Frage an Alexander Alvaro von Marlin F. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Alvaro,
ich beobachte mit großer Sorge die aktuellen Entwicklungen in der Lebensmittelwirtschaft, die sich besonders durch die EU-Subventionierung, aber auch durch die immer stärkere Industrialisierung ergeben. Ich bin selbst Student und habe entsprechend nicht viel Geld zur Verfügung, aber gleichzeitig wundere ich mich immer wieder, wenn sich Menschen (zumindest in den Medien) tierisch aufregen, dass z.B. die Milch um 10 Cent pro Liter teurer wird. Ich kann mir vorstellen, dass das höchstens eine "Unterschicht" wirklich schwer treffen kann, deren Existenz aber von Politikern durchweg geleugnet wird.
Die Preise in unserer Wohlstandsgesellschaft stehen dabei in keinerlei Verhältnis mehr zu den Produktionskosten. Die Produktion von Fleisch beispielsweise ist nur zu unwürdigen Bedingungen in Massentierhaltung und hohen Subventionen möglich (siehe z.B. http://www.nutritionecology.org/de/news/stop_subsidies.html ). Dagegen sterben täglich zehntausende Menschen auf der Welt an Hunger und hunderttausende Hektar Regenwald werden gerodet (z.B. für Sojaplantagen in Brasilien), damit wir billige Futtermittel haben.
Auf der einen Seite gibt es in der EU hohe Subventionen für die Landwirtschaft, um nicht von anderen Ländern abhängig zu werden - man könnte meinen eine strategisch gute Entscheidung. Gleichzeitig macht man sich aber durch Hybridkulturen von großen Saatgutkonzernen abhängig und droht diesen damit die Macht über unser Essen zu geben. Schon jetzt ist es bedrohlich, wie viele Quellen z.B. vom weltgrößten Lebensmittelkonzern Nestlé aufgekauft werden - obwohl jeder Mensch ein Recht auf Wasser hat!
Und das alles nur, damit Lebensmittel weiter zu Dumpingpreisen angeboten werden können. Wer braucht denn diese Preise - sollten wir Landwirte nicht besser angemessen entlohnen? Warum sollte es überhaupt Subventionen für Fleisch geben? Wie sehen Sie die Lebensmittelwirtschaft in der EU, welche Interessen vertreten Sie?
Sehr geehrte Frau Frickenschmidt,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Generell ist die FDP davon überzeugt, dass die beste Preisbildung durch den Markt geregelt werden sollte. Dies gilt auch für Lebensmittel. In Deutschland haben wir nun einmal starke Präferenzen bei vielen Konsumenten für Niedrigstpreise, oft ungeachtet der Qualität der Lebensmittel. Dies ist in anderen Mitgliedstaaten der EU teilweise deutlich anders. Diese Wahlfreiheit kann und sollte man aber den Konsumenten in Deutschland nicht nehmen, auch wenn die Erziehung zu einer gesundenen Ernährungsweise gerade im Kindes- und Jugendalter noch mehr gefördert werden sollte. Andere Länder sind uns in der Frage einer gesunden Ernährung teilweise weit voraus und im Sinne von Gesundheit und Umweltschutz wäre weniger Fleischkonsum sicherlich zu begrüßen. Sie sollten sich aber auch bewußt sein, dass Widerstände gegen eine willkürliche Preissetzung bei Lebensmitteln durch den Staat sicherlich größer wären als die öffentliche Unterstützung für die Landwirte. Außerdem sind hohe Preise für Landwirte zumindest mittelbar auch gleichzeitig hohe Preise für die Verbraucher. Gerade für Familien mit niedrigen Einkommen, die einen großen Teil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgeben, wären weitere Preiserhöhungen kaum zu schultern. Die Frage der Lebensmittelpreise muss also von zwei Seiten betrachtet werden und nicht alle Interessen laufen in die gleiche Richtung.
Angesichts dessen ist es meiner Meinung nach wichtig, dass es einen fairen Wettbewerb über die gesamte Lebensmittelversorgungskette, vom Landwirt bis zum Einzelhändler, gibt. Denn nur dies kann garantieren, dass keiner der Beteiligten seine Marktmacht missbraucht. Deshalb sagt die FDP auch immer wieder, dass die Bauern sich auf den Markt einstellen müssen. Dort wo staatliche Vorgaben die Wettbewerbschancen deutscher Bauern verschlechtern, muss entweder fairer Wettbewerb geschaffen werden oder ein Ausgleich durch staatliche Ausgleichszahlungen stattfinden, um Nachteile auszugleichen. Dies ist für uns die gesellschaftspolitische Rechtfertigung für die Flächenprämie. Im Übrigen gibt es seit Jahren Branchen in der Landwirtschaft, die mit dem freien Markt leben. Die meisten Schweinebauern haben sich auch so gut darauf eingestellt, dass sie selbst während der letzten Preiskrise keine staatlichen Hilfen verlangten.
