Ich bin der festen Überzeugung, dass soziale Fragen wieder deutlich wahrnehmbarer in den Fokus sozialdemokratischen Handelns gehören.
Nur die zehn reichsten Niedersachsen besitzen ein Vermögen, das den kompletten Sozialhaushalt des Landes um ungefähr das Doppelte übertrifft. Das heißt: Zehn Menschen könnten – quasi aus der Portokasse – zwei Jahre lang alle Sozialausgaben des Landes für Pflege, Eingliederungshilfe, Familien, Ehrenamt, Integration, Frauen und Jugendarbeit bestreiten! Auf der anderen Seite gelten – laut aktueller Angaben des Landesamtes für Statistik – 15,9 % der niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger – das sind 1,2 Millionen Menschen – als armutsgefährdet. Das Armutsrisiko in unserem Bundesland befindet sich somit seit Ersterfassung im Jahre 2005 auf Rekordniveau.
Trotz aller wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Erfolge unserer Partei in Landes- und Bundesregierung müssen wir also leider feststellen, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, dass die soziale Ungleichheit zunimmt, eine Spaltung der Gesellschaft droht. Denn Armut, die wir neben Alleinerziehenden, Langzeitarbeitslosen, gesundheitlich Eingeschränkten und Migranten deutlich vermehrt auch bei den über 65-Jährigen antreffen, führt zur Ausgrenzung. Armut erschwert oder verhindert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, an Bildung, Kultur, Mobilität, anständigem Wohnen, Gesundheit, an Zugang zu Mitgestaltung in Vereinen, Verbänden und Parteien. Dieser Umstand, den ich aus eigener Erfahrung insofern kenne, als dass meine Mutter seit fast 20 Jahren mit der kargen Rente eines Textilarbeiters auskommen muss, ist nicht in Einklang zu bringen mit meiner Vorstellung eines sozialen Zusammenhalts, eines solidarischen Niedersachsens. Hier aktiv gegenzusteuern ist eine meiner Antriebsfedern. Denn Armut ist kein Naturereignis. Der Armutsgefährdung kann durch konzertiertes politisches Handeln entgegengewirkt werden. Ich möchte mich daher in der Landespolitik einsetzen für eine aktive Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit durch öffentlich geförderte Beschäftigung, durch die Etablierung eines sogenannten sozialen Arbeitsmarktes. Es ist mir immer schon schleierhaft gewesen, warum wir dermaßen viel in staatliche Transferleistungen investieren statt in sinnvolle Arbeitsplätze!
Ich will mit meinem Tun dazu beitragen, Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu schaffen: Hierzu gehört eine Kindergrundsicherung ebenso wie ein vernünftiges Unterhaltsvorschussgesetz, eine Ausbildungsgarantie und ein neues Gesamtkonzept der Kinder- und Jugendhilfe auf Landesebene. Es ist zynisch, dass wir uns seit Jahren an den Ausspruch gewöhnt haben: Armut wird vererbt. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen! Und auch wenn es nicht immer in erster Linie Landesangelegenheit ist – es gibt ja auch noch das Instrument der Bunderatsinitiative: Der zunehmenden Altersarmut ist durch eine mindestens Stabilisierung des Rentenniveaus, durch eine weitgehende Vermeidung von prekären Beschäftigungsverhältnissen, durch die bereits erwähnte Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, durch eine bessere Absicherung von Alleinerziehenden und durch eine Reform der Grundsicherung im Alter zu begegnen.
Ein weiteres Thema der Sozialpolitik, welches mir sehr am Herzen liegt, ist die Pflege. Kurt Tucholsky hat einmal gesagt: „Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können“. Dieser Spruch umschreibt ganz schön ein irrwitziges Dilemma: Trotz des sich seit Jahren vollziehenden demografischen Wandels, trotz der mit ihm einhergehenden und hinlänglich bekannten Verwerfung der Alterspyramide, ist die Pflege nach wie vor nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe etabliert. Es bedarf einer offensiven und breiten Diskussion, die die Themen Alter, Solidarität, Aufgaben des Einzelnen, der Familie, der Gesellschaft, Generationengerechtigkeit und nicht zuletzt die kulturelle Frage des Zusammenlebens der Bürgerinnen und Bürger umfasst.
In Niedersachsen sind 3,7 % der Bevölkerung, d. h. fast 300.000 Menschen, pflegebedürftig. Leider ist, trotz aller Anstrengungen der Landesregierung und anderer Akteurinnen und Akteure, Niedersachsen nach wie vor das Schlusslicht unter den westdeutschen Bundesländern, was die Refinanzierung der ambulanten und stationären Pflegeleistungen angeht. Das heißt, bei gleichem Beitragssatz für die Pflegeversicherung erhalten Pflegebedürftige in Nordrhein-Westfalen oder Bayern mehr Leistungen als das bei uns der Fall ist. Das niedrige Niveau der Entgelte macht sich in den Einrichtungen und Diensten in einer unzureichenden Personalausstattung und damit verbundenem Arbeitsdruck, einer enormen Arbeitsdichte, bemerkbar. „Pflege im Minutentakt“ oder „Hauptsache satt und sauber“ sind mittlerweile leider geflügelte Wörter, die diesen Umstand beschreiben.
Gewinner in diesem Wettbewerb sind diejenigen Träger, die nicht nach Tarif bezahlen – Lohndumping ist die Währung, nicht die Qualität der Arbeit. Deshalb will ich mich, gemeinsam mit der SPD und den frei-gemeinnützigen Verbänden, weiter und mit voller Kraft für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege einsetzen. Dies umso mehr, als dass Berechnungen des Landes davon ausgehen, dass bis 2030 allein in Niedersachsen 50.000 Pflegekräfte fehlen werden. Darüber hinaus bedarf es vieler neuer fachlicher und politischer Konzepte, um möglichst vielen Menschen zu einem möglichst langen Verbleiben in der eigenen Häuslichkeit verhelfen zu können. Integrierte pflegerische Versorgungsketten, die Förderung innovativer Wohnkonzepte, die Weiterentwicklung der gerontopsychiatrischen Tagespflegen, die Stärkung der Selbstständigkeit durch moderne technische Hilfen sowie der Ausbau präventiver und rehabilitativer Angebote seien hier nur einige Stichworte.
Ich möchte auch etwas über das Thema Inklusion sagen. Uns stellt sich nicht die Frage, ob wir für oder gegen Inklusion sind. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist Inklusion ein Menschenrecht, welchem wir – wie anderen Menschenrechten auch – Geltung verschaffen müssen. Zu diskutieren ist allerdings der Weg, sind die notwendigen Maßnahmen und Ressourcen, um das Ziel der inklusiven Gesellschaft zu erreichen. Hier gibt es in unterschiedlichen Ministerien des Landes aus meiner Sicht durchaus noch Luft nach oben. In diesen Prozess würde ich mich ebenso gerne mit meiner Expertise einbringen wie in die örtliche und überörtliche Umsetzung des Landespsychiatrieplans, der als – bemerkenswert gutes Dokument – im Mai letzten Jahres vom Land vorgelegt wurde. Vor dem Hintergrund der rasant ansteigenden Anzahl psychischer Erkrankungen ist dies eine weitere wichtige sozialpolitische Aufgabe der nächsten zehn Jahre.
In der Sozialpolitik gilt wie in der Frage des demokratischen, wehrhaften Rechtsstaates: Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten.