Problem 1: Die Doppelrolle der Bundestagspräsidentin
2018 haben wir die Bundestagsverwaltung verklagt. Der Grund: Sie wollte vor uns geheim halten, wie oft Abgeordnete ihre Nebentätigkeiten falsch oder gar nicht gemeldet haben. Wir gewannen die Klage und es stellte sich heraus: In hunderten Fällen hatten Abgeordnete gegen die Verhaltensregeln verstoßen – geduldet vom damaligen Bundestagspräsidenten. Denn der verhängte keine Strafe, sondern erinnerte die Abgeordneten lediglich daran, künftig die Verhaltensregeln einzuhalten.
Die Bundestagsverwaltung, die der oder dem Bundestagspräsident:in unterstellt ist, ist für die Überprüfung der Transparenzangaben von Abgeordneten – aber auch der Angaben zum Lobbyregister und zu Parteispenden - zuständig. Warum sie sich jedoch mit der Ahndung und Bestrafung von Transparenzvergehen so schwer tut, liegt in der Struktur der Behörde: Der oder die Bundestagspräsident:in, in diesem Fall Bärbel Bas, hat einen Interessenkonflikt. Denn gleichzeitig unterliegt sie als Abgeordnete - die selbst von Interessenvertreter:innen lobbyiert wird und ein Parteibuch sowie eigene Nebeneinkünften hat - genau den Verhaltensregeln, die sie prüfen soll.
Denn Bas hat neben ihrem politischen Mandat als SPD-Abgeordnete und ihrer Rolle als Prüferin der Transparenzangaben selbst 7500 Euro Nebeneinkünfte als Aufsichtsrätin der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (zu unserer Recherche zu Nebeneinkünften von Abgeordneten). Mit dieser höchst problematischen Doppelrolle ist ein objektives und unabhängiges Urteil quasi unmöglich. Denn wie soll die Bundestagspräsidentin einerseits vertrauensvoll mit den Abgeordneten zusammenarbeiten und die Rechte des Parlaments wahren und andererseits Fehlverhalten - aus den eigenen Reihen oder der politischen Konkurrenz - fair sanktionieren?
Bärbel Bas fühlt sich mit ihrer eigenen Doppelrolle nun scheinbar unwohl und hat die Debatte zur Übertragung der Transparenz-Kontrolle an eine unabhängige Stelle ins Rollen gebracht. So schrieb sie in einer Stellungnahme an abgeordnetenwatch.de: „Als Bundestagspräsidentin bin ich offen dafür, eine Diskussion darüber zu führen, die Prüf- und Sanktionskompetenzen an eine unabhängige Stelle zu übertragen.“
Mit dieser Haltung ist sie nicht alleine. Schon ihr Vorvorgänger Nobert Lammert appellierte 2016 an die Parteien und den Bundestag, die Transparenz-Kontrolle – insbesondere bei der Parteienfinanzierung - an eine andere Institution zu übertragen.
Probleme 2 und 3: Die fehlenden Sanktionen und die mangelnde Transparenz
2021 wurde das Abgeordnetengesetz nachgeschärft und eine Freischuss-Regelung zu Gunsten der Abgeordneten, die gegen die Pflichten verstoßen, abgeschafft. Nun wird eine Ermahnung dieser Abgeordneten immer dann ausgesprochen, wenn „ein minder schwerer Fall beziehungsweise leichte Fahrlässigkeit vorliegt“, etwa eine „Überschreitung von Anzeigefristen um höchstens drei Monate“. Alles darüber hinaus kann im äußersten Fall mit einem Ordnungsgeld in Höhe von maximal einer halben Jahresdiät geahndet werden.
In Folge unserer erfolgreichen Klage gegen die Intransparenz der Bundestagsverwaltung und der Gesetzesänderung muss die Bundestagspräsidentin nun zwar zu Beginn jeder Legislaturperiode einen Transparenzbericht vorlegen, doch in den vier Jahren dazwischen erfährt die Öffentlichkeit nichts über die Verstöße und ihre Konsequenzen.
Im September 2022 hat die Bundestagspräsidentin zum ersten Mal einen solchen Bericht veröffentlicht. Die Zahlen sind erschütternd: Während 388 Verstöße von Abgeordneten in der letzten Legislaturperiode überprüft wurden, gab es nur eine einzige wirkliche Sanktion. So wurde im Jahr 2019 ein Ordnungsgeld in Höhe von 20.000 Euro gegen die mittlerweile verstorbene CDU-Abgeordnete Karin Strenz verhängt.
Leider enthält der Bericht nur sehr allgemeine Angaben zu den Pflichtverstößen, aus denen nicht ersichtlich wird, welche Abgeordneten gegen die Verhaltensregeln verstoßen haben und wie die Bundestagsverwaltung im Einzelfall damit umgegangen ist. Umfassende Transparenz sieht anders aus!
In einer Reaktion auf die Berichterstattung zur problematischen Kontrolle der Parteispenden von Report Mainz (ARD) weist die Bundestagsverwaltung auch auf ihre mangelnde Kompetenzen bei der Prüfung von Parteispenden hin: „Die Bundestagsverwaltung und die Bundestagspräsidentin sind keine klassischen Ermittlungsbehörden mit entsprechenden Befugnissen.“
Problem 4: Mangelndes Vertrauen in die politischen Institutionen
Der Bundestag kontrolliert sich quasi selbst und schafft es nicht, Abgeordnete, Lobbyist:innen und Parteien durch spürbare Sanktionen vor weiterem Fehlverhalten abzuschrecken und die Öffentlichkeit zeitnah und umfassend über die Verstöße zu informieren. Damit muss endlich Schluss sein! Gerade in Zeiten politischer Unsicherheit braucht es Vertrauen in die politischen Institutionen. Dass dieses durch eine unabhängige Transparenz-Kontrolle gestärkt werden würde, sieht auch die Wissenschaft so. So kritisieren Expert:innen sowohl aus der Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft als auch der Volkswirtschaftslehre die mangelnde Kontrolle insbesondere beim Thema Parteispenden:
- Andreas Polk, Volkswirtschaftler, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin: „[…] Hier ist es so, dass die Kontrollinstanz eben beim Präsidium des Bundestags liegt, das heißt, die Parteien selber kontrollieren die Einhaltung des Parteiengesetzes - und das ist sehr kritisch zu sehen.“ [Quelle: Report Mainz, ARD]
- Prof. Sophie Schönberger, Rechtswissenschaftlerin, Universität Düsseldorf: „Der Fall Gröner zeigt aus meiner Sicht, dass wir im Parteispendenrecht tatsächlich in einem Bereich sind, wo wir große Durchsetzungsprobleme haben, unter anderem weil die Bundestagsverwaltung nicht als Ermittlungsbehörde ausgestattet ist, weil sie personell unterbesetzt ist […].“ [Quelle: Report Mainz, ARD]
- Vor dem Hintergrund dieser im System inhärenten Probleme bei der Parteispenden-Kontrolle appelliert der Politikwissenschaftler Professor Dr. Michael Koß, Leuphana Universität Lüneburg, an die Politik: „Angesichts der hunderttausenden Euro, die im anstehenden Bundestagswahlkampf an die Parteien gespendet werden dürften, ist eine unabhängige Kontrollinstanz, die auch vor Sanktionen nicht zurückschreckt, längst überfällig. Damit die Bürger:innen sich aktiv einbringen, ist es essenziell, dass die demokratischen Institutionen glaubwürdig bleiben und Einflüsse auf die Politik durch Parteispenden unabhängig kontrolliert und transparent gemacht werden.“