Die Hauptursache für den darniederliegenden Milchpreis ist, dass trotz des laufenden Umstrukturierungsprozesses und der massenhaften Aufgabe von Milchbauern in den letzten Jahrzehnten, immer noch zuviel Milch in Europa produziert wird (denn trotz weniger Milchbauern und Milchkühen, wird durch erfolgreich gezüchtete Milchkühe heute fast ebenso viel Milch produziert wie vor 15 Jahren). An dieser Tatsache können wir nur wenig ändern. Wichtig ist vielmehr, wie bereits oben angedeutet, dass Landwirte und Molkereien endlich gestärkt werden. Wenn weiterhin über 100 Molkereien mit wenigen, großen Handelskonzernen verhandeln, kann das nicht zu den gewünschten Ergebnissen aus Sicht der Landwirte führen.
Wir leben gleichzeitig in Zeiten einer globalisierten Welt, ob uns das nun gefällt oder nicht. Und Deutschland profitiert unter dem Strich in großem Maße von der globalisierten Wirtschaft. Wir erhalten unseren Wohlstand im Wesentlichen daher, dass wir unsere Industriegüter und auch unsere veredelten Lebensmittel in alle Welt verkaufen können. Deshalb müssen wir beispielsweise auch ein Interesse an erfolgreichen WTO-Verhandlungen haben. Dies wiederum bedingt, dass wir auf Dauer keine hohen Zollgrenzen an den EU-Außengrenzen für Agrarprodukte aufrechterhalten können. Insbesondere weil dies nicht im Sinne einer fairen Handelspolitik gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern wäre.
In diesem Zusammenhang sollte allerdings eines vorneweg gesagt werden: Armut und Unterernährung in Entwicklungsländern bzw. Schwellenländern haben selbstverständlich vielfältigste Ursachen, und die Zusammenhänge zwischen diesen sind ebenfalls vielschichtig. Neben wirtschaftlichen, sozialen sowie innen- und geopolitischen Faktoren zählen dazu zu einem gewissen Teil sicherlich auch internationale Handelsbeziehungen, die zwischen Industrie- und Entwicklungsländern immer noch stark durch den Handel mit Rohstoffen, oft aus agrarischer Produktion, geprägt sind. Aus historischen Abhängigkeitsverhältnissen während der Kolonialzeit erwachsen, sind diese Strukturen gerade bei Agrarerzeugnissen in vielen Fällen noch persistent. Unzweifelhaft hat die EU-Landwirtschaftspolitik in den vergangenen Jahrzehnten auch in nicht geringem Maße dazu beigetragen, dass diese Strukturen fortbestehen. Selbst wenn der Marktzugang für Produkte aus ehemaligen Kolonien in Afrika und Asien sehr offen gestaltet wurde, hat er nur bedingt dazu geführt, die Landwirtschaft in den Ländern des Südens auf eine trag- und wettbewerbsfähige Grundlage zu stellen. Hindernisse waren weniger Zollbarrieren, sondern vielmehr nichttariffäre Handelshemnisse wie z.B. Produktnormen oder subventionierte Exporte aus Europa oder Nordamerika.
Deshalb sollte das Ziel einer integrierten Entwicklungs- und Agrarpolitik eine leistungsfähigen, modernen Landwirtschaft in den Entwicklungsländern sein. Nur so wird es möglich sein, die - gerade in diesen Ländern - wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Gleichzeitig stehe ich auf dem Standpunkt, dass Handel an sich kein Entwicklungshemmnis darstellt. Im Gegenteil: ein funktionierender Handel schafft Wohlstandsgewinne für alle Seiten, wenn jede ihre jeweiligen Stärken effektiv nutzen kann. Dies kann aber nur geschehen, wenn Faktoren beseitigt werden, die einen effizienten Handelsaustausch stören. Dazu gehören selbstverständlich auch Exportsubventionen für europäische Agrarprodukte, welche die FDP in jeder Form ablehnt. Gleichzeitig sollte eine moderne Entwicklungspolitik darauf ausgerichtet sein, die Menschen in den Entwicklungsländern dazu zu befähigen, ihre Potentiale so weit wie möglich auszuschöpfen. Dies kann am besten durch effiziente landwirtschaftliche Produktionsverfahren, basierend auf einer leistungsfähigen Agrarforschung, geschehen. Deshalb fordert die FDP auch einen systematischen Wissenstransfer in die am meisten von Hunger und Armut betroffenen Schwellen- und Entwicklungsländer.
In der Frage der Biokraftstoffe hat sich die FDP im Europäischen Parlament im vergangenen Jahr dafür eingesetzt, dass nur Biokraftsstoffe der 2. und 3. Generation gefördert werden um negative Auswirkungen auf die globale Nahrungsmittelproduktion zu vermeiden. Dies gilt sowohl für Biosprit aus der EU als auch für Kraftsstoffe aus Drittländern.
Mit freundlichen Grüßen,
Alexander Alvaro, MdEP