratischer Entscheidungsprozesse ist. Die Zustimmung nationaler Parlamente wird natürlich zusätzlich zwingend benötigt. Von zentraler Bedeutung für die FDP ist der Parlamentsvorbehalt: Die konstitutive Beteiligung des Deutschen Bundestages muss bei jeder Aktivierung des ESM sichergestellt werden.
Zum Beispiel einem kleinen Land durch das Einstimmigkeitsprinzip ein Vetorecht einzuräumen, wenn in fast allen anderen Bereichen europäischer Entscheidungsfindung mehrheitlich abgestimmt wird, mindert die Wirkungskraft des ESM eher als sie zu stärken. Außerdem besteht hier die Gefahr, dass Sachfremde Themen als "Verhandlungsmasse" in die Diskussion zum ESM eingebracht werden. Ihre Sorge, dass andere EU-Länder über den deutschen Haushalt entscheiden könnten, ist daher meines Erachtens unbegründet. Für Deutschland bedeutet ein Entscheidungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit wegen unserer Stimmgewichtung im Rat nämlich keine Gefahr.
Bisher hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt eben deshalb wenig Wirkung gezeigt, weil sich die EU-Mitgliedstaaten nach dem Prinzip "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" verhalten haben anstatt Sanktionen zu verhängen oder ein Defizitverfahren einzuleiten. Dass mit dem ESM nun quasi-automatische Sanktionen eingeführt werden sollen, ist daher ein unumgehbarer Schritt. Wir wollen alle ein Abgleiten der EU in eine Gemeinschaft, in der Mitgliedstaaten für andere unbegrenzt haften, verhindern. Darüber hinaus muss ein System für die Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte in der Eurozone mit entsprechenden Eingriffsmöglichkeiten und Sanktionen errichtet werden. Dabei geht es nicht darum erfolgreiche Länder zu sanktionieren, sondern Ländern mit geringer Wettbewerbsfähigkeit einen Anreiz zu geben, sich zu verbessern.
Ich hoffe, dass dies Ihre Sorgen etwas mindert und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Alexander Alvaro