Frage an Alexander Alvaro von Benno G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Alvaro,
in der Hoffnung, dass Sie sich noch immer mit Datenspeicherung und deren Auswirkung auf die Bürgerrechte befassen, möchte ich Sie gerne fragen, was Ihnen über die Forschungsprojekte der EU, die sich mit sicherheitspolitischen Fragen beschäftigen - wie z.B. vernetzte Überwachung - bekannt ist? Da wären beispielsweise das Projekt INDECT und FP7 zu nennen.
FP7 wird anscheinend mit etwa 1,4 Milliarden Euro von der EU unterstützt und INDECT mit etwa 11 Millionen Euro. Bei diesen Zahlen muss berücksichtigt werden, dass die gesamten Projektkosten zusammen mit Projekt-Partnern der EU finanziert werden, diese also den Anteil der EU übersteigen (Beispiel INDECT: Projektkosten = 15Millionen; Quelle: http://cordis.europa.eu/fetch?CALLER=FP7_PROJ_EN&ACTION=D&DOC=4&CAT=PROJ&QUERY=011f30e52539:b685:00e1e967&RCN=89374 ).
Vielleicht haben Sie Kenntnis über weitere Projekte dieser Zielrichtung oder aber Sie können hier einige Details zu erwähnten Forschungsprojekten darstellen.
Mich interessiert vor allem auch Ihre Meinung dazu. Wie schätzen Sie das Ganze ein? Sehen Sie mit diesem Überwachungssystem die gesetzlich verankerte Unschuldsvermutung bedroht oder gar als gestorben? Wie stehen Ihre Kollegen aus dem EU-Parlament zu dem Thema bzw. wie ist der allgemeine Tenor im Parlament?
Beste Grüße!
Sehr geehrter Herr Groß,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich werde versuchen bestmöglich darauf einzugehen, es wird mir jedoch aufgrund der Vielzahl an Facetten nicht möglich sein alle Einzelheiten zu benennen.
FP7:
Das Siebte Forschungsrahmenprogramm (FP7) bündelt alle forschungsverwandten EU-Initiativen, die eine zentrale Rolle im Streben nach Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen spielen, unter einem gemeinsamen Dach; zusammen mit einem neuen Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) , Bildungs- und Ausbildungsprogrammen, Struktur- sowie Kohäsionsfonds für regionale Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit. Es ist ein wesentlicher Pfeiler für den Europäischen Forschungsraum (EFR).
Die weit gefassten Ziele des FP7 sind in vier Kategorien eingeteilt: Zusammenarbeit, Ideen, Menschen und Kapazitäten. Für jede Zielsetzung gibt es ein spezifisches Programm, abgestimmt auf die Hauptbereiche der EU-Forschungspolitik. Alle spezifischen Programme arbeiten zusammen, um die Bildung europäischer (wissenschaftlicher) Exzellenzzentren zu unterstützen und zu begünstigen.
Besonders interessant sind dabei die Projekte die sich mit dem Feld "Sicherheit" beschäftigen. Dieser Bereich ist sehr weit gefasst und enthält z.B. Projekte über die Frage wie Menschen und Bevölkerungen auf eine akute Bedrohung reagieren (BESECU), Überwachung der Trinkwasserversorgung im Bezug auf den Schutz vor bewusster Dekontaminierung durch Aggressoren (SECUREAU), oder auch eine Automatische Erkennung von "abnormalem" Verhalten und Bedrohungen in Menschenmengen oder belebten Plätzen (ADABTS).
Viele dieser Projekte sind sicherlich als sinnvoll zu betrachten, bei anderen dominiert die Frage, ob sie nicht vermehrt Freiheitsrechte gefährden, um vermeintliche Sicherheit zu suggerieren. Problematisch ist jedoch auch, dass durch Überwachungsmaßnahmen oder Verhaltensanalysen die Bevölkerung unter einen Generalverdacht gestellt wird. So könnte es bei einer Umsetzung von einem Programm wie SUBITO ( Surveillance of unattended baggage and the identification and tracking of the owner) durchaus dazu kommen, dass sie als verdächtig eingestuft werden, wenn sie an einer Bushaltestelle ihr Gepäck stehen lassen und sich der Fahrplantafel zuwenden. In wie weit es zu solchen Szenarien kommt oder kommen könnte, wird aus den Projektbeschreibungen natürlich nicht immer direkt ersichtlich, eine gewisse Vorsicht ist jedoch geboten.
INDECT ("Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment")
INDECT ist ein Bestandteil des FP7 und bedeutet übersetzt: "Intelligentes Informationssystem, das Überwachung, Suche und Entdeckung für die Sicherheit von Bürgern in einer städtischen Umgebung unterstützt"
Unter folgendem Link finden sie z.B. Einen kritischen Artikel zu diesem Projekt, in dem auch verschiedene Aspekte beschrieben werden: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2009-09/indect-ueberwachung
Ich persönlich stehe diesem Projekt sehr kritisch gegenüber und halte auch eine kritische Auseinandersetzung der europäischen Institutionen mit INDECT für nötig. Eine hohe Anzahl von Bürgern wird unter indirekten Generalverdacht gestellt, bzw. dauerhaft überwacht und analysiert. Dies ist mit dem Freiheitsgedanken der Liberalen nicht zu vereinbaren. Die Bekämpfung von Bedrohungen durch Terroristen und/oder Kriminelle ist ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Sicherheit, jedoch muss mit dem Gut der individuellen Freiheit sehr sorgsam umgegangen werden. Einige Aspekte der Forschungsprojekte können sinnvoll und hilfreich sein, diese müssen jedoch immer in Relation zur damit aufgegeben Freiheit gesetzt werden.
Das Europäische Parlament ist nicht direkt in die Umsetzung einzelner Programme eingebunden, weshalb ich eine schriftliche Anfrage an die Kommission stellen werde, um genauere Informationen über die geplante Einsetzung zu erhalten. Diese Antwort werde ich Ihnen gerne zukommen lassen.
Ich hoffe ich konnte Ihre Fragen zunächst zufriedenstellend beantworten, auch wenn ich sicherlich nicht auf alle Aspekte detaillierter eingehen konnte.
Alexander Alvaro, MdEP
Ergänzung vom 26.1.2010
Sehr geehrter Herr Groß,
auf Ihre Anregung hin habe ich die beigefügte schriftliche Anfrage E-6084/09 an die Kommission zum Thema INDECT gestellt. Über die mir nun übermittelte Antwort wolle ich Sie ebenfalls in Kenntnis setzen.
Mit freundlichen Grüßen,
Alexander Alvaro